Derzeit laufen in vielen Luzerner Gemeinden die Revisionen der Orts- und Nutzungsplanungen. Darin festzulegen sind auch Wildtierkorridore und Freihaltezonen, sofern diese im Richtplan vorgesehen sind (siehe Kasten). Das betrifft auch die Landwirtschaft, und seit einigen Jahren gibt es deswegen Diskussionen und Kritik, so wegen der Einschränkungen für die Bewirtschaftung oder bei Bauten in solchen Korridoren.

Vergleich Luzern – Aargau

Der Luzerner Bäuerinnen- und Bauernverband (LBV) hat nun einen Vergleich angestellt, bezüglich der Umsetzung solcher Korridore in der Bau- und Nutzungsverordnung (BNO) im Kanton Aargau und im Muster-Bau- und Zonenreglement (BZR) für Gemeinden im Kanton Luzern. Betrachtet wurden Umsetzbarkeit, ökologische Wirksamkeit und politische Praktikabilität. «Als LBV sind wir bestrebt, für die Luzerner Landwirtschaft möglichst tragfähige und zukunftsfähige Lösungen zu erarbeiten. Ziel ist es, im Spannungsfeld zwischen gesetzlichen Vorgaben, den Anliegen der Gesamtbevölkerung und den betrieblichen Realitäten funktionierende Kompromisse zu ermöglichen», begründet Geschäftsführer Raphael Felder die umfassende Recherche, welche objektiv und quellenbasiert erfolgt sei.[IMG 2]

Unikum Freihaltezone

Festgestellt wurde, dass die Freihaltezone innerhalb eines Wildtierkorridors als Planungsinstrument ausschliesslich im Kanton Luzern zum Einsatz komme und national vom Bafu kritisch angesehen werde. Das Bafu stellte in einem Bericht zur «Überarbeitung der überregionalen Wildtierkorridore» schon 2020 fest, dass zwischen den Kantonen erhebliche Unterschiede in der Bewertung von Barrieren und Priorisierung von Massnahmen bestehen.

Die Luzerner Freihaltezone sei eine rechtlich bindende Zone, welche in den kommunalen Nutzungsplanungen einzutragen sei und jegliche Hindernisse innerhalb eines Wildtierkorridors unterbinden soll, stellt der LBV fest. Dies gehe über den informellen Charakter eines Wildtierkorridors hinaus und wirke wie eine Schutzzone, schreibt der LBV.

Luzern sehr restriktiv

Verglichen werden schliesslich im Detail die entsprechenden Abschnitte im Aargauer BNO mit den Artikeln im Luzerner BZR bezüglich Wildtierkorridoren. Beide Kantone würden zwar das gleiche Ziel verfolgen, die Aargauer Vorgaben seien aber viel flexibler, die Luzerner viel restriktiver. «Die Vorgabe Luzern dürfte das ökologische Ziel verfehlen», heisst es im Fazit. Die Schutzbestimmungen seien strikter, es fehle aber im Gegensatz zum Aargau ein Förderprogramm, um Anreize zu schaffen. Zudem würden die Grundeigentümer in Luzern «nicht geeignet miteinbezogen, weshalb sich mehr Widerstand aufbaut.» Diese strikte Umsetzung und das fehlende Anreizsysetm würden eine ökologische Verbesserung aktiv verhindern, da Aufwertungen zurückgehalten werden, um diese bei eventuellen Bauprojekten geltend machen zu können.

Aargau ist flexibler

Das Aargauer Modell sei ebenfalls wirksam, verlasse sich aber auf mehr Fallentscheidungen. «Diese Flexibilität erleichtert die Umsetzung und Akzeptanz», findet der LBV. Allerdings berge dies das Risiko, dass im Einzelfall Kompromisse die volle Wirksamkeit schmälern könnten. Mit dem Förderprogramm werde dem aber aktiv entgegengewirkt.

In der Summe sei die Luzerner Freihaltezone konsequenter darauf ausgerichtet, Wildtierkorridore dauerhaft vor Veränderungen in jeglicher Hinsicht zu schützen. Daher werde aber vermutlich das Schutzziel nur ungenügend erreicht, weil positive Veränderungen verhindert würden. Der Ansatz im Aargau besteche hingegen durch praktische Umsetzbarkeit und politische Verträglichkeit, was kurzfristig wichtig sei. Langfristig werde durch die Förderung der Strukturen sichergestellt, dass Wildtiere ihre Wanderrouten ungehindert nutzen könnten.

«Diese Flexibilität erleichtert die Umsetzung und Akzeptanz.»

Der LBV beurteilt die Aargauer Lösung positiv.

Stellungnahme erwartet

Der Vergleich des LBV wurde diese Woche an Lawa zugestellt, zur Beurteilung und Stellungnahme. Der LBV werde dann die Entwicklung beobachten und bei Bedarf die Politik, Gemeinden und die Verwaltung angehen, sagt Raphael Felder. Erwartet werde, wie von der Verwaltung stets propagiert, ein pragmatischer und flexibler Vollzug der Thematik Wildtierkorridore. «Die komplizierte Luzerner Lösung mit Freihaltezonen wird kritisch hinterfragt.» Zumal ja das Beispiel Aargau zeige, dass mit weniger Aufwand und sogar Förderungen das Ziel auch erreichbar sei.

Wildtierkorridore und Freihaltezonen

Die Verbindung von Lebensräumen für Wildtiere sei für diese lebensnotwendig. Grosse Tiere wie Rehe, Hirsche, Luchs, Wolf oder Wildschweine, aber auch kleinere wie Füchse und Hasen müssten sich für die Nahrung und Fortpflanzung bewegen können, das erfolge meist auf festen Routen, sogenannten Wildtierkorridoren. In der Schweiz wurden 304 Korridore von überregionaler Bedeutung definiert, ist der Website des Bundesamtes für Umwelt (Bafu) zu entnehmen. Über 70 Prozent seien aber beeinträchtigt oder gar weitgehend unterbrochen.

Mit verschiedenen Massnahmen im Rahmen der Strategie Biodiversität Schweiz sollen die Durchlässe für Wildtiere verbessert werden. Vielerorts wurden bereits Übergänge oder Untergänge bei Strassen und Bahnen geschaffen, viele weitere sind im Bau oder geplant. Daneben brauche es aber auch für Wildtiere nutzbare Flächen zwischen den Siedlungsgürteln. Wildtierkorridore sollen in vom Menschen stark genutzten Bereichen die Bewegungsachsen der Wildtiere sichern, heisst es auf der Website der Luzerner Dienststelle Landwirtschaft und Wald (Lawa). Die Wildtierkorridore im Kanton Luzern sind im Richtplan aufgeführt, 26 an der Zahl. Die sind «naturgerecht zu erhalten und bei Bedarf wildtierbiologisch aufzuwerten. Engnisse sind zu überbrücken.»

Die Herausforderungen bei diesen Korridoren seien Bauten und Anlagen wie Geflügelställe oder eingezäunte Obstanlagen, welche die Durchgängigkeit für Wildtiere vermindern könnten. Im Kanton Luzern wurden im Richtplan innerhalb der Wildtierkorridore zusätzlich Freihaltebereiche festgelegt. Diese umfassen den zentralen Bereich mit dem höchsten Potenzial für Wildwechsel. Freihaltebereiche seien deshalb auf ihre Verträglichkeit mit der Freihaltefunktion zu prüfen. Diese Bereiche seien in den kommunalen Bau- und Zonenordnungen (BZR) zu sichern. In einer über 30 seitigen «Erläuterung zur Bestimmung im kantonalen Muster-Bau- und Zonenreglement bei Vorhaben im Wildtierkorridor» des Lawa wird erklärt, was an Bauten und Anlagen in der Freihaltezone Wildtierkorridor noch erlaubt ist und wie Hindernisse für die Durchwanderbarkeit, wie Zäune oder Obst- und Gemüseanlagen, zu bewerten sind. Konkret sind in der Freihaltezone Bauten und Anlagen nicht mehr zulässig, das gilt für wildtierundurchlässige Zäunungen, Schutznetze, Schutzfolien, Mauern und weitere Bauten, welche die Durchgängigkeit beeinträchtigen würden, heisst es in den Erläuterungen.

Ausnahmen könnten bewilligt werden, wenn die Beeinträchtigung kompensiert werden könne und die Durchlässigkeit der Landschaft für Wildtiere funktional ungeschmälert erhalten bleibe. Es brauche eine positive Gesamtbilanz, dass die Durchlässigkeit gegenüber dem Ist-Zustand besser oder nicht verschlechtert werde, trotz neuer Bauten und Anlagen. Quantitative Einbussen der Freihaltezone könnten durch qualitative Aufwertungen wie Hecken, permanente Brachen oder Rückbauten von Hindernissen kompensiert werden.