«Bei mir darf man auch Schnaps sagen. Dann wissen alle, wovon die Rede ist.» Das sagt Urs Streuli im Verlaufe des Gesprächs auf seinem Hof in Horgen. Es sind allerdings Schnäpse der Extraklasse, die Streuli auf seinem Betrieb mit prächtigen Blick auf den Zürichsee brennt. Für seine Edelbrände ist er mehrfach ausgezeichnet worden. Zuletzt bei der natio­nalen Edelbrandprämierung 2019 /2020 von DistiSuisse: Streulis Hochstammbirnenbrand «Grünmöstler» wurde in der Kategorie Birnenbrände zum Kategorien-Sieger gekürt und erreichte von den 622 eingereichten Destillaten die höchste Punktzahl. Insgesamt wurden an dem Wettbewerb fünf Brände aus Streulis Privatbrennerei mit einer Goldmedaille ausgezeichnet. Damit ist Streuli einer von neun «Brennern des Jahres».

Eigener Obstgarten

Ein Grund für diesen Erfolg von Urs Streulis Bränden sind deren Ausgangsprodukte. Es sind alles Früchte, die er auf seinem elf Hektaren grossen Obstgarten kultiviert: Zu diesem gehören 230 Hochstammbäume, etwa 250 Halb- und Niederstammbäume. Unter diesen finden sich auch seltene Sorten wie die Apfelsorte Berner Rose, die Knollbirne oder der Gelbmöstler, Rote Mirabellen oder etwa die Mirabelle de Nancy. Dazu kommen noch etwa 200 schwarze Johannisbeersträuche.

 

Nachaltige Bewirtschaftung

«Hochstämmer sind eine langfristige Geschichte», sagt Urs Streuli. Es dauere zehn bis 20 Jahre nach der Pflanzung bis ein Hochstämmer erste Erträge bringe. Bei guter und fachgerechter Pflege erreiche er aber – und das bei guten Erträgen – ein Alter von über 80 Jahren.
Für eine Kultur, bei der in Zeiträumen von Jahrzehnten gedacht wird, liegt auch eine nachhaltige und ökologische Bewirtschaftung nahe. In Streulis Obstgarten finden sich viele Elemente, die zu einer hohen Artenvielfalt beitragen: etwa ein Wildbienenhotel, Nistkästen für verschiedene Vogelarten, Holz- und Steinhaufen, nach ökologischen Grundsätzen bewirtschaftete Waldränder, Ruderalflächen, Buntbrachen.
Für diesen Zweig auf Streulis Betrieb sind dessen Mutter und Schwester zuständig. Auch wenn solche Elemente die Bewirtschaftung eher erschweren, lässt Streuli die beiden gerne gewähren. Denn an einer vielfältigen Insektenwelt, an seltenen Vogelarten wie etwa Schleiereule oder Turmfalke findet auch er Gefallen.
Streulis Obstgarten zwischen dem Siedlungsgebiet von Horgen und Wädenswil ist Bestandteil des grössten Hochstamm-Obstgartens des Kantons Zürich. Dieser umfasst etwa 3000 Hochstamm-Obstbäume. Im Jahr 2007 hat der Schweizer Vogelschutz das Obstgartenprojekt Horgen – Wädenswil ins Leben gerufen, um in enger Zusammenarbeit mit dem Vernetzungsprojekt Au/Horgen, den lokalen Naturschutzvereinen, den Landwirten und weiteren Beteiligten diese einzigartige Kulturlandschaft zu schützen und ökologisch aufzuwerten. 

 

Obstbau spielte auf Streulis Betrieb über dem Zürichsee schon immer eine Rolle. Erworben haben diesen Urs Streulis Ururgrosseltern im Jahre 1869. Der gelernte Landwirt Urs Streuli hat den Hof zusammen mit seiner Frau Patricia 2003 von seinen Eltern übernommen. Er ist froh, dass Mostobst einer der Betriebszweige war, den seine Eltern pflegten. Denn Urs Streuli setzte von Beginn weg auf Obstbau und innerhalb dieses Betriebszweiges auf Destillate: «Der gesamte Ertrag meiner Kulturen wird verflüssigt», sagt Streuli, was heissen will: Wird zu Schnaps gebrannt. Von der früheren Tierhaltung sind gerade mal drei Pensionspferde übrig geblieben. Streulis Entscheid für Brände hatte mehrere Beweggründe. Zum einen ist Streuli kein «Chüeler», wie er selber sagt. Mit einer Fläche von elf Hektaren wäre der Hof zudem zu klein für eine herkömmliche Bewirtschaftung. Die eher lehmigen und schweren Böden auf seinem Betrieb auf einer Höhe von 500 Metern eignen sich ausserdem nicht für einen intensiven Gemüsebau, wohl aber für den Obstbau.

Schnitt beansprucht Zeit

Ausschlaggebend für Urs Streulis Konzentration auf den Obstbau war aber seine Faszination für diese Kultur. Er liebt es, Bäume nach allen Regeln der Kunst zu schneiden und verbringt im Winter Stunden damit, einen Schnitt hinzukriegen, der zu einer optimalen Ernte führt. Auch wenn er von seinen Berufskollegen deshalb gelegentlich belächelt wird, lässt sich Streuli in diesem Bestreben nicht beirren. «Man sieht es den Bäumen auch an», findet er. Aber nicht nur der Schnitt der Bäume beansprucht Streuli zeitlich. So hält er das Gras rund um die Baumscheibe stets kurz. Die elf Hektaren Wiesland in seiner Obstanlage mäht er selbst. Das Gras überlässt er als Silage oder als Heu einem Nachbar, der es auch zu Ballen bindet. Streuli charakterisiert diese Art des Umgangs mit dem Wiesland so: «Eher eine Bestandespflege als eine Bewirtschaftung im Sinne einer produzierenden Landwirtschaft.»

Kampf gegen die Mäuse

Viel Zeit beansprucht auch – ähnlich wie beim Rebbau – die Ertragsregulierung bei jenen Bäumen, bei denen das von der Grösse her möglich ist. Durch das Herausschneiden von überflüssigen Trieben und Früchten soll eine zu grosse Ernte verhindert werden. Denn bei zu vielen Früchten verliert deren Aroma an Intensität. Und nicht zuletzt beansprucht der Kampf gegen die Mäuse viel Zeit: Mehrere Male im Jahr ist Urs Streuli mit seinen Topcat-Mäusefallen unterwegs und es dauert jeweils eine Woche bis er die elf Hektaren «durchgemaust» hat. Ein weiterer «grosser Feind» von Streuli ist die Kirschessigfliege. Schäden hat sie bisher vor allem bei Kirschen und Mirabellen angerichtet.

Vom Feuerbrand blieb Streulis Baumgarten bis jetzt glücklicherweise verschont. Denn auch bei alten Hochstamm-Sorten gibt es solche, die anfällig auf diese Krankheit sind. Auch die Auswirkungen der diesjährigen Spätfröste hielten sich bislang in Grenzen. Das liegt auch daran, dass sich sein Obstgarten in einer Hanglage ohne ausgeprägte Mulden befindet.

Optimale Reife

Urs Streuli bewirtschaftet seinen Betrieb nach den Grundsätzen von IP-Suisse. Er betont, dass er in Sachen Pflanzenschutz mit wesentlich geringeren Dosen als die maximalen IP-Vorgaben auskommt. «Chemisch dreinschlagen» ist nicht seine Sache. Aber ganz ohne Pflanzenschutz gehe es nicht. «Um einen qualitativ einwandfreien Brand zu erhalten, sind qualitativ einwandfreie Früchte die Voraussetzung», so Streuli, «ohne Pflanzenschutz kriegt man das nicht hin».

Neben dem Brennen der Brände beschert die Erntezeit Streuli am meisten Arbeit. Da optimal gereifte Früchte Ausgangsmaterial für optimale Brände sind, lässt Streuli diese so lange wie möglich am Baum hängen. Dort wo es möglich ist, erntet Streuli die Früchte wie Tafelobst. Jede Frucht wird Stück für Stück einzeln gepflückt.

Bei der weiteren Verarbeitung der Ernte spielt die Sauberkeit eine zentrale Rolle – und natürlich viel Wissen und Erfahrung beim Maischen, Vergären und Brennen des Erntegutes. Jahr für Jahr werden 15 bis 20 Tonnen Obst in Streulis Brennerei zu «Hochprozentigem» verarbeitet, das in rund 3500 Flaschen abgefüllt wird, die meisten mit einem Fassungsvermögen von 3,5 Dezilitern.

Diverse Absatzkanäle

Sortenreine Brände sind Urs Streulis Spezialitäten. Und damit auch die Liebhaber mit ganz feinen Geschmacksnerven auf ihre Rechnung kommen, bringt er sie als Jahrgangsbrände auf den Markt. Streuli verkauft seine Brände zu 15 Prozent direkt ab Hof. Weitere Abnehmer sind der spezialisierte Fach- und Detailhandel sowie die Gastronomie. Mit seinen Bränden spricht er ein Liebhaber-Publikum an. Deshalb betrifft ihn der tendenzielle Rückgang des Konsums von Obstbränden kaum.

Streuli befindet sich in einer privilegierten Situation. Er ist nicht nur Landwirt, er hat auch das KV abgeschlossen und arbeitet in einem Teilzeitpensum als Spezialist für komplexe Haftpflichtschäden im Bau bei der Axa-Versicherung. Dank dieses zweiten beruflichen Standbeins ist er wirtschaftlich nicht ausschliesslich vom Erlös aus seinem Hof angewiesen. «Ein Privileg», wie er selber sagt.

Gehobenes Preissegment

Auch Urs Streulis Frau Patricia arbeitet teilzeitlich auswärts. In Corona-freien Zeiten betreibt sie an der stadtnahen, aber landschaftlich idyllischen Lage zudem «Streuli’s Private Kitchen»: Eine Gästebewirtung in einem eher gehobenen Preissegment, über die auch die Destillate der hauseigenen Brennerei beworben werden können.

In einem eher gehobenen Segment bewegen sich auch die Preise für Streulis Edelbrände. «Davon könnten auch andere Landwirte, die brennen, lernen», sagt Streuli. Viele würden ihre qualitativ hochstehenden Brände zu tiefpreisig verkaufen, findet er. Aber ein bisschen Marketing brauche es schon, um einen dem Produkt angemessenen Preis zu erzielen.