«Achtung, Tempo reduzieren», warnen derzeit Schilder im Schwyzer Talboden vor plötzlich auftauchenden Hirschen auf der Strasse neben Maisfeldern. Mit der Zunahme der Maisfelder zwischen Schwyz und Brunnen wachse auch die Anzahl Hirsche, die sich im Talboden aufhalten, berichtete kürzlich der «Bote der Urschweiz». In den Maisfeldern würden sich vorwiegend Hirschkühe mit ihren Kälbern aufhalten, wird der zuständige Wildhüter Pius Reichlin zitiert. Die Wildhut rate, Maisfelder künftig einzuzäunen, wenn die Maispflanzen rund einen Meter hoch sind.
Risiken nach Maisernte
Dass in den letzten Wochen vermehrt Hirsche in Maisfeldern festgestellt wurden, sei nicht verwunderlich, bestätigt auch Rinze Zgraggen, Abteilungsleiter Jagd und Wildtiere im Schwyzer Amt für Wald und Natur. Die würden tagsüber perfekte Deckung und ein Rückzugsgebiet bieten. Nachts würden die Tiere die Maisfelder zum Äsen verlassen. Am Mais selbst würden kaum grosse Schäden verursacht. «Die Tiere sind mehr an den fetten Wiesen darum herum interessiert, als dass sie am hochstehenden, bald erntereifen Mais fressen», meint Zgraggen. Er sieht eher Risiken nach der Ernte, wenn die Hirsche ihre Deckung im Mais verlieren, in die Wälder zurückkehren oder desorientiert sind und deswegen Verkehrsunfälle verursachen können.
Vertreibt Wolf Hirsche?
Schäden vergüten
Massnahmen zur Wildschadenverhütung und -vergütung liegen in der Kompetenz der Kantone – und sind denn auch sehr unterschiedlich geregelt. Grundsätzlich können Entschädigungen für Wildschäden an landwirtschaftlichen Kulturen beansprucht werden. Landbewirtschafter haben aber die zumutbaren Wildschadenverhütungsmassnahmen zu leisten, wofür ebenfalls Beiträge bezahlt werden können. So beispielsweise für Einzäunungen von wildschadengefährdeten Wiesen wegen Rotwild oder auch von Mais, heisst es in der Schwyzer Jagd- und Wildschutzverordnung. Schäden sind zu melden und werden von der Wildhut beurteilt, bei Bedarf zusammen mit einem landwirtschaftlichen Sachverständigen. Je nach Kanton gibt es aber eine Bagatellgrenze von 100 Franken oder mehr.
Dass sich Hirsche in Maisfeldern tummeln, aber auch gütlich tun, ist nicht neu. Schon vor Jahren gab es deswegen Meldungen im «Bote der Urschweiz» über Schäden in Ausserschwyz. Und die BauernZeitung berichtete schon 2020, dass der Hirsch nicht nur jungen Mais zum Fressen gern habe, sondern neu auch im Sommer Lust auf Mais habe und es deswegen grosse Probleme in Ackerbauregionen gebe. In vielen Regionen werde deshalb Mais eingezäunt, nicht nur wegen Wildschweinen, sondern auch, um Hirsche abzuhalten. Denn ohne Schutzmassnahmen könnten auch keine Entschädigungen bei Schäden durch Wildtiere geltend gemacht werden.
Laut Aussagen von betroffenen Landwirten würden allerdings Hirsche teils trotz Einzäunungen in Maisfelder gelangen. Dass sie vermehrt auch im Schwyzer Talboden auftauchen, hänge wohl nicht nur mit der Zunahme der Maisfelder zusammen. Vermutet wird, dass sie sich wegen des in der nahen Bergregion gesichteten Wolfsrudels ins Tal flüchten.
Population nimmt zu
Die Einwanderung der Hirsche vom Berggebiet ins Mittelland ist seit vielen Jahren Realität. Das wurde schon in der Studie «Habitatwahl der Rothirsche im Mittelland» der Uni Bern 2019 bestätigt. Schon damals wurde festgestellt, dass es im Mittelland Hirsche gibt, die tagsüber nicht mehr den Wald, sondern hochwüchsige landwirtschaftliche Kulturen wie Raps oder Sonnenblumen und später den hochgewachsenen Mais aufsuchten, wie Christian Willisch von der Abteilung Wildtiere der Vetsuisse-Fakultät der Uni erklärt.
Scheu verloren
Und dass sie den Menschen nicht mehr grossräumig ausweichen, sondern sich teilweise sogar tagsüber in der Nähe von Siedlungen und Wegen aufhalten. Nachts würden Hirsche das Offenland für die Nahrungssuche nutzen.
Dass sich die im Mittelland zunehmende Population an Rotwild hochwachsende landwirtschaftliche Kulturen zunutze macht, wurde auch in einer Semesterarbeit an der Fachhochschule für Landwirtschaft HAFL 2022 nachgewiesen. Das Rotwild habe sich stark an die Gegebenheiten im Mittelland angepasst und nutze Ackerkulturen tagsüber als Habitat. Berichtet wurde aufgrund von Drohnenaufnahmen von Maisparzellen, wo ganze Pflanzen umgeknickt waren.
Kaum Verkehrsgefährdung
Auch im Kanton Luzern sind Fälle von Hirschen im Maisfeld bekannt, bestätigt Christian Hüsler, Fachbereichsleiter Jagd und Wildhüter bei der Dienststelle Landwirtschaft und Wald. Es seien aber eher Einzeltiere, welche keine grossen Schäden anrichten würden. Das seien meist Junghirsche, welche viel herumwanderten, um ein gutes Habitat zu finden. Gelegentlich wurden auch Familienverbünde aus zwei bis vier Tieren festgestellt.
Von einer Gefährdung des Verkehrs sei ihm aus dem Kanton Luzern nichts bekannt, da die Hirsche erst in der Dämmerung aus den Maisfeldern kämen und sich dann auf den angrenzenden Wiesen satt fressen. Dieses Verhalten sei nichts Aussergewöhnliches, auch die verwandten Rothirsche aus den Bergen würden in der Dämmerung die offenen Flächen aufsuchen.
Ein grösseres Risiko ortet Hüsler während der Brunftzeit, wenn in Rothirschgehegen im Mittelland Hirschkühe brünstig sind. Die wilden Hirsche würden von deren Pheromonen angelockt, hielten sich dann längere Zeit in der Nähe dieser Gehege auf und verhielten sich dann unberechenbar. Solche Hirsche könnten dann unvermittelt auf Strassen springen und Unfälle verursachen.
Aargau noch wenig Hirsche
Im Vergleich zu Schwyz oder Luzern sei die Population an Rothirschen im Aargau erst gering, sagt Erwin Osterwalder von der Sektion Jagd und Fischerei bei der Abteilung Wald. «Die Einwanderung und Ausbreitung hat erst begonnen.» Somit seien auch Einstandsschäden wegen Hirschen im Mais oder Verkehrsunfälle deswegen eher selten. Einzäunungen von Kulturen erfolgen vor allem wegen der Wildschweine, wo Schäden viel häufiger seien. Eine Zaunpflicht zur Schadenverhütung bestehe allerdings bei Mais nicht, die gelte nur für sehr teure Kulturen wie Gemüseparzellen.
Diskussion um Wildbestände
Im Kanton Luzern gibt der Einfluss der Wildbestände auf die natürliche Waldverjüngung seit einigen Jahren viel zu reden. In einigen Gebieten bestehe in der Tat eine starke Beeinträchtigung sensibler Hauptbaumarten wegen hoher Wildbestände, heisst es in einer Präsentation der Luzerner Dienststelle Landwirtschaft und Wald (Lawa). Es brauche deshalb ein gemeinsames Verständnis zur Bedeutung des Wildeinflusses für die Anpassung des Waldes an den Klimawandel und eine gemeinsame Strategie zur Senkung des Wildeinflusses auf den Wald.
Gemäss der jährlichen Umfrage von Wald Luzern bei den Betriebsförstern werden die Bestände beim Rehwild im ganzen Kanton derzeit als überdurchschnittlich beurteilt. In Problemgebieten müsse eine Reduktion der Wildbestände angestrebt werden. In einigen Gebieten seien auch die Rotwildbestände stark steigend, die zunehmenden Verbissschäden würden die Naturverjüngung gefährden. Gemäss den Rückmeldungen der Betriebsförster werde der Schalenwildeinfluss auf die Naturverjüngung von Jagdgesellschaften teilweise bagatellisiert, die sähen das als alleiniges Problem der Waldeigentümer. Die Jagd müsse aber ihren Teil zur Lösung des Problems beitragen, fordert Wald Luzern.