Der Ausblick von der Alp Muottas auf das Oberengadin und das Bernina Massiv ist eindrücklich. Auf 2500 m ü. M. verbringen die Angus Mutterkühe von Gian Peter Niggli den Sommer. Als die BauernZeitung Niggli Mitte August besucht, sind die Kühe noch auf der Alp.
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Kühe und Kälber sind sich an Wanderer gewohnt
Eine Gruppe Angus Kühe mit ihren Kälbern liegt wiederkäuend im Gras zwischen einem Wanderweg und der Alphütte. Im Minutentakt gehen Wanderer vorbei. Die einen machen einen Bogen um die Herde, andere gehen hin und strecken die Hand nach den Tieren aus.
Gian Peter Niggli beobachtet die Szenerie gelassen, im Wissen dass alle Vorsichtsmassnahmen getroffen wurden. Seine Kühe sind sich an die Wanderer gewöhnt, sie waren als Kalb schon auf der Alp. Nigglis Devise lautet: «Wenn ich den Leuten zeigen kann, wie gut es die Tiere hier haben und wie viel sie zur Biodiversität beitragen, kann ich meine Produkte insgesamt besser verkaufen.»
Selber regelmässig auf der Alp
Die Sömmerung beginnt für die Kühe um den 20. Mai am Fusse des Bergs Muottas, in unmittelbarer Nähe zum Talbetrieb. Wenn die unteren Weiden abgegrast sind, wandert der Alphirt Christian Bartl mit den Tieren einen Weideabschnitt höher. Um den 10. August sind sie dann auf 2500 m ü. M. angekommen. Dort bleiben sie je nach Futterangebot bis Mitte September. Anfangs Woche sind Nigglis Tiere auf den Heimbetrieb zurückgekehrt.
[IMG 4] Die Alp Muottas gehört der Gemeinde Samedan und ist an die Alpgenossenschaft Muottas verpachtet. Nebst Niggli bringen noch drei weitere Betriebe ihre Mutterkühe auf die 700 ha grosse, weitläufige Alp. Insgesamt verbringen hier 162 Angus-Tiere und fünf Fohlen den Sommer. Niggli ist etwa alle zehn Tage auf der Alp, schaut nach den Kühen und erkundigt sich beim Hirten, wie es läuft.
Der Stall auf dem Heimbetrieb steht während dieser Zeit leer. Langweilig wird es Niggli nicht, denn er ist nicht nur Bauer, sondern auch Gemeindepräsident von Samedan. Bis Ende August war er FDP-Kantonsrat, insgesamt politisierte er zwölf Jahre im Grossen Rat.
«Von all dem, was ich mache, muss die Landwirtschaft mindestens 51 Prozent sein.»
Gian Peter Niggli zu seinen verschiedenen Mandaten
Bauer geworden ohne Betrieb zu Hause
Dass Gian Peter Niggli Bauer wurde, ist nicht selbstverständlich. Freude an der Landwirtschaft hatte er schon als Kind, erzählt er. Der Grossvater war Bauer und hatte Landwirtschaftsland, sein Vater war allerdings Treuhänder. Niggli wurde Bauer und absolvierte die Landwirtschaftliche Schule am Plantahof und am Strickhof.
Danach zog es ihn vom Bündnerland weg, denn einen Betrieb hatte er keinen zu Hause. Er absolvierte die Betriebsleiterschule in Hohenrain und legte die Meisterprüfung am Schluechthof ab. Anschliessend war er mehrere Jahre auf dem Versuchsbetrieb der ETH in Hünenberg und bei der Organisation Swissgenetics tätig.
Die Angus-Rasse ins Engadin gebracht
Nach 15 Jahren kehrte er 1991 zurück nach Graubünden. Der damals 30-Jährige baute in seinem Heimatdorf Samedan einen Stall für Mutterkühe und brachte die Angus-Rasse ins Engadin.
«Das Oberengadin ist eine trockene Region mit kalten Wintern. Die Rasse Aberdeen Angus kommt mit den harten Bedingungen am besten zurecht.»
Gian Peter Niggli zu den Vorzügen der Angus-Rasse
Gian Peter Niggli spezialisierte sich auf die Zucht von Aberdeen-Angus-Tieren. Er ist ein erfolgreicher und angesehener Züchter, gewann unter anderem sechs Mal den Titel Rassenchampion an den Swissopen. Aktuell stehen drei Stiere bei Swissgenetics im Prüf- oder Breiteneinsatz. Darunter Naa Paradox V504, der aktuell die Liste mit dem höchsten Zuchtwert «Absetzgewicht direkt» anführt.
«Habe im Umgang mit Mutterkühen auch Fehler gemacht»
Der Weg dorthin war allerdings kein Spaziergang. «Als ich von 30 Jahren angefangen habe, gab es keine Kurse zur Mutterkuhhaltung und wenig Literatur. Ich lernte aus den eigenen Erfahrungen.» Er habe auch einige Fehler gemacht, gibt Niggli zu. Der Umgang mit Mutterkühen und den frisch geborenen Kälbern waren für ihn und für die Kühe nicht immer problemlos. Viele Kühe hatten einen hohen Fremdblut-Anteil und das Abkalbeverhalten liess zu wünschen übrig. Vor zehn Jahren verkaufte Niggli seine ganze Herde. Er importierte 25 Aberdeen-Angus-Rinder aus Schottland und begann mit der Zuchtarbeit noch einmal bei null.
Blockabkalbung im Herbst auf der Weide
«Heute ist mein Zuchtziele eine fruchtbare und leichtkalbige Kuh von mittelrahmigem Format und mit einem guten Fundament.» Seine Kühe müssen in der Herde funktionieren, eine Spezialbehandlung gibt es nicht. Alle Kühe kalben nach der Alpzeit zwischen Mitte September und Ende Oktober ab, auf der Weide und ohne Assistenz. Abkalben auf der Alp kommt für Niggli wegen den Touristen, aber auch aus Gründen der Sicherheit nicht infrage.
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Die Aufzucht der Jungrinder ist ausgelagert auf den Betrieb von Jachen Andri Nuotclà im Nachbarsdorf La Punt. Dort werden sie intensiver gefüttert. Mit 15 Monaten werden sie gedeckt, so dass sie im Frühjahr des Folgejahrs mit auf die Alp können. Im Alter von 24 Monaten kalben sie das erste Mal ab.
Die Jungstiere werden mit sieben Monaten abgesetzt und gehen anschliessend in den Kanton Aargau zu Familie Pfister in Effingen. Dort sind sie ein halbes Jahr und lernen das Laufen an der Halfter. Sie werden als Zuchtstiere vorbereitet und entsprechend gefüttert. Niggli erklärt: «Würde ich die Jungstiere bei mir zu Hause behalten, müsste ich Mais und Kraftfutter zukaufen.» Ausserdem sei er so mit seiner Genetik mitten in der Schweiz.
Regionales Gewerbe stärken
Die Zusammenarbeit mit verschiedenen Partnerbetrieben ist ein wichtiger Pfeiler in Gian Peter Nigglis Betriebsphilosophie. Ein solcher Partnerbetrieb ist die Metzgerei Plinio aus Samedan. Geschäftsführer Plinio Laudenbacher hat sich auf den Verkauf von Fleisch von Engadiner Angus-Rindern spezialisiert.
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Dieses wird in der Metzgerei als Frischfleisch verkauft oder zu hausgemachten Spezialitäten wie Salametti, Salsiz und Trockenfleisch verarbeitet. Die Produkte sind IP-Suisse und Bio Suisse-zertifiziert. Die grösste Nachfrage besteht beim Label «Swiss Black Angus». Auch die Kanäle von Mutterkuh Schweiz werden bedient, vor allem mit Zuchttieren.
Das Fell der Schlachttiere nimmt Niggli zurück. Taschenmacherin Daniela Schär aus Pontresina fertigt daraus Taschen in modernem Design. Auch mit der Bündner Künstlerin Judith Brennwald arbeitet er zusammen. Sie ist bekannt für ihre Bilder auf Fell.
Betrieb ergebnisoffen entwickeln
Gian Peter Niggli hat in seinem Leben viel gemacht. Zum Thema Hofnachfolge sagt der 62-Jährige: «Ich beschäftige mich schon damit. Aber es ist nicht so, dass ich unter Zeitdruck stehe.» Der Betrieb ist als GmbH im Handelsregister eingetragen, gut strukturiert und wird in dieser Form in die Zukunft gehen. «Hier kann man Vieles machen», sagt Niggli. Auf die Frage, ob auch Umstrukturierungen möglich sind, sagt er: «Ich war immer für Vieles offen, Hauptsache man macht es mit Begeisterung.»
