Der letzte Urwald der Schweiz liegt zuhinterst im Muotatal im Kanton Schwyz. Einige der mächtigen Fichten, die auf der verkarsteten Hochebene der Bödmeren wachsen, erreichen ein Alter von bis zu 500 Jahren. Im Sommer führt eine «Urwaldspur» durch die urtümliche Waldlandschaft im Herzen des 550 Hektaren grossen Urwaldreservats Bödmeren. Noch hält sich der Tourismus im Gebiet in Grenzen, wie Thomas Hediger von der Oberallmeindkorporation Schwyz sagt. Zweimal im Jahr zeigt er Interessierten auf Exkursionen die Waldlandschaft.
Hagholz und Hüttholz zum Käsen
Diese ist unerwartet vielfältig. Denn auch wenn der Bödmerenwald als Urwald gilt, so sieht es hier doch ganz anders aus als in den riesigen Waldgebieten Schwedens oder Kanadas. Die Landschaft der Bödmeren ist kleinräumig gegliedert – die dicht bewachsenen Urwaldinseln wechseln sich mit lichten Fichtenbeständen und Alp-weiden ab. «Es gibt auch Bereiche, die besser erschlossen sind», sagt Hediger. In diesen sei immer schon Hagholz und Hüttenholz zum Käsen geschlagen worden. «Daneben finden sich Gebiete, wo aufgrund der Topografie wahrscheinlich überhaupt nie Holz geschlagen wurde», sagt Hediger.
Die Bödmeren sind ein Karstgebiet: Der Wald ist durchzogen von tiefen Schrunden, die wie Gletscherspalten unter der dichten Vegetation verborgen liegen. Sie führen hinab in das riesige Höhlensystem des Höllochs und stellen abseits der begangenen Wege eine unsichtbare Gefahr dar – besonders im Winter und im Frühling, wenn noch Schnee liegt.
Bäume bilden Rotten und schützen sich so gegenseitig
[IMG 2]«Man konnte das Holz schlecht mit Schlitten oder Rössern aus dem Wald ziehen», sagt Hediger. Im Gegenzug zu anderen Bergwäldern sei das Gebiet ausserdem relativ flach, sodass die Schwerkraft beim Holztransport nicht so leicht zu Hilfe genommen werden konnte. Auch einen grossen Bergbach zum Flössen gibt es hier nicht.
In den unberührten Bereichen des Bödmerenwaldes herrscht eine grosse Artenvielfalt. Die bekannteste Seltenheit ist die Engelshaarflechte, von der es hier einen grösseren Bestand gibt. «Sie kommt in der Schweiz nur noch sehr selten vor», sagt Hediger. Das liege daran, dass die Flechte für ihr Gedeihen lange Zeiträume mit gleich bleibenden Verhältnissen brauche.
Typisch für den Bödmerenwald ist die Rottenstruktur der Bäume: «Sie stehen gruppenweise beisammen und können sich so gegenseitig Schutz geben», erklärt Hediger. Diese besondere Waldstruktur beherbergt auch verschiedene Wildarten. «Doch die Verjüngung wächst recht gut, man sieht immer wieder junge Bäume», sagt Hediger. Dabei konzentriere sich die Verjüngung auf besonnte Standorte. «Die Fichten kommen dort, wo sich der Boden zuerst erwärmt», sagt Hediger. In den Tälchen, wo mehr Schnee liegt und dieser auch länger liegen bleibt, gibt es dagegen deutlich weniger Aufwuchs.
Laubholzanteil nimmt wegen Klimawandel zu
Eine neue Herausforderung für den Bödmerenwald sind die schnellen klimatischen Veränderungen, die in den letzten Jahren in den Alpen zu beobachten sind. Hediger stellt eine gewisse Verschiebung im Artenspektrum fest. «Bei den jüngeren Bäumen steigt der Anteil von Laubholz, und diese werden vermehrt vom Wild verbissen», sagt er.
Alperei prägt Landschaft
Ein grossflächiger Zusammenbruch des Fichtenbestandes in naher Zukunft sei wahrscheinlich nicht befürchten, so Hediger. Zwar sei nicht ausgeschlossen, dass in Zukunft ein grösseres Ereignis wie ein Sturm oder der Borkenkäfer Löcher in den Wald reissen könne. Die Lücken im Bestand helfen aber, solche lokalen Zusammenbrüche einzudämmen.
Zu verdanken ist das auch der Alpwirtschaft. Denn auch wenn grössere Waldpartien Urwaldcharakter haben, so sind die Bödmeren als Ganzes doch seit Jahrhunderten genutzte Landschaft. Rund um den Wald liegen Alpweiden, und alte Viehfahrwege führen durch den Wald. So ist die Nutzung, aber auch der Schutz jeweils Teil dieser imposanten Natur- und Kulturlandschaft.