Gegen übervolle Euter an Viehausstellungen wurde in den letzten Jahren schon einiges unternommen. Seit dem 1. Januar 2020 gelten auch neue Richtlinien der Arbeitsgemeinschaft Schweizer Rinderzüchter (ASR), und die sehen vor, dass Kühe an nationalen Ausstellungen noch stärker kontrolliert werden sollen. Der ganz grosse Teil der Züchterschaft hält sich an die Richtlinien, das sieht auch Reto Wyss, Präsident der Vereinigung Schweizer Kantonstierärztinnen und Kantonstierärzte (VSKT) so. «Es handelt sich um eine Minderheit von Ausstellern, die bezüglich der Euterfüllung die Limite überschreiten, dabei das Tierwohl missachten und die ganze Züchterschaft unnötigerweise in Verruf bringen», sagt Wyss.
Vor Gericht sind Rekurse meist erfolgreich
Gibt es dennoch Verstösse gegen die Tierschutzgesetzgebung, und die Kantonstierärzte reichen Strafanzeigen ein, so haben die fehlbaren Züchter vor Gericht meistens nichts zu befürchten, denn sie sind bei einem Rekurs gegen die Anzeige oft erfolgreich. Hinter vorgehaltener Hand wird gemunkelt, dass vor allem die Westschweizer Züchter sich weigern würden, die Bussen zu bezahlen. «Das kann ich nicht beurteilen, die Bussen werden nicht von uns, sondern von der Justiz ausgesprochen», sagt Reto Wyss.
Man will sich nicht gegenseitig das Lebens schwer machen
Aus Sicht des Schweizer Tierschutzes (STS) sind solche Urteile nicht nachvollziehbar. «Tierschutzrelevant sind sämtliche Belastungen der Tiere an den Ausstellungen – insbesondere auch solche, die die Tiergesundheit gefährden», hält Julika Fitzi, Tierärztin und Projektleiterin Tierausstellungen beim STS, fest. Dies wäre mit positiven Ultraschallbefunden der Euterödeme nachweisbar und müsste infolgedessen auch von den Gerichten so beurteilt werden. «Allerdings gibt es grosse Unterschiede innerhalb der kantonalen Rechtsprechung – ich bin nicht sicher, ob die Deutschschweizer Gerichte hier nicht anders urteilen würden. Und ich hoffe sehr, dass sich die Kantonstierärzte nun nicht entmutigen lassen und weiterhin Gesetzesverstösse zur Anzeige bringen», sagt Fitzi klar und deutlich. Warum es schwierig sei, fehlbare Aussteller zur Rechenschaft ziehen zu können, dazu hat Fitzi auch eine klare Meinung: «Die Züchter- und Ausstellerbranche ist sehr speziell, jeder kennt jeden – und einmal ist ein Aussteller als Züchter vor Ort und präsentiert selbst seine eigene Zuchtauswahl – ein andermal ist dieselbe Person als Richter anwesend und beurteilt die Zuchttiere seines Kollegen», zählt die Tierärztin die Probleme auf. Dass man sich hier nicht gegenseitig das Leben schwer mache, liege auf der Hand.
Die Aussteller decken sich
«Im Vorring bei der letzten Swiss Expo in Genf waren z. B. die Kontrolleure grösstenteils auch gleichzeitig Aussteller. Dass der eine Aussteller den anderen vielleicht eher schützt, als ihn wegen eines überfüllten Euters zu melden, ist nachvollziehbar», sagt Julika Fitzi. So sei es auch bei den Richtern und Ausstellern, die sich an diesen Ausstellungen meist lange und persönlich kennen und sich häufig gegenseitig schützen. «Im Falle einer Anzeige decken sie sich vielfach gegenseitig oder machen vom Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Zudem: Wer beim Verkleben der Zitzen mit Sekundenkleber oder anderen verbotenen Manipulationen nicht in flagranti erwischt und mit Fotobeweis dokumentiert wird, kann sich schlussendlich immer irgendwie aus der Sache rausziehen – Aussage gegen Aussage zu beurteilen ist ja häufig sehr schwer für die Gerichte. Und ich habe auch noch keinen Kantons- oder Amtstierarzt mit Kamera auf den Ausstellungen gesehen», sagt die STS-Mitarbeiterin. Das maximale Beweismittel scheine der Ultraschall zu sein – und wenn der vor Gericht nicht anerkannt werde, sehe es schlecht aus für die Behörden, um Anzeigen und Vergehen gegen das Tierschutzgesetz durchzusetzen. «Es fehlen in solchen Fällen auch spezialisierte Staatsanwälte mit Kenntnissen im Bereich Tierschutz und Tiergesundheit», ist Fitzi überzeugt.
Der Tierschutz geht an die Öffentlichkeit
Dass die Sanktionen auch umgesetzt werden, dazu hat der STS auch eine klare Haltung: «Wir gehen mit unseren Beobachtungen und Dokumentationen an die Öffentlichkeit und sensibilisieren so die verschiedenen Beteiligten: die Besucher, die Behörden, die Politiker», sagt Julika Fitzi. Der STS unterstütze mit seinen Berichten aber auch die Aussteller und Züchter, die mit besten Absichten an die Ausstellungen gehen. Jene, die ihre Tiere rechtzeitig und regelmässig melken, die nur eine Kollodiumschicht anstatt fünf Schichten auftragen, die zurückhaltend beim Stylen und in der Anwendung von Styling-Produkten sowie Chemikalien seien. «Viele Personen aus der Landwirtschafts-Szene haben sich, auch öffentlich, von den Gebräuchen und «mafiösen» Strukturen an den Ausstellungen distanziert und die teils groben Umgangsformen einiger Aussteller und Züchter verurteilt», weiss die Tierärztin. Wenn die Besucher fernbleiben und sich die «eigene» Branche von solchen Veranstaltungen distanziert, gehe es irgendwann ans Eingemachte. «Spätestens dann wird ein Umdenken stattfinden. Sehr vielen Leuten ist der Tierschutz enorm wichtig und sie engagieren sich für eine bessere Tierhaltung – auch an Ausstellungen», ist Fitzi überzeugt. Seit 2019 werden an den grossen Ausstellungen die Euter der Kühe mithilfe eines Ultraschallgeräts untersucht. Auch das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) zieht nach knapp zwei Jahren eine positive Bilanz. «Die Ultraschallkontrollen wurden von den Organisatoren und Züchtern mehrheitlich positiv aufgenommen», sagt Claire Bussy Pestalozzi, Mediensprecherin beim BLV. Das vom BLV zur Verfügung gestellte offizielle Untersuchungsprotokoll für jede einzelne ödempositive Kuh wurde genutzt und auch für praxistauglich erklärt.
Objektive Beurteilung dank Ultraschall
Reto Wyss begrüsst es, dass mit den Vorringkontrollen jetzt ein einheitliches Vorgehen geschaffen wurde, das an den Ausstellungen nun umgesetzt werde. «Mit dem Ultraschall steht zudem ein Instrument zur Verfügung, um eine Euterüberfüllung ‹messen› und damit objektivieren zu können», sagt der VSKT-Präsident. Stärker Einfluss nehmen könnten seiner Meinung nach die Richter. «Wenn überladene Kühe zurückklassiert werden, hat das die grösste Wirkung», ist Wyss überzeugt.
In Zukunft noch sauberer werden
Um die Ausstellungen in Zukunft noch «sauberer« zu gestalten ist Reto Wyss der Meinung: «Der Ball liegt in erster Linie bei der Branche. Das ASR-Reglement muss konsequent angewendet und umgesetzt werden. Hilfreich wäre es, wenn die Richter ihren Einfluss verstärkt nutzen würden.». Zudem müsse in Zukunft verstärkt ein Augenmerk auf die Vorbereitung der Tiere und die dabei angewendeten Praktiken gelegt werden. «Relevant ist dabei auch, welche Salben, Puder oder Mittel angewendet werden, deren Inhaltsstoffe dann teilweise in der Milch zu finden sind», sagt er klar und deutlich. Ob es diesen Herbst und nächstes Jahr, wegen der Corona-Pandemie überhaupt viele Ausstellungen geben wird, ist unklar. Denn schon jetzt verzichten namhafte Ausstellungen auf eine Durchführung.