So schwierig die Corona-Krise auch sein mag, die Schweizer Landwirtschaft bekam dadurch in den letzten Wochen viel Goodwill zu spüren. Hofläden boomten, Betriebe mit zu wenigen ausländischen Erntehelfern wurden von Arbeitssuchenden förmlich überrannt. Die vielen Negativ-Schlagzeilen in den Tagesmedien, etwa zum Thema Pflanzenschutz, waren vorübergehend Geschichte.
Wegen übervollem Euter gebüsst
Nun entspannt sich die Lage langsam und es gibt es wieder Platz für die eine oder andere landwirtschaftliche Negativschlagzeile. So hat das Polizeigericht des Sensebezirks einen Bauern wegen fahrlässiger Widerhandlung gegen das Tierschutzgesetz verurteilt, weil bei einer seiner Kühe an der Expo Bulle ein Euterödem festgestellt worden war (die BauernZeitung berichtete).
Der Landwirt betonte Ende April vor Gericht, dass ihm das Tierwohl sehr wichtig sei. Er habe die Melkzeit sorgfältig einkalkuliert, es habe an der Ausstellung bis zur Prämierung aber etwas länger gedauert. Die Freiburger Staatsanwaltschaft verurteilte ihn per Strafbefehl zu einer Busse von 200 Franken. Diese focht der Bauer an. Die Busse fällt nun um 50 Franken tiefer aus. Ein direkter Vorsatz könne ausgeschlossen werden, heisst es in der Urteilsbegründung.
Geschmuggelte Antibiotika gekauft
Eine weitere Negativ-Schlagzeile folgte in der «Sonntagszeitung», wonach 200 Schweizer Landwirte einem französischen Tierarzt Schmuggelmedikamente abgekauft hätten. Bei Stalldurchsuchungen stellten die Behörden unter anderem grosse Mengen von illegal beschafften Antibiotika für die Behandlung von Euterkrankheiten fest.
In den letzten Jahren fand das Thema übervolle Euter seinen Weg in die Publikumsmedien. Die kritischen Berichte haben bei einigen Viehzüchtern regelmässig den Puls vor Ärger hochschnellen lassen, sie haben aber auch bewirkt, dass die Branche tätig wurde. Die Arbeitsgemeinschaft der Schweizer Rinderzüchter (ASR) hat ihr Ausstellungsreglement verschärft. Sogar der Nationalrat befasste sich nach einer Motion von Irène Kälin (Grüne/AG) mit einem Zitzenverschliessverbot an Viehschauen.
Kühe auf Ödeme untersucht
An der Swiss Expo im Januar in Genf wurden erstmals alle Tiere vor Betreten des Rings mit Ultraschall auf Euterödeme untersucht. Betroffene Tiere wurden vom Wettbewerb ausgeschlossen und mussten komplett gemolken werden. Mit 26 gefunden Ödemen war die Anzahl bei über 1000 angemeldeten Kühen klein.
Allerdings relativierte Kaspar Jörger, Leiter Abteilung Tierschutz im Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV), in einem Bericht des SRF-Konsumentenmagazins «Espresso» diese Zahl kürzlich. Sie würde lediglich bedeuten, dass bei einer Mehrzahl der Kühe «noch kein Ödem diagnostiziert werden konnte».
Bisher hauptsächlich Freisprüche
Ob die 26 Fälle vor ein Gericht kommen, ist noch offen. Auf Anfrage von «Espresso» teilte der Genfer Kantonstierarzt mit, man habe sich noch nicht darum kümmern können, zurzeit sei man mit Corona ausgelastet.
Kaspar Jörger vom BLV zeigte sich «sehr enttäuscht» von den bisherigen Strafverfahren. Diese hätten in der Romandie immer wieder mit Freisprüchen geendet, weil man den Tierhaltern nicht nachweisen konnte, die Euterödeme willentlich in Kauf genommen zu haben. Also ganz ähnlich wie beim Fall an der Expo Bulle.
Es muss um Fair Play gehen
Jörgers Enttäuschung ist nachvollziehbar. Natürlich ist es nicht schön, eine Anzeige zu bekommen. Gleichzeitig würden viele Konsumenten und sogar Bauern und Bäuerinnen sagen, dass ein besonders pralles Euter nicht unbedingt dem entspricht, was sie sich unter einer schönen Kuh vorstellen.
Es muss bei der Viehzucht wie andernorts um Fair Play gehen. Der allergrösste Teil der Viehzüchter(innen) hält sich an die Regeln. Für diese grosse Mehrheit ist zu hoffen, dass künftig konsequenter und mutiger sanktioniert wird – auch vor Gericht. Es sollte gar nicht um ein Schönheitsideal und Erfolg im Schauring gehen, sondern um zwei viel wichtigere Dinge.
Tierwohl und Image
Erstens um das Tierwohl. Tiere sollten nicht wegen züchterischem Ehrgeiz leiden müssen, das gilt für Hunde und Katzen genauso wie für Kühe. Zweitens geht es auch um das Bild der Landwirtschaft in der Öffentlichkeit.
Spitzenschauen ziehen nicht nur ein Fachpublikum, sondern auch Konsumenten und Konsumentinnen mit der ganzen Familie an. Diese entscheiden an der Supermarktkasse und der Abstimmungsurne ganz wesentlich über das Schicksal der Schweizer Landwirtschaft mit. Es wäre schade, wenn der Goodwill der Bevölkerung aufs Spiel gesetzt wird, weil guten Worten nicht genug Taten folgen.