Gut zwei Meter hoch reckt sich die Karde vor dem Haus. Die stabilen grünen Blätter bilden nahe dem Stängel kleine Becken, in denen sich Regenwasser sammelt. «Elfenteiche», sagt Yolanda Hug mit einem Augenzwinkern. «Bekannt ist die Karde vor allem als Heilpflanze.»
Yolanda Hug ist Kräuterfachfrau. Seit 30 Jahren lebt sie mit ihrem Mann Stefan Ackle auf einem Biohof in den Hügeln ausserhalb von Densbüren im Kanton Aargau und im Gebiet des Juraparks. Zum Hof gehören Fromental- und Magerwiesen, 60 Feldobsthochstämme und Wildobsthecken, Hühner und eine kleine Herde Hinderwälder-Mutterkühe.
Kräuter-Leidenschaft
Die Mutter von drei erwachsen Kindern arbeitete viele Jahre als Kulturmanagerin in der Shedhalle, einem Raum für zeitgenössische Kunst in der Roten Fabrik in Zürich. Nach einer Krise entschied sie sich, die beruflichen Prioritäten anders zu setzen. Seit sechs Jahren leitet sie nun Workshops und Kurse rund ums Thema Kräuter, zum Beispiel «Heilmittel aus dem Kräutergarten», oder «ein gefundenes Essen – wilde Küchenkräuter».
«Kräuter sind meine Leidenschaft», sagt die 60-jährige Aargauerin. Das Selbermachen und Wissen, was wo drin ist, war ihr schon als junge Frau und Mutter wichtig. Sie begann mit einfachen Salben. In der ersten Zeit sei sie mit einem Silva-Buch in der Hand durch die Landschaft gelaufen und habe so gelernt, Kräuter zu bestimmen.
Später machte sie eine Ausbildung an der Freiburger Heilpflanzenschule, belegte Kurse an der Kräuterakademie, beschäftigte sich mit Paracelsus-Medizin und wie sich Kräuterkunde und Astrologie verbinden lassen. «Ich bin aber eine Produzentin, keine Heilerin.»
Sommer-Sammelzeit
Jetzt im Hochsommer ist vor allem die Zeit, um Kräuter zu sammeln, Sonnenkräuter für den Winter. Das ist eine alte Tradition, noch aus vorchristlicher Zeit. «Ein Ritual mit tiefen Wurzeln, wohl so alt wie die Menschheit.» Erhalten hat sich der Brauch, dass Frauen im Alpenraum rund um den Feiertag Mariä Himmelfahrt am 15. August Kräuter für Räuchersträusse und Räucherstäbe sammeln. In manchen Gegenden werden diese teils üppigen Gebinde bis heute in der Kirche geweiht.
Yolanda Hug sammelt ihre Kräuter ausschliesslich im acht Hektar grossen Kräutergarten. Hier gibt es in den naturbelassenen Wiesen Kräuter wie das wilde Rüeblikraut, Mädesüss oder Schafgarbe. Im Garten zieht ein langes Beet mit leuchtenden Ringelblumen den Blick an, aber auch hohe Alant-Pflanzen mitriesigen Blättern, Mariendisteln, Engelwurz, Melisse und Vieles mehr.
Wild und verwunschen wirkt der Garten im Nachmittagslicht. Ein Paradies für Nützlinge und Insekten. Doch ganz glücklich ist Yolanda Hug nicht bei dem Anblick. «Alles ist so schnell zugewachsen.» Im Mai war sie so unglücklich von einer Leiter gestützt, dass ein Handgelenk brach. Erst langsam kann sie wieder mit Jäten beginnen.
Kräuter sammeln
Wissen aneignen: In einem Kurs, aus einem Buch oder mit einer Bestimmungs-App. Denn einige Kräuter sind giftig oder für bestimmte Lebenssituationen unge-eignet, andere geschützt.
Wo sammeln: Im Garten und im Wald, am Rand von naturbelassen Wiesen. Ungeeignet sind viel befahrene Strassen und beliebte (Hunde)-Spazierwege. Verboten ist es in Naturschutzgebieten.
Wann sammeln: Werden die Kräuter getrocknet, sind sonnige Tage ideal – aber möglichst warten, bis sich die Taunässe verflüchtigt hat. Blüten erst pflücken, wenn sie die Köpfe geöffnet haben.
Wie sammeln: Die Kräuter mit einem scharfen Messer und einer Schere abschneiden und in einen weiten Beutel oder einen Korb legen. Wurzeln stehen lassen, wenn sie nicht verwendet werden. Nie eine Stelle vollständig abernten, sonst können sich die Pflanzen nicht mehr vermehren.
Aussen Holz, innen Stroh
Verarbeitet werden die Kräuter im «Strohturm», einem stattlichen Rundgebäude mit Durchgang zum Wohnhaus. Er dient auch als Kursraum und Laden für die Hofprodukte. Dazu gehören Tee- und Bademischungen, Sirupe, Harzöle, Kräuteressige und Konfitüren.
Der Strohturm heisst Strohturm, weil die Wände aus Stroh sind. Yolanda Hug und Stefan Ackle haben den Turm vor sechs Jahren nach baubiologischen Grundsätzen und mit viel Eigenleistung gebaut. «Wir wollten nur natürliche Materialien für den Putz und Stroh als Dämmstoff.» Die 125 verwendeten Strohballen stammen aus dem zwölf Kilo-meter entfernten Eiken.
Nur aus dem eigenen Garten
Im Trockengerät im runden Arbeits- und Kursraum liegen Lochbleche voller Ringelblumenköpfe, am Boden stehen grosse Papiersäcke mit getrockneten Pflanzen. «Ich sammle nur im eigenen Garten.» Wenn etwa die Lindenblüten in einem Jahr erfrieren, gibt es eben keine, es werden keine dazu gekauft.
In Kursen zum Kräutersträusse binden vermittelt Yolanda Hug den Teilnehmenden grundlegendes Wissen und lässt sie dann selbst im Garten ihre Mischung zusammensuchen. «Viele suchen Pflanzen für ein bestimmtes Thema». Etwa zur Beruhigung, für mehr Entschlossenheit oder für einen kranken Angehörigen.
Von anregend bis beruhigend
Den Pflanzen werden in der Kräuterkunde verschiedene Eigenschaften zugeschrieben, auch beim Räuchern: Hafer wirke beruhigend, der Rainfarn helfe als «Blitzableiter» bei Konflikten, Melisse passe in eine Mischung für mehr Konzentration und Lavendel wirke harmonisierend.
Die Pflanzen werden zu Bündeln oder Sträussen gebunden und kopfüber aufgehängt. «An einem luftigen Ort und nicht an der Sonne. Alles andere geschieht von selbst.» Später im Jahr, traditionell in den zwölf «Rauhnächten» zwischen Weihnachten und Dreikönigstag, werden die Kräutersträusse zum Räuchern von Räumen und Ställen eingesetzt.
Kräuter trocknen
Für Sträusse und Bündel die Pflanzen mit naturbelassenem Garn zusammenbinden. Dabei nur trockene Pflanzen verwenden. Die Gebinde dann kopfüber an einem schattigen, luftigen Ort aufhängen.
Einzelne Kräuter und Blüten können auch in einem Dörr-gerät getrocknet werden. Nach zwei bis vier Stunden sind sie trocken.
Eine Alternative ist der Backofen: Auf 30 bis 50 Grad einstellen. Einen hölzernen Kochlöffel in die Ofentür stecken, damit die feuchte Luft entweichen kann. Anschliessend in luftdurchlässigen Papiersäcken oder Stoffbeuteln lagern.
Weitere Informationen: www.kräuterwerk.ch