Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte haben sich die Weinbaupraktiken hin zu einem reduzierten Herbizideinsatz und zu Begrünungen entwickelt. Eine flächendeckende Begrünung der Weinreben kann, je nach Terroir, aber zur Konkurrenz um Wasser, insbesondere aber um Stickstoff, führen, stellt Thibault Verdenal der Gruppe Weinbau, Agroscope, fest. Heisse und trockene Jahre sowie Standorte mit geringen Wasserreserven würden diesen Effekt nochmals erhöhen – ein Stickstoffmangel in den Beeren und Ertragseinbussen seien vorprogrammiert. Besonders bei weissen Rebsorten könne der Stickstoffmangel zu einem qualitativen Verlust von Bouquet, zu Bitterkeit und Adstringenz im Mund führen.
Mangel beeinflusst Qualität
Bestimmte im Traubenmost vorhandene Stickstoffformen sind für einen guten Ablauf der Weinbereitung erforderlich und beeinflussen die Qualität des fertigen Weines. Für Weisswein gilt beim Traubenmost ein Gehalt von weniger als 140 mg/l von den Hefen assimilierbarer Stickstoff (Ammonium und Aminosäuren) als Mangel. Bei einem Mangel wird die Gärung verlangsamt oder kommt vor der vollständigen Umwandlung von Zucker in Alkohol zum Stillstand. Aminosäuren sind ausserdem an der Bildung aromatischer Verbindungen des Weins beteiligt. Weine aus Mosten mit Stickstoffmangel sind oft weniger aromatisch, adstringierender und bitterer.
Als vorübergehende Lösung zur Korrektur eines mangelnden Gehalts des Mosts an assimilierbarem Stickstoff wird oft eine Düngung mit 20 kg/ha Blatt-Harnstoff bei der Beerenreife vorgeschlagen. Im Hinblick auf eine nachhaltige Produktion mit einer Begrenzung des Inputs ist dies jedoch nicht erwünscht und ausserdem im biologischen Anbau nicht erlaubt. Es ist also wichtig, Anbaupraktiken so anzupassen, dass die Anreicherung von Stickstoff in den Trauben begünstigt wird.
An den Wädenswiler Weintagen 2022 erörterte die Gruppe Weinbau, wie die Anbaupraktiken an diese Stickstoffkonkurrenz angepasst werden können.
Regelmässiges Mähen verringert Konkurrenz um Wasser und Stickstoff
Durch die regelmässige Bewirtschaftung der Grasbedeckung wie etwa durch das Mähen des Grases im Sommer liesse sich die Konkurrenz um Wasser und Stickstoff verringern. Erforderlich sind, je nach Jahresbedingungen (mässiger oder starker Trockenstress), ein oder zwei Schnitte im Jahr.
Unter Wasserstress hört das Gras sehr schnell auf zu wachsen und trocknet aus. In diesem Fall ist ein Mähen nicht mehr erforderlich. Die Standorteigenschaften – Wasservorrat, Niederschlagsmenge, Temperaturen – spielen ebenso eine entscheidende Rolle. In trockenen Regionen sollte Wasser durch Bewässerung zugeführt werden, optimal wäre eine Tropfbewässerung.
Manchmal reiche eine regelmässige Bewirtschaftung nicht aus, sagt Vivian Zufferey, ebenso von der Gruppe Weinbau. Bei weissen Rebsorten, die sehr anfällig für Stickstoffmangel sind, könne es notwendig sein, Stickstoff unter die Rebstöcke zu bringen oder Blatt-Harnstoff zu verabreichen.
Wirkungsvolle Stickstoffbeigaben
Wird ein Stickstoffmangel kurz nach beginnender Beerenreife festgestellt, kann eine Stickstoffergänzung, insbesondere in Form von Blattstickstoff, in Betracht gezogen werden, so Vivian Zufferey. Die langjährigen Versuche mit Blatt-Harnstoff von Agroscope würden zeigen, dass die Wirksamkeit in Bezug auf die Erhöhung des Stickstoffgehalts der Beeren besser ist, wenn der Blatt-Harnstoff zu Beginn der Reifung (Farbumschlag) auf das Laub gesprüht wird (2–3 Mal 5 kg N/ha). Dort wird er von den Blättern aufgenommen und gelangt in die Beeren. Auf die Wuchskraft der Triebe oder die Fäulnisrate habe der Blatt-Harnstoff keine Auswirkungen.
Was ist Harnstoff?
Blatt-Harnstoff ist ein wasserlöslicher Stickstoffdünger, der 46 % Stickstoff in Harnstoffform enthält. Harnstoff wird auf das Laub aufgebracht. In den Blättern wird er in Aminosäuren und Proteine umgewandelt und in die restlichen Pflanzenteile – hauptsächlich in die Trauben – transportiert. Blatt-Harnstoff ist im biologischen Weinbau nicht zugelassen.
Stickstoffgabe in Wurzelnähe
Die Zufuhr von organischen Düngemitteln (Mist, zerkleinerte Triebe im Winter, Kompost) bringt ebenfalls Stickstoff in die Reben. Die Mengen und Häufigkeit der Zugaben erfolgt in der Regel je nach Beobachtung (Wuchskraft der Triebe, mehr oder weniger grüne Blattfärbung) und Bodenanalysen. Bei Bedarf wird im Frühjahr Stickstoff zugeführt (maximal 30–40 kg N pro ha).
Die Ergänzung von Stickstoff in Form von Düngemitteln ist wirksamer, wenn dieser unter den Rebstöcken, also in der Nähe der Wurzeln, appliziert wird. Gemäss Thibault Verdenal und Vivian Zufferey wäre der Effekt grösser, als wenn man Stickstoff über die gesamte Fläche hinzufügt – da Gras zwischen den Reihen ein Konkurrent um Stickstoff ist. Die Auswirkungen sind in diesem Fall mittel- bis langfristig zu beobachten.
Wahl kräftiger Unterlagen
Die Wahl der Unterlage wird von der Gruppe Weinbau als komplex erachtet und hängt u. a. von folgenden Faktoren ab:
- Kalkgehalt des Bodens,
- Wasservorrat des Bodens,
- Bodenstruktur,
- Wuchskraft der Rebsorte.
Angesichts der globalen Erwärmung könne die Begrünung der Weinberge ein Faktor sein, der berücksichtigt werden muss. Kräftige Unterlagen fördern die Wurzelbesiedlung in der Tiefe und verleihen eine bessere Widerstandsfähigkeit gegen Trockenstress. Agroscope untersuche diese Aspekte intensiv.