Dingenhart Auf dem Acker hoch über Frauenfeld wachsen Pflanzen, deren Halme und Blätter an Mais erinnern und eine Höhe von bis zu 120 cm erreichen. Doch statt feste Kolben tragen sie wedelartige Rispen, an denen sich feine Körner ausbilden. Es handelt sich um Sorghumhirse, welche Christoph und Anita Friedinger aus Dingenhart zur Nahrungsmittelproduktion anbauen. In diesen ­Tagen, wenn das Wetter einigermassen trocken bleibt, wird es Zeit für die Ernte.

Sorghum-Pilotjahr 2018 

Ursprünglich angeregt wurde der Anbau dieses exotischen Getreides von einem Onkel, der als Sozialarbeiter Kontakt zu Flüchtlingen aus Eritrea hat und so auf die Sorghumhirse als Grundnahrungsmittel aufmerksam ­geworden war. So kam es, dass Christoph Friedinger, der auf seinem Betrieb vor allem Mais, Zuckerrüben, Raps, Eiweisserbsen, Weizen, Gerste und Dinkel anbaut, im vergangenen Jahr zum ersten Mal probeweise Körner-Sorghum angesät hat. "Das heisse und trockene 2018 war ideal für dieses Getreide, das besonders dürreresistent ist", stellt Friedinger fest. «Allerdings kann man nicht jedes Jahr mit solchen top Voraussetzungen rechnen.»

Robuste und dürreresistente Pflanze

Nachdem er für die erste Ernte genügend Abnehmer finden konnte, hat er es diesen Frühling erneut gewagt. "Die Pflanze ist empfindlich auf Kälte. Daher ist es wichtig, mit der Aussaat zu warten, bis es genügend warm ist", sagt Christoph Friedinger, der auch Rindermast betreibt und als Lohnunternehmer tätig ist. Die Aussaat auf 40 Aren erfolgte am 25. Mai mit der Einzelkornsämaschine für Rüben, der Reihenabstand beträgt 45 cm. Auf den Acker, der vorher mit Kunstwiese begrünt gewesen war, wurde vor dem Ansäen etwas Mist ausgetragen, später gab es zusätzlich 60 kg N/ha.

Viel Düngung benötige es nicht, betont Friedinger, der vieles selbst ausprobieren muss, weil es hierzulande wenig Erfahrungen im Anbau von Sorghum gibt. Im Fünfblattstadium hat er Herbizid gespritzt. "Aber man könnte auch darauf verzichten, Striegeln und Hacken würden reichen", ist der Thurgauer überzeugt. Beizukommen ist vor allem Spätkeimern wie Melde, Unkraut-Hirse und Amaranth.

Getreide muss getrocknet werden

Auch was Krankheiten anbelangt, hat sich die Kultur bisher als wenig anfällig gezeigt. «Sorghum ist sehr robust», so Christoph Friedinger. "Heikel wird es erst im Herbst bei feuchtem Wetter, wenn die Körner nicht genügend austrocknen können." Letztes Jahr war es so trocken, dass dies kein Thema war, obwohl die Anbaulage mit 550 m ü. M. für Sorghum an der oberen Grenze ist.

Dieses Jahr jedoch hat es immer wieder mal geregnet. Daher muss die Ernte nach dem Dreschen in eine Trocknungsanlage gebracht werden. Eine solche zu finden, war nicht einfach. "Die Anlagenbetreiber in der Umgebung haben alle abgewinkt", sagt Friedinger, der mit einem Kornertrag von 1,5 bis 2 Tonnen rechnet. "Es hiess überall, die Menge sei zu gering oder man kenne dieses Getreide nicht.» Für den Landwirt ist dies frustrierend: "Es heisst immer, man solle Neues ausprobieren, aber wenn man es dann tut, steht man vor verschlossenen Türen." Fündig geworden ist er schliesslich bei einem Bio-Gemüsebetrieb in der Region mit einem geeigneten Paloxentrockner.

Glutenfreie Körner

Die Suche nach einer passenden Mühle erwies sich ebenfalls als nicht einfach. So eignet sich nicht jede Mühle zum Mahlen des Sorghumkorns. Mit der Mühle Entenschiess in Oberneunform konnte schliesslich auch diese Hürde genommen werden. Allerdings gibt es hier einen Wermutstropfen: Da die Mühle nicht nach jedem Mahldurchgang gereinigt wird, kann nicht ausgeschlossen werden, dass einzelne Weizenkörner ins Mehl gelangen. Dadurch kann das Sorghummehl nicht als glutenfrei verkauft werden – was es aber eigentlich wäre.

Zopf backen und kochen wie Reis

Die grösste Herausforderung jedoch ist die Vermarktung von Sorghum, das in Form von Mehl und Körnern in den Verkauf kommt. Solange keine grössere Produktionsmenge garantiert werden kann, ist wohl mit einem Grossistenvertrag nicht zu rechnen. Abnehmer sind bislang vor allem Claro-Läden und einzelne Geschäfte in der Region. Das Ehepaar Friedinger betreibt zudem eine Homepage mit einer Online-Bestellmöglichkeit.

"Viele Leute haben noch nie etwas von Sorghum gehört. Doch immer häufiger melden sich nun Interessenten, die das fremde Getreide bestellen und ausprobieren wollen", erzählt Anita Friedinger, die sich um die Vermarktung kümmert. "In unserer Küche gehört Sorghum inzwischen zum Alltag." Ihre Zöpfe backe sie fast nur noch mit Sorghummehl. Die Körner zudem liessen sich wie Reis kochen. Wer damit koche, stelle schnell fest, dass es sehr sättigend sei, so die Bäuerin. Für die ansehnliche Sorghum-Rezeptliste auf der Homepage sorge auch ihre Schwiegermutter, die gerne Neues ausprobiere.

Klimawandel spricht für Sorghum

Obwohl das Sorghum-Projekt mit viel Aufwand verbunden ist, möchte die Familie Friedinger weitermachen und den Anbau nach Möglichkeit ausweiten. "Da wir nur im Kleinen produzieren, haben wir viele Extrakosten zu tragen", stellt Anita Friedinger fest. Um mehr produzieren zu können, müsste aber auch die Aussicht auf eine breit abgestützte Nachfrage bestehen. Neue Absatzkanäle zu finden und weitere Kunden zu erreichen, nehme jedoch viel Zeit in Anspruch. Hilfreich wäre es ausserdem, sich dereinst einem Label anzuschliessen und das Mehl garantiert glutenfrei verkaufen zu können, um auch Zöliakiebetroffene ansprechen zu können. "Wir schauen nun Schritt für Schritt, wie es weiter geht", meint Anita Friedinger. Ihr Mann fügt hinzu: "Langfristig gesehen spricht das immer trockenere Klima für einen erfolgreichen Anbau von Sorghum."

Weitere Informationen: www.sorghum-hirse.ch

 

Ein vielseitiges Getreide

Sorghum ist eine grosskörnige Hirse, gehört zur Familie der Süssgräser und stammt ursprünglich aus Ostafrika, wo es das bedeutendste Grundnahrungsmittel ist. Sorghum wird heute weltweit angebaut und ist die fünftwichtigste Ackerbaukultur. Mancherorts wird aus Sorghum auch Bier gebraut oder, wie in China, auch Schnaps gebrannt. Zudem ist es im Futteranbau bekannt, wo es hauptsächlich als Ganzpflanzensilage verwendet wird. Auch wird die Pflanze in einigen Ländern als Energielieferant genutzt, indem aus dem Zucker Ethanol hergestellt wird. Auch hierzulande macht sich das Getreide immer mehr einen Namen, vor allem im Futterbau.

Sorghum als Lebensmittel kann in Form von Körnern (z. B. als Couscous, Risotto) verwendet werden oder als Mehl (z. B. Fladenbrot, Zopf) Es enthält verschiedene Vitamine und Mineralstoffe, wobei besonders die hohen Gehalte an Magnesium und Eisen zu nennen sind, und gilt als gesundes Getreide. Zudem sind die Körner frei von Gluten und eignen sich daher auch für Menschen mit Zöliakie.