Jährlich werden nach Schätzungen von Pro Natura rund 500 Hektaren Wiesen in der Schweiz neu angelegt oder aufgewertet. In der Regel greifen Landwirte in diesen Fällen zu Saatgut aus dem Handel, aber auf rund 5 Prozent der Flächen wird durch Mahdgutübertragungen angesät. Es dürften mehr sein, sowohl aus ökologischer als auch aus agronomischer Sicht.
Bestätigte Vorzüge
Um mit einer Wiese QII zu erreichen, kann man sie entweder ausmagern oder – was schneller geht – neu ansäen. Direktbegrünungen wie die Mahdgutübertragung haben mehrere Vorteile, die zum guten Gelingen einer Ansaat und zur Förderung der Biodiversität beitragen:
- Förderung von lokalen Ökotypen der Wiesenpflanzen
- Lokale Wiesenzusammensetzung (Artenverhältnisse)
- Neben Zeigerarten werden auch Pilze, Moose usw. übertragen, die für die Entwicklung der Wiese förderlich sind.
- Die Pflanzen etablieren sich gut (feuchtes Mikroklima im übertragenen Schnittgut).
- Insekten und Spinnen reisen mit.
- Erosionsschutz durch das deckende Pflanzenmaterial.
Diese Vorzüge bestätigen zwei Studien von der Uni Bern und vom Biologen Wolfgang Bischoff. Letzterer hat dreizehn Direktbegrünungen im dritten Jahr nach der Ansaat mit fünfzehn Flächen verglichen, die mit Saatgut aus dem Handel angesät worden sind. Nach einer Mahdgutübertragung waren mehr QII-Arten zu finden, als wenn Standard- oder Spezialsaatgut (mit extra höherem Anteil QII-Arten) zum Einsatz kam. Pro Natura sieht daher in diesem Verfahren eine effiziente Möglichkeit, die insbesondere im Talgebiet bestehenden Defizite bei artenreichen Wiesen zu reduzieren.
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Wissen ist vorhanden
«Hat ein Standort Potenzial für eine schöne, artenreiche Blumenwiese, macht eine Mahdgutübertragung immer Sinn, sofern eine geeignete Spenderfläche in der Nähe verfügbar ist», stimmt Bea Vonlanthen zu. Die Biologin von Agrofutura ist in zwei Förderprojekte in diesem Bereich in den Kantonen Zürich und Aargau involviert. Zu Beginn seien die Landwirte zwar jeweils skeptisch gegenüber dem durchaus aufwendigen Verfahren. Aber es funktioniere gut, «wenn man weiss, wie».
Das Wissen dazu ist vorhanden und verfügbar: Auf der Website des Projekts Regio Flora wird das genaue Vorgehen dargelegt, und es gibt ein ausführliches Merkblatt von Agridea zu Direktbegrünungen. Ausserdem führt Regio Flora ein Verzeichnis von Spenderflächen. «Ursprünglich sollte das Projekt den Verkauf von lokalem Saatgut unter Landwirten fördern», erklärt Corinne Zurbrügg von der Agridea, «von Bauer zu Bauer statt via Handel.» Doch erst wenige machen das, was nicht nur an der Bereitschaft der Landwirte liegt: Mögliche Spenderflächen müssen vom Kanton begutachtet, beurteilt und digital erfasst werden. Den Behörden fehle es teilweise an Zeit und Mitteln dafür, gibt Zurbrügg zu bedenken. Einige Kantone führen zudem ihre eigenen Spenderflächendatenbanken, da sie selber bestimmen möchten, welche Flächen für welche Aufwertungen verwendet werden sollen
So geht Direktbegrünung
Bei der Mahdgutübertragung wird eine Spenderfläche gemäht, wenn die Blumensamen in der Teigreife sind. Das Material verteilt man gleichmässig auf der nahen Empfängerfläche auf ein sauberes, feines Saatbett. Im feuchten Mikroklima des Mahdguts keimen die Samen gut. Ausserdem reisen weitere Arten wie Moose und Pilze sowie Insekten und Spinnen mit, womit die Fläche schnell besiedelt wird.
Klare Kriterien
Als Spenderfläche kommen nur Wiesen infrage, die in Klima, Bodeneigenschaften, Höhenlage, Exposition usw. der Empfängerfläche entsprechen. Wichtig ist, dass die Wiese autochthon, also selbst gewachsen oder schon vor Jahrzehnten angesät worden ist.
Vorher Aufwertung prüfen
Agridea rät im Merkblatt über Direktbegrünung, die Aufwertung von BFF langfristig zu planen. Vor einem Umbruch sei eine Aufwertung via Bewirtschaftung zu prüfen. Erfolgsbestimmend sei der Sameneintrag aus der Umgebung, die Bestandeswüchsigkeit und die botanische Zusammensetzung. Das (teilweise) Neuansäen mache Sinn, wenn die gewünschte Vielfalt trotz angepasster Bewirtschaftung ausbleibe.
Weitere Informationen: www.regioflora.ch
Das Merkblatt von Agridea «Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft» finden Sie hier.
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Auf nationaler Ebene voran
«Pro Jahr machen im Kanton Aargau zehn bis zwanzig Landwirte eine Direktbegrünung», so Bea Vonlanthen. Der Arbeitsaufwand und der Ertragsausfall für das Schnittgut der Spenderwiese werden vom Kanton mit 3000 Franken pro Hektare entschädigt, was das Ganze attraktiver macht. Das Beratungsprojekt Regio Flora war auf nationaler Ebene angesiedelt, ist aber 2020 ausgelaufen. Nun soll es wieder mehr Fahrt aufnehmen: «In Kooperation zwischen Info Flora, AGFF und der HAFL wurde im Frühling eine neue Geschäftsstelle mit einem 80-Prozent-Pensum geschaffen», sagt Corinne Zurbrügg hoffnungsvoll. Damit kann auch die Beratung rund um Direktbegrünungen ausgedehnt werden. Wer Interesse hat an einer Direktbegrünung, kann sich an die Zuständigen für die Biodiversität in der Landwirtschaft bei den Kantonen oder landwirtschaftliche Schulen und Berater von Vernetzungsprojekten wenden.
Es kann sich zusammengefasst durchaus lohnen, für eine QII-Wiese den Aufwand einer Direktbegrünung auf sich zu nehmen. Damit eine Wiese sich gut entwickelt, muss aber am Standort auch das Potenzial dafür vorhanden sein.
«Die Fläche wurde gut beurteilt»
Michael Suter führt in Hedschiken den Steinhof mit 80 ha LN und Milchwirtschaft. Der Landwirt hat bereits gute Erfahrungen gemacht mit der Direktbegrünung.
Wann haben Sie eine Direktbegrünung vorgenommen?
Michael Suter: Vor zwei Jahren haben wir zum ersten Mal eine Mahdgutübertragung gemacht, nächstes Jahr ist wieder eine geplant. Davor hatten wir schon Wiesen gedroschen und so die Samen übertragen.
Was waren die Gründe dafür?
Es ging um BFF, die QII nicht erreicht haben. Um sie aufzuwerten, wurde Schnittgut von einer unserer anderen, hochwertigen QII-Wiese übertragen. Für die Kosten gab es einen Beitrag vom Kanton.[IMG 4]
Wie sind Sie organisatorisch vorgegangen?
Wir wurden von Agrofutura beraten, und diese Fachleute haben das Prozedere mit dem Kanton übernommen sowie den passenden Schnittzeitpunkt der Spenderfläche angegeben. Das ist wichtig für die richtige Samenreife.
Wie sah das in der Praxis aus?
Die Wiese haben wir auf etwa 15 cm Höhe geschnitten, das Material aufgeladen und dann mit einem Kompoststreuer auf der Empfängerfläche verteilt, wo vorgängig ein Saatbett erstellt worden war. Mit dem Streuer gelang eine gleichmässigere Verteilung als von Hand, und der Aufwand ist kleiner. Die Halme dürfen aber nicht zu lang sein, sonst bleiben sie im Streuwerk hängen.
Sind Sie zufrieden mit dem Resultat?
Zuerst hatte ich schon meine Zweifel, aber das Resultat überzeugt. Die aufgewertete Wiese wurde gut beurteilt. Im Gegensatz zum Druschverfahren kann man bei der Mahdgutübertragung auch bei schwierigeren Bedingungen fahren, weil kein schwerer Drescher zum Einsatz kommt. Ausserdem ist der Bereich der Wiese, der übertragen werden soll, frei wählbar.
Würden Sie das Verfahren weiterempfehlen?
Ja, es funktioniert sehr gut und für mich ist interessant, dass man genau weiss, welche Samen man verteilt – im Gegensatz zu einem Sack Saatgut aus dem Handel. Es braucht aber zwingend eine Wiese, die eine Übertragung wert und in der Nähe ist
Lokale Ökotypen
BFF-Saatgut im Handel enthält in der Regel Schweizer Ökotypen, die in der Schweiz gesammelt bzw. vermehrt worden sind. Im Gegensatz dazu werden bei Direktbegrünungen Samen von nahen Spenderflächen und damit lokale Ökotypen übertragen, ohne dass dazwischen eine Vermehrung stattfindet. Diese Ökotypen sind besser an die kleinräumigen Bedingungen angepasst und daher widerstandsfähiger. «Je nach Standort unterscheiden sich die Arten etwa in der Blühreihenfolge und die Wiesen habe ein anderes Artverhältnis», hat Bea Vonlanthen beobachtet. Diese feinen Unterschiede machen es wahrscheinlicher, dass eine direktbegrünte Fläche auch noch Jahre später viele QII-Zeigerarten aufweist und somit entsprechende Beiträge sichert.
Im Handel ist teilweise auch Saatgut aus spezifischen biogeografischen Gebieten erhältlich, hier sei der Massstab allerdings grösser. Einige wenige Firmen (z. B. Holosem) haben sich aufs Sammeln von lokalen Samen für Ansaaten in der Nähe spezialisiert.