«Ich bin die vierte Saison in der Schweiz. Du bist die erste Person ausserhalb des Hofs, die ich kennengelernt habe»: Das sagte ein polnischer Landarbeiter zu Sarah Schilliger.

«Trügerisches Bild»

Die Soziologin untersucht zusammen mit der Agronomin Silva Lieberherr die Arbeits- und Lebensbedingungen von ausländischen Arbeitskräften in der Schweizer Landwirtschaft. Auftraggeberin der Studie, die im Sommer fertig werden soll, ist Agrisodu, Plattform für eine sozial nachhaltige Landwirtschaft.

Schweizer Produkte werden vom Detailhandel gerne mit idyllischen Bildern beworben. Zum Beispiel übergibt der Bauer die ­Tomaten direkt der Supermarktverkäuferin.  Die ausländischen Arbeitskräfte, die die Tomaten pflücken, sortieren und abpacken, bleiben unsichtbar. «Es ist ein trügerisches Bild», schreiben die  Forscherinnen in einem Zwischenfazit zu ihrer Studie. 

Lange Arbeitstage

Sarah Schilliger und Silva Lieberherr haben für ihre Untersuchung mit Landarbeiter(innen) gesprochen. Sie berichteten von knochenharter Arbeit, sozialer Isolation und der Angst, die eigenen Rechte einzufordern. «Um halb fünf stehe ich auf, die Arbeit geht mindestens bis halb sieben abends. Jeden Tag, ausser am Sonntag», so Piotr aus Polen.

55 bis 65 Arbeitsstunden pro Woche seien Normalität, halten die Forscherinnen fest. Für die Schweizer Landwirtschaft gibt es keinen Gesamtarbeitsvertrag. Die kantonalen Normalarbeitsverträge (NAV) enthalten grosse Unterschiede. Im Kanton Genf beträgt die Maximalarbeitszeit 45 Stunden, im Kanton Glarus 66 Stunden.

Der Richtlohn für sogenannte Hilfskräfte betrug 2018 3235 Franken. Ungefähr ein Drittel davon könne für Kost und Logis abgezogen werden. Das ergibt laut Statistik einen durchschnittlichen Stundenlohn von etwas weniger als 14 Franken. Viele Überstunden seien nicht eingerechnet, so die Wissenschaftlerinnen.

Sozial isoliert

Von sozialer Isolation wegen der wenigen Freizeit berichtet  Mohamed aus Eritrea, der eine sogenannte Flüchtlingslehre angefangen hat: «Ich habe leider auch keine Schweizer Freunde. Und so lerne ich kaum die deutsche Sprache.» Auch von Erfahrungen mit Rassismus berichteten einige der Befragten, etwa Jadwiga aus Polen: «Wir scheinen dem Betriebsleiter weniger Wert zu sein als seine teuren Traktoren und Landmaschinen, um die er sich mit viel Sorgfalt kümmert.»

Bauern verdienen wenig

Die Studienautorinnen halten  fest, «dass auch die Bauern sehr schwierige Bedingungen» hätten. Auch sie kennen viele Arbeitsstunden und sehr tiefe Stundenlöhne. Ihre Margen seien extrem eng: «Viele verdienen so wenig mit der Produktion, dass sie keine besseren Löhne zahlen können.» Zahlen, wie viel Geld vom Preis im Detailhandel bis zur Erntehelferin geht, gibt es aus der Schweiz nicht. Die Forscherinnen haben ein Beispiel aus Österreich gefunden: Von

80 Cent, die eine Konsumentin für einen Bund Radieschen im Supermarkt zahlt, gehen 47 Cent an den Handel (kleinere Marge als in der Schweiz). Es bleiben 30 Cent für den Bauern und gerade mal drei Cent für die Erntehelferin.

 

In Zahlen

34'645 familienexterne Arbeitskräfte arbeiteten  2018 auf Schweizer Höfen, davon 11'982 ausländische Männer und 5667 ausländische Frauen.
Um 17% hat der Anteil der ausländischen familienfremden Arbeitskräfte seit dem Jahr 2000 zugenommen (der Frauenanteil stieg um 59%).

Nicht in der Statistik erfasst sind Sans-Papiers, Asylsuchende und viele Saisonarbeiterinnen, weil die Statistik sich auf die Anzahl Beschäftigter im Januar bezieht.