Vergangene Woche versammelte sich die Fachgruppe Tafelkernobst des St. Galler Obstverbands unter der Leitung des Obstbauberaters Richard Hollenstein auf dem Betrieb von Alex und Rita Popp in Steinach. An drei Posten konnten sich die Produzenten über Pflanzenschutz, Bodenfruchtbarkeit und Düngung sowie Biodiversität informieren. Diese drei Handlungsfelder sind Teil der Branchenlösung «Nachhaltigkeit Früchte». Die Branche entwickelte auf März 2022 einen Katalog von neun Handlungsfeldern mit insgesamt 92 Massnahmen.
Pflichtprogramm PSM
Viel Zeit hatten die Kernobstproduzenten nicht, sich damit vertraut zu machen. Sie mussten sich bereits auf den 30. April 2022 anmelden und ankreuzen, was sie auf ihrem Betrieb umsetzen wollen. Auf Herbst 2022 wird die überwiegende Mehrheit der Detailhändler nur noch Kernobst akzeptieren, welches im Minimum 30 Punkte von der Massnahmenliste erfüllt. Der Vorteil dieser doch sehr umfangreichen Checkliste sei, dass jeder Produzent diejenigen Massnahmen wählen könne, die für seinen Betrieb passen. Am herausforderndsten ist der Pflanzenschutz, dieser gehört auch zu den Pflichtpunkten.
So halten die nachhaltigen Obstproduzenten Schadschwellen ein und sind Abonnenten der Warndienstbulletins und Prognosemodelle der Beratungsdienste. Antidriftdüsen sind Pflicht. Nichtsdestotrotz steigen die Anbaurisiken von Jahr zu Jahr. «Immer mehr Wirkstoffe und Mittel fallen weg», sagte Richard Hollenstein und machte darauf aufmerksam, dass damit auch die Resistenzgefahr steige.
Markt gibt Qualität vor
Erwerbsobstbau ohne Pflanzenschutzmittel sei eine Illusion, sagt der Berater gegenüber der BauernZeitung. Er hofft, dass künftige Gespräche mit der Zulassungsbehörde, dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen fruchten werden. «So kann es nicht weitergehen, die Spirale dreht und dreht sich. Dabei wird es immer schwieriger, den Qualitätsansprüchen des Handels und der Konsumenten gerecht zu werden», so Hollenstein.
Klar setzen die Obstproduzenten auf biotechnische Verfahren wie die Verwirrungstechnik bei Wicklern oder auf biologische Verfahren wie die aktive Nützlingsförderung, zum Beispiel die der Raubmilbenförderung. Um Krankheiten und Schädlinge im Griff zu haben, sind je nach Produktionsrichtung chemisch synthetische Pflanzenschutzmittel oder Biozide notwendig. «Das unternehmerische Risiko muss abschätzbar sein, sich in Grenzen halten» findet Hollenstein.
Einbussen vorprogrammiert
Diesbezüglich lässt die Branchenlösung «Nachhaltigkeit Früchte» den notwendigen unternehmerischen Spielraum. Anders sieht es bei den Bundesprogrammen aus. Auf 2023 tritt nämlich das Verordnungspaket zur parlamentarischen Initiative 19.475 in Kraft.
Mit diesem Absenkpfad werden die Versorgungssicherheitsbeiträge von Fr. 900.–/ha aufFr. 600.– gesenkt. Diese Reduktion kann der Landwirt durch freiwillige Produktionssystembeiträge kompensieren, was bedeutet: «Gleicher Lohn für Mehrleistung oder weniger Lohn bei gleicher Leistung.» In den nächsten Tagen verschickt der Berater an all seine Produzenten ein Merkblatt, auf dem detailliert aufgeführt ist, wie der Landwirt diese Programme umsetzen kann. Für die Dauerkulturen im Obstbau gelten:
- Verzicht auf Insektizide, Akarizide und Fungizide nach der Blüte. Biomittel darf man anwenden. Der Kupfereinsatz ist jedoch pro Hektare und Jahr limitiert und muss tiefer sein als bei Bio.
- Bewirtschaftung mit Hilfsmitteln der biologischen Landwirtschaft.
- Verzicht auf Herbizide.
- Nützlingsstreifen in Dauerkulturen.
Den höchsten Beitrag mit Fr. 4000.–/ha gibt es für Nützlingsstreifen. «Aber kein Betrieb wird mehr als die geforderten 5 s der Fläche mit einem Nützlingsstreifen belegen – dafür erhält er dann nur gerade 200 Franken», sagt Hollenstein.
Er glaubt nicht, dass diese neuen Beiträge bei den professionellen Obstbaubetrieben auf grosse Resonanz stossen werden: «Es gilt abzuwägen, mit welchen Produktionssystembeiträgen das Unternehmerrisiko steigt infolge der Einbussen an Menge und Qualität oder Minderung der Lagerfähigkeit der Früchte.»
Verpflichtung für vier Jahre
Ein Produzent, der seine Unternehmerstrategie auf die marktkonforme Früchteproduktion in Menge und Qualität ausgerichtet hat, werde schnell feststellen müssen, dass die Beiträge nur in kleinem Umfang das steigende Unternehmerrisiko auffangen können. Erschwerend komme hinzu, dass man sich dabei für vier Jahre verpflichten müsse.
Düngung nach Bedarf, oder?
Noch viel einschneidender für viele Spezialkulturbetriebe und quer zur oben genannten Betriebsstrategie sei, dass auf 2024 die Fehlerbereiche von plus 10 % bei Stickstoff und Phosphor aufgehoben werde, sagt Richard Hollenstein und fährt fort: «Das engt den Spielraum auf den Betrieben enorm ein, was die Nährstoffversorgung der Bäume betrifft. Ein Obstbaum ist ein sensibles Wesen. Der Produzent kann nicht reagieren, wenn der Baum ‹Hunger› hat.»
