An den Tierspitälern in Bern und Zürich gibt es je eine Schweineklinik. Dort werden angehende Tierärztinnen und Tierärzte ausgebildet und es wird geforscht. Entsprechend wichtig sind diese den jeweiligen Universitäten angegliederten Abteilungen für die Schweizer Schweineproduktion. In Zürich hat vor gut einem Jahr Dolf Kümmerlen von Xaver Sidler die Verantwortung übernommen.
Dolf Kümmerlen, wie ist Ihr erstes Jahr als Leiter der Abteilung Schweinemedizin verlaufen?
Es war sehr intensiv. Der Übergang von meinem Vorgänger Professor Xaver Sidler war reibungslos, aber es gab sehr viele Projekte, die fortgeführt werden mussten. Dazu kamen dann noch meine eigene Forschung, Personalfragen, und auch in die Reorganisation der Gesundheitsdienste sind die Universitäten Bern und Zürich stark involviert. Ich war so beschäftigt, dass ich ein halbes Jahr keine Zeit hatte, in mein neues Büro zu zügeln.
Welche Krankheiten, welche Bestandesprobleme beschäftigen Ihr Team aktuell?
Durchfallerkrankungen bei Saug- und Absetzferkeln und Lahmheiten bei Muttersauen sind die Bestandesprobleme, die wir am häufigsten antreffen. Dabei sind die verschiedensten Krankheitserreger beteiligt.
Und welche Gesundheitsprobleme in den Schweineställen könnten uns demnächst verstärkt beschäftigen?
Aus der Praxis wissen wir, dass Nabelbrüche ein grosses Thema sind. Bekanntlich sind Schweine mit grossen Nabelbrüchen nicht mehr transportfähig. Hier würden wir gerne ein Projekt zur Untersuchung von Risikofaktoren und geeigneten Massnahmen starten.
Sie haben die Projekte am Tierspital angesprochen. Welche stehen derzeit im Vordergrund?
Die Analyse des Antibiotikaverbrauchs beschäftigt uns sehr und in Zukunft wollen wir Zusammenhänge mit der Bildung von Antibiotikaresistenzen noch genauer untersuchen. Denn diese sind ja der eigentliche Grund, warum der Antibiotikaverbrauch angeschaut wird. In einem Versuchsbetrieb haben wir ein Kamerasystem zur Früherkennung von Schwanzbeissen installiert. Ausserdem untersuchen wir den Einsatz von Alternativen zu Antibiotika und in einem neuen Projekt, welche Typen des PCV-2 (Circovirus) in der Schweiz vorkommen.
Lässt sich der Antibiotikaverbrauch noch mehr senken? Wo sehen Sie Potenzial?
Ich denke, die Schweineproduzenten haben sehr viel geleistet in den letzten Jahren. Allerdings wird man sich auch nie ausruhen können. Durch das elektronische Behandlungsjournal, das fast jeder verwendet, kann der Antibiotikaverbrauch gut analysiert und transparent dargestellt werden. Ein grosser Erfolg! Bei manchen Betrieben kann man trotz aller Bemühungen den Antibiotikaverbrauch nicht senken, ohne die Gesundheit der Schweine zu beeinträchtigen. Diese Betriebe darf man nicht alleine lassen und in manchen Fällen braucht es auch noch mehr Forschung.
Wirken sich schlechte Produzentenpreise auf die Tiergesundheit aus?
Schlechte Preise nehmen wir auch an der Universität wahr. Nicht zuletzt, weil wir auch selber die Jager von unseren vier Muttersauen verkaufen. Es ist klar, dass das auch die Stimmung drückt. Ich habe aber nicht das Gefühl, dass die Produzenten aus diesem Grund anfangen, an Massnahmen zur Verbesserung der Gesundheit zu sparen.
Was sind kommende Herausforderungen rund um die Schweinegesundheit?
Der Antibiotikaverbrauch in den Schweinebeständen wird auch mittelfristig ein Thema bleiben. Die Zusammenhänge zur Entwicklung von Antibiotikaresistenzen und Übertragungswege auf den Menschen müssen wir noch genauer untersuchen. Das ist ein wichtiges One-Health-Thema. Ausserdem noch die Entwicklung von Messgrössen für die Tiergesundheit, sogenannte Tierwohlindikatoren. Und die Digitalisierung macht natürlich auch vor den Schweinebeständen nicht halt. Die Afrikanische Schweinepest wird uns weiter beschäftigen und wir müssen alles tun, um den sehr guten Gesundheitsstatus der Schweine in der Schweiz zu erhalten.
Macht die Schweiz denn genug, um das hohe Gesundheitsniveau in den Schweineställen zu konservieren?
Die Reorganisation der Gesundheitsdienste ist ein sehr wichtiges Projekt, um die Gesundheitsdienste für zukünftige Herausforderungen fit zu machen und um das hohe Gesundheitsniveau in den Schweineställen zu erhalten. Hier sind alle beteiligten Organisationen und Institutionen gefordert, zusammenzuarbeiten, dann haben wir sehr gute Voraussetzungen, um das hohe Gesundheitsniveau in der Schweiz auch zu halten.
Zum Schluss: Nutztierärzte werden rar. Wie beurteilen Sie die Situation?
Wir müssen den Beruf des Nutztierarztes so gestalten, dass die Arbeitsbedingungen für die jungen Tierärztinnen und Tierärzte modernen Anforderungen genügen. Beispielsweise die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Dann bin ich optimistisch, dass wir genügend junge Menschen für diesen spannenden Beruf gewinnen können.
Zur Person
Veterinär Dolf Kümmerlen ist in der Lüneburger Heide (Niedersachsen, D) aufgewachsen, sein Vater führte eine Tierarztpraxis. Der 49-Jährige studierte in München, arbeitete dann in der Klinik für Schweine in München, am Tierspital Bern, beim Schweinegesundheitsdienst und als Praxismitinhaber im Thurgau, bevor es ihn ans Tierspital der Uni Zürich zog. Dort übernahm er vergangenen Sommer die Leitung der Schweineklinik. Dolf Kümmerlen, wohnhaft im Thurgau, ist verheiratet und Vater zweier Kinder.