Mit seiner neuen Ausstellung zum Wolf hat das Naturmuseum Thurgau ein emotionales und kontroverses Thema gewählt. Sie ist eine Produktion des Musée d’histoire naturelle Fribourg und thematisiert sowohl Wissen zur Biologie und Geschichte des Wolfs wie auch aktuelle Herausforderungen, welche seine Rückkehr in die Schweiz mit sich bringen. Ein ergänzender Teil widmet sich zudem den Spuren aus alten und jüngeren Zeiten, die der Wolf im Thurgau hinterlassen hat. «Es geht dabei darum, die verschiedensten Facetten dieses Wildtieres zu beleuchten», sagte der Museumsleiter Hannes Geisser letzte Woche anlässlich einer Medienorientierung in Frauenfeld.
Ein flexibler Allesfresser
Dass dem Wolf zu Recht scharfe Sinne nachgesagt werden, zeigt ein Exkurs in die Wissenschaft: Sein hochentwickelter Geruchsinn erlaubt dem Wolf, Artgenossen und Beute über mehrere Kilometer zu wittern. Auch sein Sehsinn ist ausgeprägt und erweist sich besonders bei schwachem Licht als sehr leistungsfähig. Dazu kommt das feine Gehör, das unter anderem für die Kommunikation eine wichtige Rolle spielt: Heulen fördert den Zusammenhalt des Rudels und grenzt gegen fremde Artgenossen ab.
Auf dem Speiseplan des Wolfs stehen bevorzugt Huftiere, die er alleine oder im Rudel jagt. Als Allesfresser ist er jedoch flexibel. Seine Anpassungsfähigkeit zeigt sich auch darin, wie er leicht sich in eine Kulturlandschaft einfügen kann. So ist in verschiedenen Videoausschnitten der Ausstellung zu sehen, wie Wölfe entlang von Wegen und Strassen laufen, diese also nutzen und nicht einfach nur überqueren.
Angespannte Beziehung
Das Aufeinandertreffen von Wolf und Mensch reicht weit zurück: Ursprünglich aus Afrika eingewandert, lebt der Wolf bereits seit zwei Millionen Jahren in Europa. «Die Beziehung zwischen dem Wildtier und dem Menschen war aufgrund von Nahrungskonkurrenz vermutlich schon immer angespannt», stellte Geisser fest. Als die Viehzucht aufkam, spitzte sich das Verhältnis weiter zu. Ab dem Mittelalter wurden die Wölfe vehement verfolgt, beispielsweise mittels Fallen oder Treib- und Hetzjagden. Im Zuge der Entwicklung von Feuerwaffen wurde die Bejagung im 16. Jahrhundert intensiviert. Zudem nahm das Bevölkerungswachstum zu, der Landbedarf stieg. Dazu wurden Wälder gerodet, Rot- und Schwarzwild verschwand mehr und mehr. So fehlte dem Wolf die natürliche Nahrungsgrundlage, es kam vermehrt zu Rissen von landwirtschaftlichen Tieren. Um die Zusammenhänge dieser Entwicklungen zu veranschaulichen, bedient sich die Ausstellung einer Reihe von Texten, Fotos, Videoausschnitten und Exponaten.
Restpopulation erholte sich
Im 19. Jahrhundert war der Wolf in der Schweiz wie auch in weiten Teilen von Europa ausgestorben. Ein Jahrhundert später kam die Trendwende: Als die Wälder vielerorts aufgeforstet wurden, kamen die Huftiere allmählich zurück, von alleine oder im Fall des Steinbocks mithilfe einer Wiederansiedelung. In Italien ist der Wolf seit 1970 geschützt, eine Restpopulation konnte sich erholen und verbreiten. So kamen in den Neunzigerjahren die ersten Exemplare in die Schweiz, zunächst einzelne Männchen, später auch Wölfinnen, wodurch sich erste Rudel bilden konnten. Inzwischen leben in der Schweiz rund 100 Wölfe, derzeit sind elf Rudel bekannt. Regelmässige Wolfsangriffe auf Huftiere, vor allem auf Schafe und Ziegen in Alpgebieten, stellen für die Landwirtschaft eine Herausforderung dar.
Drei Wölfe im Thurgau
Im Kanton Thurgau war der Wolf nachweislich seit mindestens 5000 Jahren präsent, bevor er vor etwa 200 Jahren ausgerottet wurde. 2017 kam er zurück: Aus Hohentannen und Uesslingen wurden Schafrisse gemeldet, die von einem Wolf verursacht worden waren, wie DNA-Untersuchungen ergaben. Bis heute sind zwei weitere Wölfe durch den Thurgau gestreift. Einer davon ist M109, der im Februar 2020 aufgrund seines schlechten Gesundheitszustands von der Wildhut erlegt wurde. Sein Schädel ist in einer Vitrine ausgestellt.
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Der Wolf M109 wurde im Januar 2020 von der Wildhut erlegt. Sein Schädel ist an der Ausstellung im Naturmuseum Thurgau zu sehen.
Die Ausstellung vermittelt nicht nur Wissen, sondern fordert den Besucher zudem auf, mittels Stimmungsbarometer die eigene Einstellung zum Wolf kundzutun. Ziel der Ausstellung sei es, so Geisser, die eigene Haltung zu überprüfen und kritisch zu hinterfragen. Nebst Führungen und Vorträgen sind auch Tischgespräche zum Thema geplant.
Die Ausstellung «Der Wolf – wieder unter uns» ist bis 31. Oktober im Naturmuseum Thurgau in Frauenfeld zu sehen. Texte in deutsch, französisch und englisch. Öffnungszeiten: Di bis Fr 17 – 17 h, Sa und So 13 – 17 h. Naturmuseum Thurgau, Freie Strasse 24, 8500 Frauenfeld.
Steckbrief Wolf
- Name: Wolf, Grauwolf (Canis lupus)
- Gewicht: 25-35 kg (in Alaska und Sibirien bis zu 80 kg)
- Grösse: Länge mit Schwanz 130-180 cm
- Schulterhöhe: 60-95 cm
- Verbreitung: Europa, Nordamerika, Asien
- Lebensraum: sehr unterschiedlich aufgrund Anpassungsfähigkeit
- Nahrung: Allesfresser, bevorzugt Huftiere, auch Hasen, Murmeltiere
- Alter: 5-10 Jahre (in Gefangenschaft bis zu 17 Jahren)
- Maximale Geschwindigkeit: 45-50 km/h