Ein Blick auf die Fallzahlen der Blauzungenkrankheit des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) zeigt: Seit Jahresbeginn ist die Zahl der Betriebe mit dem Serotyp 3 von 1911 (Stand 3. Januar) auf 2738 (Stand 28. März) gestiegen. Das trotz der vom Bundesamt festgelegten vektorfreien Zeit bis Ende März. «Das sind nur die getesteten Betriebe. Gerade im vergangenen Jahr wurden aufgrund der eingeführten einfachen Sperre nicht mehr alle Tiere getestet», gibt Tierärztin und Homöopathin Ursi Dommann zu bedenken.

Virus geht dieses Jahr weiter

Laut Dommann sei zu erwarten, dass sich das Virus auch dieses Jahr weiterverbreiten wird. «Man weiss, dass der Infekt im Frühling dort weitermacht, wo er im Herbst aufgehört hat», erklärt sie. Empfänglich sind Rinder, Schafe, Ziegen und Neuweltkameliden. Unklar sei, ob auch andere Tierarten wie zum Beispiel Wildwiederkäuer betroffen sind. Zwar würden sie am Virus nicht erkranken, aber auch Ziegen erkranken nur schwach und sind dennoch Träger. «Ziegen sind für die Übertragung die interessanteren Tiere, weil sie keine oder schwache Symptome zeigen, das Virus aber weitergeben können», erklärt die Tierärztin.

Zwar könne das Virus nicht von Tier zu Tier übertragen werden, doch Ursi Dommann erinnert daran, dass das Virus auch über für mehrere Tiere genutzte Injektionsnadeln genutzt werden könne. «Um eine Übertragung zu vermeiden, ist es wichtig, dass für jedes Tier eine eigene Nadel verwendet wird», erklärt sie.

Lahmheiten und Fieber

Ursi Dommann erlebte die Blauzungenkrankheit, damals war es der Serotyp 8, bereits 2008. «Ich kannte die Symptome, doch die aktuellen Fälle mit dem Serotyp 3 unterscheiden sich stark von den Fällen mit BTV-8», so die Tierärztin. In Diskussionen mit anderen Tierärzten fielen das hohe Fieber und eine «komische» Lahmheit als gemeinsame Symptome auf. «Das Fieber geht kaum zurück – was logischerweise zu vielen Aborten führt. Trotz 40 bis 41 °C Fieber geht es den Tieren häufig relativ gut», erklärt sie. Zudem seien «komische» Lahmheiten bei Rindern und Schafen typisch. Die Symptome ähnelten Panaritium oder Mortellaro, doch eine Behandlung erziele keine Besserung. «Sehr viele dieser Tiere, wurden positiv auf BTV getestet», so Dommann.

Blinde Kälber folgten

Ein neues Symptom sei Durchfall. «Im Dezember hatte ich einen Milchviehbetrieb, auf dessen rechter Stallseite die Rinder Lungenentzündung und Husten hatten, links zeigten die Kühe hohes Fieber und Durchfall – in beiden Gruppen wurden Tiere positiv auf BTV-3 getestet», sagt die Tierärztin. Auch Schluckbeschwerden traten häufig auf. Die Tiere waren fit und wollten fressen, brachten das Futter aber nicht runter. Auch Kühe, die schon vier Monate in der Laktation waren und plötzlich ein Festliegen hatten, gehörten dazu.

Im Herbst kamen dann blind geborene Kälber hinzu.«Landwirte riefen mich an und sagten verwirrt, sie hätten ein neugeborenes Kalb, das an Gamsblindheit erkrankt sei», so Dommann. Nach Schätzungen der Tierärztin verschwand die Blindheit bei rund 50 % der Kälber nach einiger Zeit wieder. Ausser der Blindheit seien die Tiere ansonsten gesund und können laut Dommann trotz Handicap auf dem Geburtsbetrieb als Masttier aufgezogen werden. Für blinde Mutterkuhkälber sei es in der Herde zwar ein wenig schwieriger, doch meist funktioniere es auch dort, wenn die Muttertiere gut zu ihrem Jungen schauten.

«Dummy Kälber» geboren

Seit Jahresbeginn treten nun sogenannte Dummy-Kälber (dumme Kälber) auf – Tiere, die sich im vergangenen Herbst im Mutterleib befanden. Sie zeigen Missbildungen und können teils nicht laufen. «Ich hatte einen Mutterkuhbetrieb mit drei Dummy-Kälbern – zwei überlebten trotz allen Behandlungsversuchen nicht», berichtet Ursi Dommann. Häufig sei Atemnot zu beobachten, manchmal auch Sterngucker, die man von BVD kennt. «Mittlerweile weiss man, dass das Blauzungenvirus die Entwicklung des Kleinhirns, das für die Koordination verantwortlich ist, teils oder vollständig hindert», erklärt Dommann. Eine Überlebenschance bestehe nur bei Tieren mit einem unterentwickelten Kleinhirn. «Das Virus scheint eine Affinität zum Nervengewebe zu haben. Häufig hilft bei der Behandlung auch das homöopathische Mittel Apis. Das weist auf mögliche Ödeme hin, die nicht immer sichtbar sind», so Dommann. Zwar handle es sich nur um Vermutungen, doch damit würden sich laut der Tierärztin eine Menge der Symptome erklären lassen.

Wo hat Virus überwintert?

Diese Kälber seien eine Herausforderung: «Die Betreuung ist zeitintensiv und die Überlebenschancen schwer abschätzbar», sagt Ursi Dommann. Auch seien zwei der drei Kälber des Mutterkuhbetriebs negativ auf das Virus getestet worden, womit bei einem Todesfall auch die Entschädigung durch den Kanton wegfalle. «Für mich ist es logisch, dass die Blauzungenkrankheit dafür verantwortlich ist», sagt Dommann.

Noch ist unklar, wo das Virus überwintert. Bekannt sei, dass die Überträgermücken normalerweise 20 Tage überleben. Laboruntersuchungen hätten aber gezeigt: Fallen die Temperaturen nicht unter 10 °C, können sie bis zu drei Monate überleben. «Ich hatte Betriebe mit Virusfällen im Dezember. Die Temperaturen in den Wochen zuvor waren mild, sodass diese im Stall und im Mist vermutlich nicht unter 10 °C gesunken sind. Vielleicht ist das Virus dennoch weitergegangen», so Dommann. Erfreulich sei aber, dass die Gnitzen das Virus nicht an ihre Nachkommen weitergeben und auch keine anderen Gnitzen anstecken.

Das Virus wieder loswerden

Weiter unklar sei, wie lange das Virus im Blut der Tiere bestehen könne. Mit der Impfung wolle man nun die Verweildauer des Virus im Blut (Virämie) verkürzen. «Je kürzer der Wirt dem Virus zur Verfügung steht, umso langsamer kann es sich verbreiten», erklärt Ursi Dommann. Es gehe bei der Impfung also nicht um den Schutz des einzelnen Tieres, sondern der gesamten Population.

«Damit sich das Virus totläuft, müssen 80 % der Tiere immun sein, entweder durch eine Erkrankung oder durch die Impfung», so Domman. Eine Erkrankung verhindere die Impfung nicht, allerdings verlaufe sie bei geimpften Tieren langsamer und schwächer. Vor allem verkürze sie die Virämie.

Prophylaxe gegen BTV
Die IG Homöopathie Nutztiere, das FiBL und Kometian starten eine Studie zur homöopathischen Prophylaxe gegen die Blauzungenkrankheit. Es soll untersucht werden, ob homöopathische Mittel das Immunsystem stärken und Symptome reduzieren. Teilnehmen können alle Tierhalter, unabhängig davon, ob sie impfen oder nicht. Voraussetzung ist die Zusammenarbeit mit einem Tierarzt der IG, dem FiBL oder Kometian, um eine optimale Betreuung sicherzustellen.
Weitere Informationen und Anmeldung unter www.handbuchzurstallapotheke.ch oder per E-Mail an info(at)handbuchzurstallapotheke.ch.