Die Initianten, verschiedene Natur- und Umweltverbände, argumentieren, die Schweiz unternehme zu wenig für den Erhalt der Natur. Um dies zu ändern und die biologische Vielfalt zu sichern, sollen 30 Prozent derLandesfläche unter Schutz gestellt werden. Der Schweizer Bauernverband (SBV), der die Initiative ablehnt, spricht von 880 000 ha Biodiversitäts-Flächen, die zusätzlich zu den heutigen Flächen ausgeschieden werden müssten. Die Initiative sei unnötig, unverhältnismässig und teuer. Die öffentliche Hand wäre gemäss Schweizer Bauernverband mit jährlichen Mehrausgaben von 375 bis 440 Mio Franken konfrontiert.
Delegierte entscheiden
Für die Biodiversitäts-Initiative gibt es in der Landwirtschaft Befürworter und Gegner. Mit Spannung wird die Debatte innerhalb der Bio-Szene verfolgt. Der Bio-Suisse-Vorstand stimmte an seiner Sitzung vom Januar 2023 der Biodiversitäts-Initiative beziehungsweise einem allfälligen Gegenvorschlag zu. «Nicht mit uns», sagte sich die Mitgliederorganisation (MO) Bio Ostschweiz und stellte den Antrag, dass nicht der Vorstand die Parole fassen soll, sondern die Delegierten. Dies wird an der Frühlings-DV am 17. April geschehen.
Roland Lenz macht sich stark für die Biodiversitätsinitiative
Pro: «Biodiversität ist der beste Pflanzenschutz»
«Der Biodiversitäts-Bericht 2023 des Bundesamts für Umwelt (Bafu) dokumentiert eindrücklich, dass es um unsere Artenvielfalt und somit um unsere Lebensgrundlagen miserabel steht. Fakt ist, dass die noch intakten Lebensräume schlecht verteilt, meist isoliert und zu klein sind. Gerade im Mittelland, wo die meisten Menschen leben und die meisten Lebensmittel produziert werden, ist pure Monotonie Realität. [IMG 2]
Der Grundsatz «Nur vielfältiges Leben erhält Leben am Leben» überträgt allen, die das Privileg haben, ein Stück Land zu begleiten und zu gestalten, eine riesige Verantwortung. Dieses Bewusstsein hat uns vor 15 Jahren bewogen, eine Biodiversitäts-Strategie für unseren Betrieb zu entwickeln. Seither renaturieren wir unsere Weingärten kompromisslos.
Heute wissen wir, dass das Zusammenspiel von lebendigem Boden, robusten Kultursorten und viel Diversität unsere Unabhängigkeit und Wirtschaftlichkeit extrem gesteigert hat. Und dabei spielt die vernetzte Biodiversität eine entscheidende Rolle: Sie ist unsere beste «Pflanzenschutzwaffe», sie wirkt sich unglaublich positiv auf unser Bodenleben aus, sie schont unsere natürlichen Ressourcen und sie hält uns Menschen gesund.
Einzig pulsierender, fruchtbarer Boden wird uns langfristig ernähren. Tatsache ist, je vielfältiger die Landschaft ist, umso vielfältiger ist das Bodenleben. Denn 90 % der Biodiversität spielt sich im Boden ab. Sie hilft entscheidend mit, den Boden fruchtbar zu halten. Das zeigt sich bei uns eindrücklich im Humusaufbau und in der Stabilisierung unserer Erträge und Qualitäten. Trotz der Renaturierung von 17 % unserer Weingärten zu vernetzten natürlichen Lebensräumen sind die Erträge gleich gross wie zuvor. Menschen fühlen sich in Landschaften mit reicher Biodiversität besonders wohl. In solch intakten Gebieten zu arbeiten, motiviert unglaublich und die Arbeitsleistung ist deswegen höher.
Das zeigt, dass ein gut vernetztes Biodiversitäts-Management mithilft, die landwirtschaftliche Produktivität zu steigern und zusätzlich Ressourcen einzusparen. Das bestätigen zudem die Mitgliederbetriebe von «Bio Etico», wo die Diversität im Zentrum des Schaffens steht.
Wir wissen aus Erfahrung, dass das Renaturieren von monotonen Lebensräumen zu funktionierenden Lebenskreisläufen Zeit und Geld kostet. Doch dank der Biodiversitäts-Initiative erhalten wir das Instrument, mit dem uns die Gesellschaft finanziell unterstützt und selber auch in der Pflicht steht.»
Heinz Höneisen ist gegen die Initiative
Kontra: «Biodiversität soll freiwillig bleiben»
«Seit wir beim Biodiversitäts-Projekt «Zielorientierte Biodiversitäts-Förderung (ZiBiF)» vom Kanton Zürich mitmachen, bin ich ein Biodiversitäts-Fan geworden. Das Projekt gestattet den Bauern, Massnahmen zur Förderung der Biodiversität in Eigenverantwortung durchzuführen. Biodiversität ist mir von dem Tag an wichtig geworden, als ich selbstständig die Massnahmen umsetzen durfte und feststellte, dass sich diese positiv entwickelten. [IMG 3]
Auf unserem Betrieb wird Biodiversität heute wie eine unserer Kulturen gepflegt. Und: Sie ist nicht nur mir wichtig, sondern auch vielen anderen Landwirt(innen). Wenn ich im Zürcher Weinland die Getreidefelder anschaue, ist fast alles in weiten Reihen gesät worden. Es wird etwas Geduld brauchen, bis die Bodenbrüter die Felder finden und sich die Populationen diverser Vogelarten erholt haben. Ich bin gespannt, wie sich das Projekt weiterentwickeln wird.
Nun steht wieder eine Abstimmung vor der Türe: die Biodiversitäts-Initiative. Von der wir bei einer Annahme des Gesetzestextes, der noch entstehen muss, die Vorgaben nicht kennen. Aber in erster Linie würden wir, die landwirtschaftlichen Betriebe, neue Auflagen und Bestimmungen auferlegt bekommen.
Ich finde es schade, dass die Naturschutzverbände Äpfel mit Birnen vergleichen. Grosse europäische Länder mit 100 % Selbstversorgung werden mit der Schweiz mit ihren 50 % und ihrer bergigen Topografie in den gleichen Topf geworfen. Wir sollen nun gemäss EU-Ziel insgesamt 30 % Biodiversitäts-Flächen ausweisen und 25 % der Fläche sollte biologisch bewirtschaftet werden. In der Schweiz sind die Bio- und die IP-Suisse-Flächen wohl schon heute in diesem Prozentsatz. Von der nutzbaren landwirtschaftlichen Fläche in der Schweiz sind 58 % Naturwiesen und Weiden – und da lebt viel Biodiversität. Ob wirklich in allen Ländern mit dem gleichen Massstab gemessen wird, wage ich zu bezweifeln.
Viele werden mit dem Finger auf uns Bauern zeigen und «Ja» stimmen. Praktisch alle diese «Ja-Stimmbürger» werden aber nie für die Folgen ihres Jas im Alltag, in der Freizeit oder in den Ferien die Konsequenzen tragen müssen. Wir Bauern aber schon.
Ich bin gegen eine Ausdehnung von Biodiversitäts-Vorschriften von staatlichen Direktiven und plädiere für eine Umsetzung auf freiwilliger Basis oder in Projekten wie der ZiBiF. Nebenbei: die grösste Biodiversitäts-Vielfalt findet man in Brasilien im Regenwald – und der wird leider abgeholzt.»