Ende August ist die Blauzungenkrankheit definitiv in der Schweiz angelangt. Nach der Meldung des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) eines ersten Falls des Serotyps 8 (BTV-8) im Kanton Waadt folgten einen Tag später drei weitere Fälle von erkrankten Schafen mit dem Serotyp 3 (BTV-3) auf zwei Betrieben in den Kantonen Jura und Solothurn.
«Seit Ende August 2024 weisen die Veterinärbehörden in zahlreichen Kantonen Fälle der Blauzungenkrankheit mit dem Serotyp 8 und mit dem Serotyp 3 nach», schreibt das BLV in seinem Infoblatt. Insgesamt 41 Tierhaltungen, davon 18 Rinder- und 23 Schafhaltungen, in neun Kantonen sind bisher betroffen – weitere dürften dazukommen. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um den Serotyp 3 der Viruserkrankung.
Impfung in der Schweiz nicht zugelassen
Übertragen wird die Blauzungenkrankheit über Mücken, sogenannte Gnitzen. Diese treten in Mitteleuropa von Juni bis Ende November auf. Insbesondere die Infektion mit dem Blauzungenvirus des Serotyps 3 verursacht bei Schafen schwere Symptome. Bei den Rindern verläuft die Krankheit meist milder, doch auch sie können teilweise starke Symptome und einen Rückgang der Milchleistung zeigen.
«Im Gegensatz zur Schweiz gibt es in Europa eine gesetzliche Grundlage.»
BLV-Mediensprecherin Tiziana Boebner über die in der Schweiz nicht zugelassene Impfung.
Bei den Schafen kann die Sterblichkeit sehr hoch sein, die Rede ist von 30 bis 40 Prozent. Das grosse Problem beim Serotyp 3: Es gibt in der Schweiz keine spezifisch gegen das Virus gerichtete Therapie. «Bei Bedarf sind tierärztliche Behandlungen mit Schmerzmitteln und Entzündungshemmern und allenfalls auch Antibiotika oder Infusionen nötig. Schwer leidende Tiere müssen erlöst werden», sagt Robert Hess, Thurgauer Kantonstierarzt.
«Die Zulassung der Impfung muss her»
Präventiv können die Tiere mit Insektenschutz oder dem Anbringen von Mückennetzen geschützt werden. Einen vollständigen Schutz gegen den Erreger gibt es aber nicht. Auch eine Impfung ist in der Schweiz nicht zugelassen.
Das bereitet Franz Eugster, Präsident des Schafzuchtverbands Oberthurgau und Mitte-Kantonsrat, grosse Sorgen. «Das Leid der erkrankten Tiere ist enorm», sagt Eugster. Die Krankheit kann Fieber und ein Anschwellen der Schleimhäute, einhergehend mit einer bläulichen Verfärbung der Zunge, verursachen. Hinzu kommen Atembeschwerden, es droht gar Erstickungsgefahr. Für Eugster ist deshalb klar: Die Zulassung der Impfung muss her.
Hat das BLV verschlafen?
Die europäischen Länder haben aufgrund des dortigen gehäuften Fallaufkommens per Notzulassung grünes Licht für die Impfung gegeben. Hat das BLV die Situation verschlafen? Franz Eugster verneint: «Verschlafen haben sie nicht, das BLV warnt seit Juni vor der Ausbreitung des Serotyps BTV-3. Ich würde eher sagen, die Situation wurde unterschätzt.» Eugster findet, das BLV hätte die Zulassung des Impfstoffes bereits im Juni in die Wege leiten können. «Dann hätten wir jetzt einen Impfstoff.»
Das BLV rechtfertigt sein Vorgehen. Auf Anfrage schreibt Mediensprecherin Tiziana Boebner-Lombardo: «Im Gegensatz zur Schweiz gibt es in Europa eine gesetzliche Grundlage, die es einzelnen Mitgliedstaaten unter bestimmten Umständen erlaubt, die Anwendung eines in der EU nicht zugelassenen Impfstoffes zu genehmigen. In der Schweiz gibt es momentan keine gesetzliche Grundlage für ein analoges Vorgehen.»
Das BLV habe vor geraumer Zeit im Rahmen der derzeit laufenden Revision des Heilmittelgesetzes (HMG) gefordert, dass eine entsprechende Grundlage geschaffen werde. Das HMG müsse jetzt aber noch durch den parlamentarischen Prozess. «Es wird also noch lange dauern, bis eine solche Grundlage in Kraft treten kann. Ausschliesslich auf Verordnungsstufe kann man es leider nicht lösen, weil eine Grundlage auf Stufe Gesetz fehlt», bedauert sie.
Wandfluh reicht parlamentarischen Vorstoss ein
Franz Eugster gibt sich mit dieser Antwort nicht zufrieden. «Der parlamentarische Prozess ist eine Variante. Aber es gäbe noch die Variante, die offizielle Zulassung in der Schweiz voranzutreiben, damit wir wenigstens im Winter den Impfstoff haben.»
So hat auch der Berner Bergbauer und Nationalrat Ernst Wandfluh einen parlamentarischen Vorstoss eingereicht – mit ähnlichen Forderungen. Weiter ist auch für den Schweizer Bauernverband (SBV) klar, dass es die Zulassung eines Impfstoffes braucht. «Alle Akteure müssen helfen», schreibt der SBV auf Anfrage. Von den im Ausland vorhandenen Impfstoffen gegen den Serotyp 3 wisse man, dass die Krankheit bei geimpften Tieren milder verlaufe und sich weniger neue Viren bildeten. Der SBV erwartet, dass in solchen Situationen notfallmässig Impfstoffe eingesetzt werden können, auch wenn diese noch nicht ordentlich zugelassen sind.
Tierverluste werden entschädigt
Kantonstierarzt Robert Hess rät den Betrieben, die Tiere nachts einzustallen und bestmöglich vor Mücken zu schützen sowie unnötigen Tierverkehr zu vermeiden. Die Blauzungenkrankheit ist eine zu bekämpfende und somit meldepflichtige Tierseuche. Bei einem Seuchenverdacht gilt: Umgehend den Bestandestierarzt informieren. Tierverluste wegen der Blauzungenkrankheit werden von den Kantonen entschädigt. Der Wert verstorbener Tiere werde nach Richtlinien des Bundes geschätzt, so das Amt für Veterinärwesen Bern.
«Gemäss Tierseuchengesetz entschädigen die Kantone 60 bis 90 Prozent des Schätzungswertes», schreibt das Amt weiter. Gemäss Tierseuchenverordnung werden jedoch nur Entschädigungen für Tiere geleistet, die aufgrund der Seuche verendet sind oder erlöst werden mussten. Aus Tierschutzgründen sei es aber wichtig, das kranke Tier trotzdem zu behandeln, betont das Amt für Veterinärwesen Bern. Seien die Tiere schwer erkrankt und bestünden schlechte Aussichten auf Genesung, müsse man die Tiere einschläfern.
