Herr Meyer, die Fondskasse für den Zuckermarkt ist von 40 Millionen Franken auf 8 Millionen Franken geschrumpft. Wie kam es dazu?

Das Geld im Zuckermarkt-Fonds ist da, um den Rübenpreis zu stützen, wenn die Zuckerpreise tief sind. Die letzten Jahre haben wir ihn gebraucht. Jetzt haben wir das Glück, dass der Zuckerpreis extrem gestiegen ist. Das heisst, wir brauchen im Moment kein Geld mehr aus dem Fonds, damit wir vernünftige Rübenpreise bezahlen können. Im Gegenteil: In den nächsten Jahren werden wir gute Zuckerpreise haben. 

Heisst das, dass der Fonds nun wieder steigen wird?

Ja, ein Teil des Mehrwerts, den der Zucker jetzt generiert, werden wir wieder in den Fonds einzahlen können. Wir haben als erstes den Rübenpreis erhöht. Für 2022 wurde der Rübenpreis um 5 Franken pro Tonne erhöht und für 2023 nochmal um 8 Franken. Jetzt, denke ich, werden wir den Rübenpreis nicht mehr viel oder gar nicht mehr erhöhen und den Mehrerlös, den es gibt, wieder in den Fonds einzahlen, damit wir wieder Reserven haben, wenn es dort mal nötig ist.

Das wird voraussichtlich schon dieses Jahr passieren. Der Zucker der Ernte 2023 wird jetzt schon verkauft. Von den Rüben, die im Frühling gesät werden, kann man schon ungefähr sagen, zu welchem Preis der Zucker am Markt verkauft werden kann. Darum sind wir eigentlich restlos überzeugt, dass wir bei der Ernte 2023 einen sehr guten, durchschnittlichen Zuckerpreis haben werden. Und darum werden wir sicher wieder im Jahr 2023 in den Fonds einzahlen können.

Wegen SBR und Viröser Vergilbung wurde ja das System der neutralen Zone eingerichtet. Ist nicht auch deshalb der Fonds gesunken?

Nur indirekt. Es ist klar, wenn wir die Abzüge gemacht hätten, hätten wir vielleicht pro Jahr eine Million mehr zur Verfügung gehabt, um einen besseren Rübenpreis zu zahlen. Aber aus Solidarität mit den von SBR befallenen Gebieten hat man darauf verzichtet. Es ist klar: Wieviel nachher auf dem Fonds liegt, das ist jedesmal ein Entscheid der Interprofession Zucker.

Wird das System der neutralen Zone weiterhin bestehen bleiben?

Ja, das bleibt weiterhin bestehen.

Die Zuckerrübenfläche sank von fast 18'000 Hektaren im Jahr 2020 auf etwa 16'000 Hektaren letztes Jahr. Wie sieht es 2023 aus?

Das endgültige Resultat haben wir noch nicht. Leider sind einige Zuckerrüben-Produzenten etwas nachlässig geworden, wenn es darum geht, die Anbauverträge auszufüllen, weil sie wissen, dass sie sowieso Zuckerrüben anbauen können. Aber aufgrund der Saatgutbestellungen wissen wir, dass die Fläche leicht zunimmt gegenüber 2022.

Beprobung soll geprüft und verbessert werden

Wenn Rübenbauern mit einem Beprobungsresultat nicht zufrieden sind, können sie Rekurs einlegen. Die Rekurskommission prüft und korrigiert das Resultat gegebenfalls. In der Rübenkampagne 2022 sind mehr solche Gesuche eingegangen, wie Josef Meyer bestätigt. Dies sei jedoch bei feuchten Jahren bekannt, da der Erdanhang höher sei. 

Aufgrund der vermehrten Rekurse, aber auch aufgrund von Diskussionen mit Produzenten, die bereits seit Jahren bestehen, hat der Verband Schweizer Zuckerrübenproduzenten die HAFL als neutrale Stelle beauftragt, das heutige System zu analysieren und, wenn nötig, Vorschläge für eine Verbesserung zu unterbreiten. Ziel sei, bereits diesen Herbst Verbesserungen anzubringen, falls bereits Resultate der HAFL vorliegen.

Die Zuckerrübenbranche strebt eine Anbaufläche von 20'000 Hektaren an. Ist das noch aktuell?

Wir träumen von den 20’000 Hektaren, das ist so. Das Problem ist, dass heute relativ viel Zuckerrüben aus Deutschland eingeführt und in Frauenfeld verarbeitet werden müssen, um die Auslastung der Fabrik zu gewährleisten. 

Wenn wir in den letzten 2 bis 3 Jahren keine ausländischen Zuckerrüben verarbeitet hätten, wäre die Wahrscheinlichkeit gross gewesen, dass wir eine Fabrik hätten schliessen müssen. Und eine Fabrik, die schliesst, tut man nachher nie mehr auf.

Was hätte das für Folgen, wenn eine Fabrik schliessen müsste?

Einerseits könnten weniger Landwirtschaftsbetriebe Zuckerrüben anbauen. Dabei muss man beachten: Bevor wir in die Krise mit SBR und Viröser Vergilbung reingerutscht sind, waren Zuckerrüben ja immer eine sehr interessante Kultur für die Bauern: fruchtfolgetechnisch und finanziell. Es braucht ein bisschen Zeit, aber die anbautechnischen Probleme bekommen wir in den Griff. Nachher ist es wieder eine interessante Kultur. 

Andererseits geht es um die Selbstversorgung: Kartoffeln und Zuckerrüben haben dabei einen grossen Stellenwert, weil sie viele Kalorien pro Hektare produzieren. Aber die Theorie, dass wir die Zuckerrübenfläche ausbauen würden, wenn wir das tatsächlich müssen geht nicht auf, wenn wir keine Zuckerfabrik haben, um sie zu verarbeiten. Dann fällt das Kartenhaus zusammen. Also müssen wir auch in normalen Zeiten eine gewisse Produktion von Zuckerrüben haben, damit wir auch in Krisenzeiten Zucker produzieren können.

Die Lebensmittelbranche will unter anderem in Süssgetränken weniger Zucker einsetzen. Hat das Auswirkungen auf die Zuckerrübenproduktion in der Schweiz?

Grundsätzlich nicht. Wir wollen ja nichts produzieren, was der Gesundheit schadet. In der Schweiz haben wir einen Selbstversorgungsgrad mit Zucker von durchschnittlich 60 Prozent. Wenn der Zuckerkonsum um 10 Prozent zurückgehen würde, wäre das schon unheimlich viel, aber für die Schweizer Produktion kein grosses Problem.  

Wir würden dann einfach den Konsumierenden nahelegen: «Wir finden es gut, dass Sie weniger Zucker essen, aber wenn doch, schauen Sie drauf, dass es Schweizer Zucker ist». Dieser, und das haben Studien ganz klar gezeigt, wird nachhaltiger produziert als der ausländische Zucker. Also würden wir selbstverständlich versuchen, Marktanteile zu gewinnen, damit der Konsumrückgang nur importierten Zucker betrifft. 

Apropos nachhaltiger Zucker: IP-Suisse hat die Anbaufläche von Label-Zucker gedeckelt, obwohl mehr Produzenten bereit wären, IP-Suisse-Zucker anzubauen. Was unternimmt die Branche dagegen?

Ja, wir haben Schwierigkeiten, diesen Zucker zu verkaufen, obwohl er ganz klar noch einmal ökologischer ist als der konventionell produzierte Schweizer Zucker

Wir führen intensive Gespräche mit den verschiedenen Industrien und versuchen, sie in die Pflicht zu nehmen. Wir müssen aber auch ein bisschen darauf zählen können, dass zum Beispiel Bundesverwaltungen oder andere Organisationen den Industrien auch etwas auf die Finger hauen. Wenn der Schweizer Konsument am Sonntag abstimmen geht, will er ganz klar mehr Ökologie und auch Bundesbern will mehr Ökologie und nachher wird das nicht gekauft: Da stimmt irgendetwas nicht!

Liegt es am Handel oder den Konsumentinnen und Konsumenten?

Ich bin restlos davon überzeugt, dass der Handel mehr Verantwortung übernehmen muss. Es heisst: «Wir haben Erdbeeren im Januar, weil der Konsument das will». Aber man verführt den Konsumenten ja auch dazu, indem man es hinstellt und dann noch Aktionen macht damit, was wirklich eine ökologische Katastrophe ist.

Danke für das Interview!