13. Juni 2021. An diesem Datum kommen die beiden Pflanzenschutz-Initiativen voraussichtlich zur Abstimmung. Nervosität ist ein Dreivierteljahr zuvor längst zu spüren, bei den Befürwortern genauso wie bei den Gegnern.

Wirtschaftliche Folgen

Am Montag wurde eine neue ­Studie zu möglichen Folgen der Pestizidverbots-Initiative publiziert, die Wasser auf die Mühlen der Gegner aus Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie leitet. Die Untersuchung kommt zum Schluss, dass ein Ja zu einer Reduktion der Schweizer Lebensmittelproduktion, höheren Produktionskosten sowie höheren Gesundheits- und Hygienerisiken führen würde.

«Enormer Druck»

Die Initiative würde enormen Druck auf den Agrar- und Lebensmittelsektor ausüben, schreiben die Auftraggeber der Studie in einer Mitteilung. Hinter der Untersuchung von Charles Gottlieb und Cara Stromeyer der Universität St. Gallen steht ein Auftrag von:

Initianten nicht begeistert

Diese Konstellation veranlasst die Initianten der Pestizidverbots-Initiative dazu, die Studie als  «interessengeleitet» und ihre Schlussfolgerungen als «unseriös» zu bezeichnen (siehe Kasten). Das Volksbegehren will den Einsatz von synthetischen Pestiziden in der Landwirtschaft, der Lebensmittelverarbeitung und der Boden- und Landwirtschaftspflege verbieten. Ebenso soll die gewerbliche Einfuhr von Lebensmitteln, die solche enthalten, verboten werden. Es ist eine Übergangsfrist von zehn Jahren vorgesehen.

 

«Gravierende Fehler»

Die Initianten halten nichts von der neuen Studie im Auftrag von verschiedenen Verbänden aus Land- und Ernährungswirtschaft, wie eine Stellungnahme zeigt. Was da analysiert worden sei, entspreche in keiner Weise den möglichen Auswirkungen, heisst es auf der Website von «Leben statt Gift».

«Diese Studie verwendet falsche Zahlen und macht vereinfachende Projektionen», schreiben die Initianten. Die Schlussfolgerungen seien «unseriös» und könnten nicht ernst genommen werden. Die Gesellschaft bedürfe einer «ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Thema» und einer unvoreingenommenen Analyse.

Nur auf Bio fokussiert

Die Initianten attestieren der Studie «viele gravierende Fehler». Es stört sie zum Beispiel, dass die Studie die Wirkung einer reinen Bio-Landwirtschaft projiziert. «Eine Zukunft, in der nur noch Bio produziert wird, ist an sich keine schlechte Aussicht,» es sei aber wichtig klarzustellen, dass die Initiative nur einen Verzicht auf synthetische Pestizide verlange.

«Die biologische Landwirtschaft ist restriktiver als unsere Initiative und verbietet zusätzlich die Verwendung von synthetischen Düngemitteln und Antibiotika», heisst es in der Stellungnahme. Dabei hätten Düngemittel eine grosse Wirkung auf die Erträge. Das könne man also nicht vergleichen.

Wer geht nun weiter?

Die Autoren würden sogar behaupten, dass die Initiative weiter gehe als der Biolandbau, weil der Biolandbau bzw. Bio Suisse manche synthetische Pestizide zulassen würde, monieren die Initianten. Diese Aussage sei schlicht falsch, da alle synthetischen Pestizide im Biolandbau verboten seien. Die Auftraggeber der Studie halten im Kommentar dazu allerdings fest, dass Biobauern sehr wohl synthetische Pflanzenschutzmittel einsetzen dürfen, etwa das Insektizid Spinosad und Pheromonfallen.

Biozide blieben erlaubt

Die Initianten bemängeln ferner, dass Biozide in die Studie mit eingezogen wurden. «Unsere Initiative nennt ausdrücklich nur synthetische Pestizide, die bei der Produktion von Lebensmitteln eingesetzt werden», schreiben sie.

Die Initiative tangiere nicht die Verwendung von Bleichmitteln oder anderen Bioziden, die zur Reinigung oder Sterilisation von Geräten verwendet werden. Auf die Lagerfähigkeit von Lebens­mitteln habe das Volksbegehren ebenso wenig Einfluss, denn auch hier sei die Rede von Bioziden, die nicht tangiert wären.

Vom Status quo ausgegangen

Ein weiteres Problem für die Initianten ist, dass die Studie davon ausgeht, dass das ganze Agrarsystem davor und danach genau das gleiche bleiben werde. Dabei seien tief greifende Veränderungen gar nicht angesprochen worden, wie die Verlagerung von der landwirtschaftlich genutzten Fläche auf mehr Produktion für den Menschen, Forschung, neue landwirtschaftliche Techniken und die Vermeidung von Abfällen.

All dies müsste in einer makroökonomischen Studie auf jeden Fall berücksichtigt werden, halten die Initianten fest. 

 

Begriff noch nicht definiert

Der Begriff synthetische Pestizide sei in der Gesetzgebung noch nicht definiert worden, schreiben die Autoren der Studie. Biobetriebe böten aber eine Referenzgruppe, um die Auswirkungen auf die Landwirtschaft zu untersuchen. Die Forschenden vergleichen die Wirtschaftlichkeit von Biobetrieben und Nicht-Biobetrieben anhand  einzelbetrieblicher Daten von Agroscope. Ausserdem befasst sich die Studie mit dem Einsatz von Bioziden zur Desinfektion und Schädlingsbekämpfung in der Lebensmittelindustrie. Weil dazu Daten fehlen, befragten die Forschenden Unternehmen der Lebensmittelverarbeitung. Die Umfrage ist allerdings nicht repräsentativ für den Schweizer Lebensmittelsektor.

42 Prozent Selbstversorgung

Laut der Studie würde der Selbstversorgungsgrad bei einer Umstellung aller Betriebe auf Bio von60 Prozent auf etwa 42 Prozent sinken. Die produzierte Nahrungsenergie würde um 30 Prozent sinken. Bei Kartoffeln und Schweinefleisch wäre der Ertragsunterschied erheblich, bei Getreide und Rindfleisch gering, schreiben die Autoren. Die Versorgung mit Zuckerrüben, Obst, Reben, Gemüse und Kartoffeln sowie Schweinefleisch würde «stark erschwert», während die Milch- und Getreideproduktion kaum betroffen wären.

Genug Kakao und Kaffee?

Die Initiative könnte auch grosse Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von importierten Lebensmitteln haben, heisst es. Um den ­Bedarf der Industrie bei der Annahme der Initiative zu decken, würden 21 Prozent der weltweiten Bio-Kaffeeproduktion und 50 Prozent der weltweiten Bio-Kakaoproduktion benötigt.  Die Preise für Bio-Rohstoffe könnten steigen. Einige grosse Firmen ziehen
laut Umfrage bei einer Annahme der Initiative eine Verlagerung ihrer Produktion in Betracht.

Die Initiative betrifft laut Studie drei Prozent des Schweizer Export-Warenwerts. Ein Grossteil dieser Exporte stammt von Unternehmen, die Kaffee- und Kakaobohnen verarbeiten.

«Unüberwindbare Probleme»

Was den Lebensmittelimport betreffe, so seien die Importbeschränkungen der Initiative mit den internationalen Abkommen kaum vereinbar, schreiben die Auftraggeber im Kommentar zur Initiative. Im Bereich der internationalen Logistik werfe die Initiative «praktisch unüberwindbare Probleme auf».

Die Logistik der grossvolumigen, losen Transporte basiere auf nicht-biologischer Ware. Um die Initiative umzusetzen, müssten sämtliche Importe in Containern erfolgen, was nicht realistisch sei (Kosten, Fristen, Logistik). Ausserdem  schränke die Initiative den Einkaufstourismus nicht ein, weshalb dieser noch angeheizt werden dürfte.

Steigen die Konsumentenpreise?

Welche Effekte hätte eine Annahme der Initiative auf die Konsumentenpreise? Das hänge von den Zusatzkosten ab, die durch Alternativen zu synthetischen Pestiziden entstehen würde, schreiben die Autoren der Studie. Bei der Landwirtschaft gehen sie von keinem grossen Effekt aus, weil nur ein geringer Anteil der Wertschöpfung der Lebensmittelproduktion daraus stammt.

Die Verarbeitung macht hingegen 75 Prozent der Wertschöpfung der Lebensmittelproduktion aus. Sie könnte daher die Konsumentenpreise stärker beeinflussen. Die Produktionskosten der Betriebe dürften steigen, unter anderem durch höhere Einkaufskosten für Rohstoffe.

Mehr Direktzahlungen nötig?

Die Studie hat sich auch mit möglichen Auswirkungen der Initiative auf die Direktzahlungen beschäftigt. Obwohl der Ab-Hof-Preis für Bioprodukte im Schnitt 1,71 mal höher ist als für Nicht-Bioprodukte, hätten Biobetriebe im Schnitt fünfmal höhere wirtschaftliche Verluste. Diese würden durch höhere Direktzahlungen kompensiert. Die Studie geht davon aus, dass sich die Rentabilität des Schweizer Agrarsektors durch die Initiative weiter verschlechtern könnte. Womöglich würden zusätzliche Direktzahlungen nötig.