Deformierte Birnen, warziges Blattgemüse, krumm gewachsene Gurken: Die Marmorierte Baumwanze hat sich als neuer Feind der Schweizer Gemüse- und bisher vor allem Obstproduzenten etabliert. Der Schweizer Obstverband SOV schätzt die Schäden durch den aus Asien stammenden Stinkkäfer auf deutlich über drei Millionen Franken für 2019. Der Schädling profitiert von warmen Temperaturen, eine Besserung ist daher nicht in Sicht. Wie bereitet sich die Obstbranche auf die kommende Saison vor?
Anträge gestellt
Der SOV habe die Rolle als Koordinator gegenüber Behörden und anderen Verbänden (z. B. den Schweizer Gemüseproduzenten und dem Schweizer Bauernverband) übernommen. Anträge für eine Notfallzulassung wirksamer Pflanzenschutzmittel (PSM) seien beim Bundesamt für Landwirtschaft und Umwelt eingereicht. Bisher sind keine Insektizide gegen die Wanze zugelassen. «Ausserdem haben wir die Freilassung der Samurai-Schlupfwespe beantragt», erklärt Beatrice Rüttimann vom SOV auf Anfrage der BauernZeitung.
Wespe reicht nicht aus
Auf der ebenfalls aus Asien stammenden Schlupfwespe ruhen im Moment die Hoffnungen. In China hält sie die Schäden durch die Marmorierte Baumwanzen in Grenzen. Sie ist wie ihr Wirt bereits in die Schweiz eingewandert. Allerdings breitet sie sich vom Tessin her kommend aktuell langsamer aus, als die Marmorierte Baumwanze, die bereits 2004 eingeschleppt wurde.
Jedoch würde der Nützling als Massnahme allein kaum ausreichen, da die Wespe Studien zufolge nur etwa 60 Prozent der Baumwanzen-Eier befällt.
Keine Strategie gefunden
Wegen der frühen Einwanderung in die Kulturen (im April) ist die chemische Bekämpfung schwierig und eine Volleinnetzung riskant: Schnee könnte die Investition zunichtemachen.
Trotz viel Forschungsarbeit auch in anderen Ländern gibt es bisher keine einheitliche Strategie zur Bekämpfung der Marmorierten Baumwanzen.
Wann geht es los?
Von November bis Januar dauert die Winterruhe der Marmorierten Baumwanze. Aktiv wird der Käfer erst bei Temperaturen um 15 Grad.
Früher in Gewächshäusern
Laut dem Merkblatt von Agroscope können in geheizten Gewächshäusern nach der Winterruhe bei der richtigen Innentemperatur schon sehr früh Schäden auftreten.
An den Borsten erkennen
Der Japankäfer hat die Schweiz nach aktuellem Wissenstand noch nicht ganz erreicht. Seine Larven wandern nach dem Überwintern tief im Boden im Frühling wieder nach oben, sobald die Erde wärmer als zehn Grad ist. Die Engerlinge des Japankäfers erkennt man an den V-förmig angeordnete Borsten auf dem hintersten Körpersegment.
Mehr Geld für die Wissenschaft
2020 soll die Forschung zu Methoden gegen den Stinkkäfer intensiviert werden, zitiert der SOV Barbara Egger von Agroscope.
Künftig soll mehr Geld für die Wissenschaft rund um invasive Arten und Krankheiten zur Verfügung stehen. Das fordert die Motion von Nationalrat Philipp Kutter (CVP/ZH), die im letzen Dezember eingereicht wurde. Darin werden fünf Millionen Franken über fünf Jahre als Finanzierung für diesen Forschungsbereich gefordert. Die Motion wird von der IG Pflanzenschutz, der auch der Schweizer Obst- und der Gemüseproduzentenverband angehören, unterstütz. Mit dem Geld soll die inländische Produktion geschützt und Importe von Früchten und Gemüse aus dem Ausland verhindert werden.
Task Force eingesetzt
Die Task Force Pflanzenschutz des Obstverbandes koordiniert die Bemühungen um die Marmorierte Baumwanze. Laut Beatrice Rüttimann pflegt man auch Kontakte ins Ausland und verfolgt die natürliche Ausbreitung der Samurai-Schlupfwespe sowie die Entwicklung der Baumwanzen-Populationen in der Schweiz. So sollen Prognosen erstellt und entsprechende Massnahmen in die Wege geleitet werden.
Ein weiterer gefrässiger und wenig wählerischer Schädling steht «vor den Toren der Schweiz», wie es Agroscope ausdrückt: Der Japankäfer. Auch er ist eine Bedrohung für die Schweizer Landwirtschaft, sowohl als Engerling als auch als erwachsener Käfer, der diverse Baumarten und Kulturpflanzen kahl frisst. Das sieht man auch beim Schweizer Obstverband so. Als Larve ernährt er sich vor allem von Graswurzeln, kann sich aber auch an Mais oder Soja entwickeln.
Pilz gegen Käfer
Auch hier gibt es Ansätze, den Schädling mit einem natürlichen Gegenspieler zu bekämpfen. Wie Giselher Grabenweger von Agrocsope an der Nachhaltigkeitstagung des Forschungsinstituts am 23. Januar in Bern berichtete, ist ein bodenbürtiger Pilz vielversprechend. «Metarhizium ist gegen den Gartenlaubkäfer zugelassen, mit dem der Japankäfer nahe verwandt ist», erklärt er auf Anfrage der BauernZeitung. Daher stünden die Chancen nicht schlecht, dass der neue Schädling auf ähnliche Weise oder sogar mit denselben Pilzstämmen bekämpft werden kann. Letzterer Fall würde die Zulassung vereinfachen. «Der Japankäfer ist ein prioritärer Quarantäneorganismus gemäss Pflanzengesundheitsrecht. Sein Auftreten muss den kantonalen Pflanzenschutzdiensten gemeldet werden. Ausserdem besteht eine Bekämpfungspflicht bei diesem Schädling», so Grabenweger.
Pilze statt Insektizide
Während Pilze wie Mehltau als Schädlinge bekannt sind, können andere z. B. Insekten befallen und so Schäden an den Kulturen reduzieren. Derzeit sind in der Schweiz laut Giselher Grabenweger von Agroscope sieben Pilzstämme als Wirkstoffe zugelassen. Sie kommen erfolgreich gegen Engerlinge, Nematoden, Pilzkrankheiten und einige Gewächshaus-Schädlinge zum Einsatz.
Die verwendeten Pilze sind unterschiedlich spezifisch.
Zum Teil befallen sie nur einen ganz bestimmten Engerling
und keine nahen Verwandten.
Andere wiederum haben unterschiedliche Wirte. «Daher muss das Wirtsspektrum eines Pilzes vor der Zulassung geprüft werden», betont Grabenweger. Er gibt aber auch zu bedenken, dass insektenbefallende Pilze gezielter wirken als alle Insektizide, die in jedem Fall schwerwiegendere Nebenwirkungen auf Nicht-Zielorganismen hätten.
Zehn Jahre bis zum Mittel
Könnte ein PSM auf Pilzbasis auch gegen die Marmorierte Baumwanze helfen? «Da diese Stinkwanze während ihrer Entwicklung nie am Boden lebt, kommen bodenbürtige Pilze wie Metarhizium und Beauveria gegen sie eher nicht in Frage», erklärt Giselher Grabenweger. In Amerika versuche man aber, ein Biocontrol-Mittel mithilfe eines Pilzes aus einer anderen Gruppe zu entwickeln, der auch schon in Europa bei der Marmorierten Baumwanze auftrat. Wie lange es bis zu einer praxisreifen Lösung dauert, lasse sich noch nicht abschätzen. Grabenweger geht von etwa zehn Jahren aus.
Weitere Informationen: www.popillia.agroscope.ch www.halyomorpha.agroscope.ch
Die Zulassung ist schwierig
Obwohl Pilze zu den biologischen Kontrollorganismen (Biological Control Agents BCAs) gehören, ist ihre Zulassung als PSM in der Schweiz und Europa langwierig und kostspielig. Das Verfahren ist nicht einfacher als für einen neuen chemisch-synthetischen Wirkstoff.
Anderswo ist es leichter
«In Nordamerika z. B. geht der Prozess viel schneller und ist günstiger», erzählt Giselher Grabenweger von Agroscope. Kleine Unternehmen könnten in Europa keine neuen BCAs auf den Markt bringen und längerfristig würden weniger davon zur Verfügung stehen. Grabenweger sieht an der hohen Hürde aber auch Gutes: «Massenhaft ausgebrachte Mikroorganismen können nicht per se als ungefährlich für Menschen oder die Umwelt eingestuft werden», gibt er zu bedenken.
Ein Mittelweg wäre gut
Es gebe Pilze, die gesundheitsgefährdende Giftstoffe bilden können, wie z. B. Fusarium- oder Aspergillus-Arten. Er würde den goldenen Mittelweg bevorzugen. «Pilze aus gewissen natürlich in Europa lebenden, gut untersuchten und lange eingesetzten Gattungen könnten vereinfacht zugelassen werden. Falls sie sich bei Körpertemperatur nicht entwickeln können», findet er.