«Wenn sie merken, wie schlecht es dir geht, werden sie dir noch die KESB auf den Hals schicken», sagt Beni Broger vor seinem Stall. Mit «sie» meint der 48-jährige Meisterlandwirt Amtsvertreter und Kontrolleure, die seit 2022 alle paar Wochen seinen Hof und sein Vieh kontrollieren. Damals brach BVD auf seinem Betrieb aus. Seither ist nichts mehr, wie es war.
Mehrmals unter Sperre
Das Ausrottungsprogramm der Rinderkrankheit BVD begann im Sommer 2007. Im Laufe des BVD-Ausrottungsprogramms gab es laut dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) über 8300 BVD-Fälle. Einige Betriebe waren zudem mehrmals von BVD-Fällen betroffen und daher auch mehrmals unter Sperre. Aktuell seien gesamtschweizerisch neun Betriebe wegen eines BVD-Falls oder -Verdachts gesperrt und weitere 54 Betriebe hätten einzelne, gesperrte trächtige Tiere im Bestand, so das BLV.
«Das sind Zahlen, aber weiss überhaupt jemand, wie belastend es für uns ist, wenn man Kälber einschläfern muss? Welchen Stress die amtlichen Schreiben verursachen? Wie nahe man an einem Bankrott entlang schrammt?», sagt Beni Broger. Darüber spreche niemand. Er aber will darüber reden.
«Der schönste Moment für einen Landwirt ist, wenn eine Kuh ein gesundes Kalb auf die Welt bringt», erzählt er. Umgekehrt breche es ihm das Herz, wenn ein Kalb eingeschläfert werden müsse – nicht nur er, sondern auch seine Schwester Lydia und seine Eltern leiden mit.
Seit dem Ausbruch von BVD 2022 mussten zwölf Kälber eingeschläfert werden. «Alles Zuchtkälber», sagt Beni Broger und zeigt stolz auf die Auszeichnungen für Zuchtfamilien und 100 000-Kühe, die an der Wand beim Hauseingang hängen. «Ich züchte auf funktionale, gesunde und leistungsfähige Kühe», erklärt er sein Zuchtziel, das er durch gezielte Paarung, Embryotransfer und genomische Selektion konsequent verfolgt. Früher verkaufte er jährlich Zuchtvieh für rund Fr. 60 000.-. Heute geht sein Vieh an einen Metzger.
Schätzung macht Probleme
Muss ein Kalb aufgrund von BVD eingeschläfert werden, wird der Erlös mit dem amtlichen Schätzwert verglichen. Die Differenz zum Marktwert minus 10 % übernimmt die Seuchenkasse. Zum einen macht der Landwirt Verlust, weil er das Tier nicht zum Zuchtwert verkaufen kann, zum anderen ist der Schlachtpreis tiefer, als wenn das Tier am Viehmarkt verkauft worden wäre. «Und davon fallen dann auch noch 10 % weg», so Beni Broger. Als er im Dezember 2023 sechs rare Zuchtkälber töten lassen musste, liess er sie vom Zuchtverband und einem Genetikanbieter schätzen. Die amtliche Schätzung des Kantons St. Gallen fiel um ein Vielfaches tiefer aus. Das akzeptierte er nicht.
«Es hiess, die Schätzungen des Zuchtverbands und des Genetikanbieters seien spekulativ, da ich ja deren Kunde sei», erzählt Broger und verlangte eine Nachschätzung, wobei er dafür Fr. 1000.– bezahlen musste. Der Kanton verweist darauf, dass er sich für die Einschätzung an die aktuellen Richtlinien des BLV halten müsse. Das BLV hingegen schreibt auf Nachfrage der BauernZeitung, dass der Kanton über die Höhe der Entschädigung entscheide. Diese ist je nach Kanton unterschiedlich.
Der Kanton St. Gallen stütze sich bei der Schätzung auf die Wegleitung des BLV aus dem Jahr 2006. Laut Wegleitung wird bei Milchkühen nur der Nutz- und Schlachtwert berücksichtigt, nicht aber der Zuchtwert. Der benachbarte Kanton Appenzell hingegen richtet sich nach der Tierseuchenverordnung, die vorsieht, dass Nutz-, Schlacht- und Zuchtwert bei Milchkühen zu berücksichtigen seien.
Bezüglich der amtlichen Schätzwerte einfach nachzugeben, kommt für Broger nicht infrage. «Ich weiss um den Wert meines Zuchtviehs», sagt er. Er reckt den Kopf und will sich nicht zermürben lassen. Grund hätte er genug – und auch Arbeit.
Er hat für drei Standorte eine Betriebsnummer, aber drei TVD-Nummern. Das Betriebszentrum ist in Gonten (AI), gegenüber liegend ist seine Alp Oberer Hackbühl und er bewirtschaftet einen Pachtbetrieb in Frümsen (SG). «Zugegeben, es ist in unserer Region eine ungewöhnliche Form der Stufenbewirtschaftung. Aber als ich die Gelegenheit hatte, den Betrieb in Frümsen zu pachten, war das eine bessere Lösung, als hier in Gonten einen neuen Stall zu bauen», sagt er.
Anwältin nimmt Druck weg
Seit BVD auftrat, muss er für jeglichen Tierverkehr von einem Standort zum anderen eine Erlaubnis beantragen. Um mit den Ämtern fertig zu werden, hat er inzwischen über seine Rechtsschutzversicherung die Anwaltskanzlei Ritter-Koller eingeschaltet. «Das nimmt Druck weg.»
Manch ein Kollege sage ihm «Was wehrst du dich? Nachher schikanieren sie dich noch mehr.» Dieses Gefühl kommt auch in Broger manchmal auf. Auch fragt er sich, wo sich seine Tiere mit BVD angesteckt haben könnten. «Ich habe einen geschlossenen Betrieb und kaufe seit Jahren keine Tiere mehr zu, ging auch nie mehr an Ausstellungen und Viehschauen», sagt er. Seine Tiere werden in eigenen Gruppen gehalten. Auf seinen drei Standorten haben die Rinder keinen Tierkontakt zu Nachbarn. Die Weiden grenzen nicht aneinander und die Weidezeiten sind versetzt.
«Man muss doch mal wissen, woher der BVD-Virus kommt, damit der Hebel an der Ursache angesetzt werden kann», sagt er. Auf seine Frage erhält er immer die Antwort, das lasse sich nicht herausfinden. Das BLV mache es sich zu einfach, wenn immer der Tierverkehr als Ursache für die BVD-Verbreitung angegeben werde. Auf Nachfrage der BauernZeitung bestätigt das BLV, dass neben dem Tierverkehr eine indirekte Übertragung des BVD-Virus auch möglich sei, beispielsweise durch kontaminierte Kleidung oder Stiefel, Gerätschaften, Einstreu oder schmutzige Viehtransporter. Hingegen hätten verschiedene Untersuchungen in der Vergangenheit keine Hinweise darauf geliefert, dass Wildtiere ein Virusreservoir für BVD darstellten, so das BLV.
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Beni Broger geht auf alle Fälle auf Nummer sicher. Jeder kantonale Beamte, jeder Kontrolleur usw. muss einen Schutzanzug tragen, wenn er den Stall betritt. Darauf besteht er. Er findet, dass im ersten BVD-Jahr eine Durchseuchung seines Betriebs besser gewesen wäre, als so, wie es jetzt laufe. Kühe mit Antikörpern würden ja keine Streukälber mehr gebären. So aber werde immer wieder getestet. Bis das Testresultat da sei, stehe er dauernd unter Druck.
Jedes amtliche Schreiben verursache schlaflose Nächte, wobei ihm die Tonalität der Amtsstellen und der Verfügungen ein Graus seien. «Auf wenigen Zeilen steht, was sie wollen. Dann wird seitenweise bei Nichtbefolgen mit Bussen, Strafbefehl usw. gedroht», fasst er zusammen. Sie seien sich gar nicht bewusst, was sie an Stress auslösten.
Existenzängste und Vorsorge
Dazu kommt die wirtschaftliche Situation, die für Beni Broger existenzbedrohend ist. «Wenn man bedenkt, dass dadurch auch meine AHV-Beiträge auf dem tiefsten Niveau sind, habe ich nicht nur jetzt Existenzängste, sondern sorge mich auch um meine Altersvorsorge», sagt er.