Was Waldbesitzer und Waldbesitzerinnen bereits tagtäglich beobachten, zeigt nun auch das diesjährige Wildschadengutachten des Kantons: Die Wildschadensituation im Kanton Bern hat sich verschlimmert.

Auf rund 80'000 ha Wald – das sind rund 50 % der Waldfläche des Kantons – können laut Untersuchung klimataugliche Baumarten nicht ohne Schutz gegen das Schalenwild aufwachsen. «Das bedeutet nichts anderes, als dass die Walderhaltung in grossen Teilen des Kantons Bern gefährdet ist», so Beat Zaugg, Präsident der Berner Waldbesitzer (BWB), an der Medienveranstaltung im Huttwiler Wald.

Naturverjüngung fast nur mit Fichte möglich

Das Problem bestehe jedoch nicht erst seit gestern, weiss Beat Zaugg. Ein Beispiel dafür zeigt sich auf einer Waldfläche im Huttwiler Wald. Der vor 25 Jahren wütende Sturm Lothar sorgte hier für grossen Schaden. Mithilfe unterschiedlicher zukunftsfähiger Baumarten wie Douglasie, Lärche, Bergahorn und Föhre habe der Waldbesitzer versucht, eine Wiederbewaldung vorzunehmen, so Zaugg.

Eine Naturverjüngung passiere fast nur mit der hitzeempfindlichen und käferanfälligen Fichte, sodass fast alle Bäume aufwendig vom Forstteam gepflanzt und vor dem Wild geschützt werden mussten. Ohne den grossen Aufwand des Waldbesitzers würden heute Sträucher statt Bäume das Waldbild dominieren, so Zaugg.

Eine Verjüngung wäre möglich

Dass eine Naturverjüngung möglich wäre, lässt sich auf einer kleinen eingezäunten Fläche im Wald zeigen, die als Demonstrationsversuch angelegt wurde. Hier wachsen zukunftsfähige Baumarten wie Weisstanne, Eiche und Buche ungestört vom Wild auf. Ein Grossteil der Bäumchen ausserhalb der Einzäunung hingegen zeigt Verbissspuren und kann nicht zu zukunftsfähigen Bäumen heranwachsen.

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Vonseiten des zuständigen Amtes heisse es, die Waldbesitzer müssten Holzschläge vornehmen, um genügend Licht für den Jungwuchs zu schaffen, so Beat Zaugg. Für den Präsidenten der BWB klingt dieses Argument zynisch. In vielen Regionen würden Waldbesitzer bereits seit 15 Jahren versuchen, für Verjüngung zu sorgen, jedoch werde ein Grossteil der Jungbäume im Keimlingsalter abgefressen oder später verbissen.

Walderhaltung muss ohne Schutzmassnahmen möglich sein

Doch wer ist zuständig für die Wildregulierung? Laut dem Schweizer Waldgesetz sind es die Kantone. Sie haben den Wildbestand so zu regeln, dass die Walderhaltung und primär die Verjüngung mit standortgerechten Baumarten ohne Schutzmassnahmen möglich ist.

Wegen der seit Jahren kritischen Werte und der laufenden Verschlechterung fordern die Berner Waldbesitzer die zuständigen Behörden auf, ihre Verantwortung wahrzunehmen sowie die Bemühungen der Waldbesitzer und Waldbesitzerinnen für einen zukunftsfähigen Wald zu unterstützen.

Schutzwaldfunktion ist gefährdet

Neben der Biodiversität im Ökosystem und der Holzproduktion sei auch die Schutzwaldfunktion gefährdet, erklärt Anja Leser, Geschäftsführerin der BWB. Dörfer seien an Orten entstanden, die durch den Wald vor Lawinen, Murgängen und Hangrutschen geschützt würden.[IMG 4]

Doch genau an diesen Standorten habe sich das Rotwild stark ausgebreitet. «Müsste die Schutzwaldfunktion kantonsweit mit technischen Verbauungen ersetzt werden, würde dies rund zehn Milliarden Franken kosten», verdeutlicht Leser weiter.

Resultat des Wald-Wild-Konzepts ist ernüchternd 

Heinz Tschiemer aus Habkern, Vorstandsmitglied BWB Sektion Oberland, kommt aus so einem Gebiet, in dem der Rothirsch bereits jahrzehntelang ein grosses Problem darstellt. Anders als Rehe geht der Hirsch auch an ältere Bäume im Stangenholzalter.

Aufgrund des Klimas setzt sich der Waldbestand im Berggebiet grösstenteils aus Fichten zusammen. Angesichts des Klimawandels versuche man auch hier den Jungwuchs mit trockenheitsresistenten und wärmetoleranten Baumarten – was meist auf Laubbäume zutrifft – zu gestalten, so Tschiemer weiter. Doch auch Hirsch und Reh würden diese Bäume bevorzugen und stattdessen die weniger schmackhaften und nicht zukunftsfähigen Fichten stehen lassen.

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Das Resultat des im Jahr 2021 in Habkern erstellten Wald-Wild-Konzepts, welches in Regionen erstellt werden muss, wenn die Schäden untragbar sind, ist laut Tschiemer ernüchternd: «Ich habe mit einem Jagdkundigen, der in unserem Gebiet die Wildhut beaufsichtigt, telefoniert und er meinte, man spreche nun zusammen, ansonsten passiere jedoch nicht viel.»

Die grössten Schäden in Banngebieten

Auffällig sei zudem, dass es sich bei den Gebieten, in denen Wald-Wild-Konzepte erstellt werden mussten, um eidgenössische Jagdbanngebiete handle, so Heinz Tschiemer. Diese Gebiete gelten als Ruhezonen, in die sich die Tiere zurückziehen und nicht gejagt werden können.

Laut Tschiemer sind diese Zonen wichtig, vor allem für bedrohte Tierarten. Weil der Rothirsch sich vermehrt in diese Gebiete zurückziehe, komme es dort zu Ballungen und infolgedessen zu den grössten Schäden, so Tschiemer. Grosse Hoffnung besteht laut Anja Leser in der Wald-Wild-Lebensraumstrategie von Grossrat Bernhard Riem.

«Das Ersetzen durch Verbauungen würde rund 10 Milliarden Franken kosten»  

So Anja Leser, Geschäftsführerin der Berner Waldbesitzer.

Diese wurde – als Motion im Grossen Rat eingereicht – fast einstimmig angenommen. Sie fordert die Regierung auf, innert nützlicher Frist aufzuzeigen, mit welchen Massnahmen und bis wann die Wildbestände im gesamten System Wald angepasst werden können.

Das Augenmerk nicht nur auf untragbare Flächen setzen

Laut Beat Zaugg muss das Augenmerk nicht nur auf Flächen mit einer untragbaren Wildschadensituation gelegt werden, sondern auch auf Flächen mit dem Status kritisch oder tragbar, um eine weitere Verschlechterung der Situation zu verhindern.

Eine Ausarbeitung der Strategie erfolgt bis diesen Herbst. Der Entscheid, mit welchen Massnahmen die Ziele erreicht werden sollen, liege jedoch bei der zuständigen Direktion, so Zaugg.

Wandfluh reicht Motion ein

Mitte März reichte Nationalrat Ernst Wandfluh eine Motion mit dem Titel «Jagdbanngebiete erhalten und vor übermässigem Schaden schützen» ein. Darin fordert Wandfluh den Bundesrat auf, das Jagdgesetz so anzupassen, dass die Jagd auch in Jagdbanngebieten durchgeführt werden kann. Eine Öffnung solle dann erfolgen, wenn sie für den Schutz der Lebensräume, für die Erhaltung der Artenvielfalt oder zur Hege oder zur Verhütung von übermässigen Wildschäden notwendig sei, heisst es im Motionstext. Um das Regulierungsziel effektiv zu erreichen, sollen auch nicht-behördliche Jagdberechtigte im Falle einer nachgewiesenen Schadenssituation einbezogen werden können, fordert der Nationalrat weiter.