Die Ostschweizer brauchen Kühe. Das spüren jedenfalls die Emmentaler Züchter. Ihr Gebiet, das eine Hochburg der Viehzucht ist, profitiert davon. Allerdings mit einem faden Beigeschmack. Wie vergangene Woche an der Regionalversammlung der Schweizer Milchproduzenten in Thun BE erklärt wurde, steht das in einem engen Zusammenhang mit dem Blauzungenvirus.
Die Schweizer Karte gibt in der Tat ein trübes Bild ab. Von West bis Ost ist der Norden flächendeckend von Blauzunge (BTV) betroffen (siehe Grafik unten). Hier wütet seit Ende August BTV vom Serotyp 8. Weiter beschäftigen einzelne Hotspots des Serotyps 3, und das vor allem in Westschweizer Kantonen.
Die Blauzungenkrankheit (Bluetongue BT) ist eine nicht ansteckende Viruserkrankung der Wiederkäuer, die nur durch stechende Insekten (sogenannte Vektoren) übertragen wird. Für den Menschen ist die Krankheit ungefährlich.
Für Kühe und insbesondere Schafe kann sie aber tödlich enden. Das bestätigen gleich mehrere Landwirte im Gespräch mit der BauernZeitung. Gemäss Tierseuchengesetz entschädigen die Kantone 60 bis 90 Prozent des Schätzungswertes. Laut Tierseuchenverordnung werden jedoch nur Entschädigungen für Tiere geleistet, die aufgrund der Seuche verendet sind oder erlöst werden mussten. Aus Tierschutzgründen sei es wichtig, das kranke Tier zu behandeln, betont das Berner Amt für Veterinärwesen in einem früheren Artikel. Seien die Tiere schwer erkrankt und bestünden schlechte Aussichten auf Genesung, müsse man die Tiere einschläfern.
Fast 2000 Betriebe betroffen
Bis Anfang der Woche sind laut BLV 1907 Tierhaltungen in der Schweiz vom Blauzungenvirus betroffen. Bei dieser Zahl handelt es sich um die Anzahl gemeldeter Betriebe. Denn nach wie vor muss davon ausgegangen werden, dass wissentlich oder auch unbeabsichtigt Fälle nicht gemeldet werden – mit der Folge, dass sich die Tierhalter dadurch strafbar machen.
Ein Blick auf die Datenbank «Tierseuchenfälle Schweiz» lässt etwas aufatmen. Der Winter ist da, die Fallzahlen nehmen ab. Nun hat das BLV in Absprache mit der Universität Zürich und den Kantonen entschieden, eine «vektorfreie Periode» auszurufen. Diese gilt vom 1. Dezember bis zum 31. März. In dieser Zeit gibt es kaum Mücken, die das Blauzungenvirus übertragen können. «Deshalb können Kantonstierärztinnen und -tierärzte auf Schutzmassnahmen wie Sperrzonen, Mückenbekämpfung oder Impfungen verzichten. Die Regelungen wurden entsprechend angepasst», so das BLV. Doch es ist ein Aufatmen unter Anspannung. Denn klar ist: Im kommenden Frühling dürfte es weitergehen.
Impfung als Chance
Ein Lichtblick ist die jüngst vom Bund zugelassene Impfung gegen den Serotyp 3 der Blauzungenkrankheit (BTV-3). Bislang war nur eine Impfung gegen BTV-8 möglich. Der Impfstoff mindert Krankheitsverläufe und reduziert Sterblichkeit, kann eine Infektion aber nicht verhindern. Die Impfung, die von Bestandestierärzten durchgeführt wird, ist laut BLV aktuell der beste Schutz vor Verlusten.
«Wir erwarten, dass 2025 der Krankheitsdruck noch grösser werden wird als 2024.»
Matthias Schelling, Direktor Swissgenetics
Politik ist aktiv geworden
Wie gross die Impfbereitschaft ist, wird sich im Frühling zeigen. «Ich werde meine Tiere impfen», sagt der Berner SVP-Nationalrat Ernst Wandfluh im Gespräch mit der BauernZeitung. Wandfluh hat bereits Ende September die Motion Blauzunge eingereicht. In dieser wird gefordert, dass der Bundesrat auf dem schnellsten Weg die rechtlichen Grundlagen schafft, damit die Schweizer Behörden in Notsituationen – wie der vorliegenden Blauzungenepidemie – den Import und die Anwendung von wirksamen, aber nicht formal zugelassenen Medikamenten und Impfstoffen genehmigen können. Die Motion wird in der eben begonnenen Session behandelt und wird sogar vom Bundesrat zur Annahme empfohlen.
Wie Wandfluh weiter ausführt, sei man auf politischem Parkett auch daran, beim Bund Gelder für diese Impfung einzufordern. Bislang ist das Aufkommen dafür Sache der Tierhalter. Nun wird aber gefordert, dass der Bund dafür im Budget 2025 10 Mio. Franken vorsieht. «Das dürfte die Impfbereitschaft positiv beeinflussen», sagt der Bergbauer, ergänzt aber auch gleich, dass es ihm wichtig erscheine, dass die Impfung auch weiterhin freiwillig bleibe.
Das war auch schon anders. Die Schweiz führte von 2008 bis 2010 ein umfangreiches Impfprogramm durch. 2008 war die Impfung für alle Rinder, Schafe und Ziegen während drei Monaten obligatorisch. 2009 und 2010 mussten nur Rinder und Schafe gegen die Blauzungenkrankheit geimpft werden. Die Impfung von Ziegen war freiwillig. 2011 war sie dann generell freiwillig. 2017 gab es nach 2012 erstmals wieder Nachweise auf die Blauzungenkrankheit in der Schweiz und zwischen Ende Oktober 2020 und Juli 2024 traten in der Schweiz keine Fälle von Blauzungenkrankheit auf.
Swissgenetics hat Fälle
Vom Blauzungenvirus sind nicht nur die Bauern betroffen, sondern auch Swissgenetics. «BTV-3 und 8 betreffen uns sehr», sagt Direktor Matthias Schelling. Genetisches Material (Samen und Embryonen), das potenziell BTV übertragen könnte, dürfe nicht ausgeliefert werden und sei zu vernichten, was vor allem bei gesexten Dosen eine sehr teure Angelegenheit sei. «Da wir alle Tiere in Mülligen alle 28 Tage testen, werden bei uns auch Tiere als positiv gezählt, die lediglich in der Blutprobenuntersuchung (PCR-Test) anzeigen, klinisch aber völlig gesund sind» erklärt Matthias Schelling eine der Herausforderungen. Mit dem Kanton Aargau als Hotspot für BTV-3 war es daher nicht erstaunlich, dass Anfang September im Rahmen der Routinekontrolle aller Stiere bei vier Stieren BTV-3 nachgewiesen wurde. In den Routinekontrollen in den Wochen darauf sei nochmals eine Handvoll dazu gekommen, so Schelling, während sich in den letzten Wochen die Lage wieder beruhigt habe. «Zum Glück ist kein einziger Stier klinisch erkrankt, dies möglicherweise auch, weil alle unsere Stiere gegen BTV-8 geimpft sind», so Schelling weiter.[IMG 2]
Schwieriger Handel mit EU
Ein umfassendes Monitoringprogramm ermöglicht Swissgenetics, mit den negativ getesteten Stieren weiterhin zu produzieren. «Im Prinzip würde das auch für den Export gelten, leider gibt es in den Verordnungen der EU aber Widersprüche, sodass zurzeit viele europäische KB-Organisationen nur für den Heimmarkt produzieren, aber nicht exportieren können», erklärt er. Besonders hart getroffen habe es Belgien und Norwegen, wo es sogar zu einem absoluten Produktionsstopp kam.
Was heisst das nun für die Schweiz? «Samendosen von Stieren, die vor und nach der Samenentnahme negativ getestet wurden, dürfen in der Schweiz verkauft werden», erklärt Matthias Schelling. Falls aber ein Stier positiv getestet wird, müssen alle Samendosen, die seit seiner letzten negativen Blutprobe produziert wurden, vernichtet werden. «Der Stier darf wieder produzieren, wenn er negativ getestet wurde bzw. nach einer Frist von 60 Tage.»
Kompletter Schutz nicht möglich
Die Produktion von Samen und Embryonen für die internationalen Märkte sei aktuell hingegen weitgehend unmöglich. «Wir erwarten, dass 2025 der Krankheitsdruck noch wesentlich grösser werden wird als 2024», so Schelling. Daher versuche man u.a., alle Brutstätten für die Gnitzen in und um die Ställe so weit wie möglich auszumerzen (Mist, Schwimmschicht, Gülle etc.), ein kompletter Schutz sei allerdings nicht möglich. «In jedem Fall werden wir unsere Stiere impfen, um die Auswirkung der Krankheit möglichst gering zu halten», ergänzt er weiter. Trotzdem seien auch 2025 erneut positive Tiere zu erwarten.
Zurzeit lasse sich nicht abschätzen, wie sich die Lage auf den internationalen Märkten entwickeln wird. «Wir rechnen für das laufende Geschäftsjahr mit grösseren Einbussen», schliesst Schelling.
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