«Die Landwirte haben es selbst in der Hand, ob es in Zukunft Anbindeställe gibt oder nicht», sagt Christian Manser. Im Stall von Familie Brunner in Schwellbrunn AR herrscht Stille. Die mehr als 100 angereisten Landwirte lauschen gespannt. Manser, Kuhsignaltrainer, ETH-Agronom und Mitarbeiter der Fachstelle Rindvieh des LZSG, spricht.

Am Samstag, dem 12. März lädt die IG Anbindestall zur Betriebsbesichtigung ins Appenzellerland ein. Am Vormittag führt Familie Brunner auf dem Gägelhof in Schwellbrunn durch ihren Stall, am Nachmittag geht es weiter zu Familie Knellwolf in Waldstatt AR.

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Ein voller Stall

«Ich weiss nicht, wie viele kommen werden», sagt Michael Schum, Landwirt, Vorstandsmitglied und Mitorganisator der Veranstaltung bei der Autofahrt nach Schwellbrunn. Beim letzten Anlass im Toggenburg seien trotz des angekündigten Referats von Kuhsignaltrainerin Martina Schmid weniger Teilnehmer gekommen, als man erwartet habe.

Heute jedoch sieht es anders aus. Um 10 Uhr ist der Stall von Fabienne und Ernst Brunner rappelvoll.

Trotz des Andrangs stehen die Kühe ruhig in Reih und Glied an ihren Plätzen, lassen sich von den Besuchern kraulen. Die Landwirte stehen hinter und vor den Tieren, führen Fachgespräche und bestaunen den makellosen Zustand der Original-Braunvieh-Kühe. Aus den Radioboxen im Stall singt Freddie Mercury «It’s a kind of magic».

«Man muss Glück haben, an so einen Betrieb zu kommen», sagt Ernst Brunner später zur BauernZeitung. Er und seine Frau Fabienne übernahmen den Hof in der Bergzone II im Jahr 2019, zwei Jahre später entstand der neue Stall. Mit einem 1500 m3 fassenden Heulager samt Heubelüftung und einer 75-kW-Photovoltaikanlage auf dem Dach (ohne Speicher) ist er gut ausgestattet.

Im Stall stehen heute 30 OB-Kühe; braune, Blüem- und auch Gurtkühe, die im Durchschnitt zwischen 6500 kg und 7000 kg Milch liefern. Dazu kommen 20 Stück Jungvieh sowie ein Stier.

Im vorderen Stallbereich locken Kaffee mit Schuss, Bier, Möhl, Rivella und weitere Getränke. Die Festbänke füllen sich schnell, zusätzliche werden herbeigeschafft. Kinder springen herum, bis sie es sich auf einem grossen Heuballen bequem machen.

Erfolg fängt beim Landwirt an

«Habt ihr die Kühe gesehen? Diese Bäuche, diese Ruhe?», sagt Christian Manser und wendet sich an Fabienne Brunner. «Was gefällt dir am besten am Stall?», will er von ihr wissen. Sie lacht und antwortet: «Natürlich mein Mann, der darin arbeitet», und erntet Applaus.

Manser lobt den Betrieb und hebt hervor, dass die Freude am Tier zentral sei. «Ein Anbindestall bei einem Landwirt mit Freude ist etwas Schönes. Hat er keine Freude, ist es ein Graus.» Er mahnt, Stallsysteme nicht gegeneinander auszuspielen – Lauf- und Anbindeställe hätten beide ihre Berechtigung. Bevor man neu baue, solle man aber das Beste aus seinem alten Stall herausholen. In abbezahlten Ställen werde Geld verdient. Wichtig sei aber, dass sie auf die Kuh optimiert seien. Diese brauche, so Manser, die sechs Freiheiten der Weide, nämlich Luft, Licht, Wasser, Raum, Ruhe und Futter. «Wenn sie das hat, geht es ihr gut.»

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«Kühe simulieren nicht. Sie sind grundehrlich und sie wollen uns nicht ärgern mit ihrem Verhalten», sagt Christian Manser. Man solle darum die Kuh im Stall beobachten und auch Bestehendes hinterfragen. «Braucht es diese Wand? Muss das Nackenrohr so tief sein? Was heisst das, wenn die Kuh immer wieder ihren Nasenrücken oder die Stelle oberhalb des Auges gegen Metall hält? Die Auflösung: Sie drückt auf ihre Schmerzpunkte und hat folglich Schmerzen.» Solche Fragen stellt Manser den Landwirten während seines Vortrages.

«Aus einem alten Stall lässt sich viel machen.»

Vor einem Neubau lohnt es sich oft, den bestehenden zu optimieren, sagt Manser.

Darauf soll man achten

Christian Manser gibt praktische Tipps: Eine Abkalbebox sei die beste Investition für einen Anbindestall. Fenster sollten offen sein, damit Feuchtigkeit entweichen kann. Beim Herauslassen der Kühe beginne man am besten bei der hintersten und arbeite sich zur Stalltür vor – so bleiben die Tiere ruhiger. «Probiert es aus, ihr werdet es nie mehr anders machen.»

Christian Manser zeigt Bilder: Kühe, die im Liegen die Beine ausstrecken – ein Hinweis auf Schmerzen. Wiedergekaute Nahrung vor den Klauen – das Halsband sitzt zu eng. Futter hinter den Tieren – der Futtertisch ist vorne geschlossen, die Kuh kann das Futter nicht nach vorne wegschieben.

Aber Manser zeigt auch positive Beispiele: Man sieht luftige Anbindeställe, in denen die Sonne den auf einer dicken Strohmatratze liegenden Kühen auf den Bauch scheint und in denen eine Kette das Nackenrohr ersetzt und die Kühe so mit Schwung nach vorne besser aufstehen.

Besonders angetan haben es Christian Manser einige Ställe, die er erst kürzlich in Südtirol besucht hat. «Die Südtiroler sind ein so unglaublich sympathisches Volk. Falls ihr mal im Nationalrat die Gelegenheit habt – holt die doch zu uns Schweizern», sagt er und richtet sich an den anwesenden Thomas Knutti, Landwirt, Präsident der IG Anbindestall und SVP-Nationalrat. Dieser lacht zusammen mit den Anwesenden und antwortet: «Wir schauen mal, was wir machen können.»

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Beton raus, Strohmatratze rein

Der Vortrag endet und der Duft von Bratwürsten schwebt in der Luft. Nach dem Mittagessen geht die Veranstaltung weiter auf dem Betrieb von Familie Knellwolf in Waldstatt, einem Familienbetrieb mit 25 ha LN. Der 1992 gebaute Anbindestall wurde in Zusammenarbeit mit Christian Manser 2019 optimiert und umgebaut. «Ich war am Anfang nicht von allem überzeugt, was mir Christian empfahl. Mittlerweile vertraue ich ihm aber», sagt Betriebsleiter Sepp Knellwolf bei der Begrüssung lachend.

Die Veränderungen im Stall sind offensichtlich: Unter den Kühen wurde Beton «weggespitzt», um Platz für eine Strohmatratze zu schaffen. Eine flexible, 10 cm hohe Gummimatte dient als Abgrenzung zum Futtertisch. Die Kühe sind an einer Kette oben am Nackenrohr angebunden, haben nach vorne Platz und können sich mit Schwung aufrichten.

Die Brown-Swiss-Kühe präsentieren sich mustergültig. Über jeder Kuh hängt ein Namenstäfeli, das den Geburtstag, die Milchwerte und weitere Angaben erfasst.

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Die Zukunft selbst in der Hand

Eine besonders stattliche Kuh fällt auf. Ihr Kopf folgt aufmerksam dem aufgespiessten Heu auf einer Heugabel, ihr Fell ist dunkelbraun wie bittere Schokolade. «Das ist Valencia», sagt Thomas Knellwolf, der die Heugabel in der Hand hält. «Eigentlich hätte man die 12-jährige Kuh schon in die Metzg geben können, aber sie ist uns ans Herz gewachsen und hat wieder aufgenommen. Und jetzt bleibt sie noch im Stall.»

Währenddessen zeigt Andreas Knellwolf an einer im Klauenstand fixierten Kuh, wie er die Klauen der Tiere pflegt. Der eingesperrten Baerli missfällt die Lage sichtlich, erleichtert trottet sie nach erledigter Pflege hinter Andreas Knellwolf zurück an ihren Stallplatz. Durch ihre Präsenz im Stall und den Umgang mit ihren Tieren merkt man der Familie auch hier ihre Leidenschaft und Fürsorge für ihre Kühe an.

Trotz der kalten Bise verweilen viele Besucher und auch Christian Manser bis in den späten Nachmittag auf dem Hof. Sie trinken Kaffee, diskutieren die neuen Erkenntnisse und lassen den Tag ausklingen.

Die Landwirte hätten die Zukunft selbst in der Hand, sagte Manser zu Beginn der Veranstaltung. Die beiden gezeigten Betriebe haben eindrucksvoll bewiesen, dass der Anbindestall mit den richtigen baulichen Anpassungen und einer Passion für das Tierwohl eine Zukunft hat. Wer seine Kühe so hält, wie es die Familien Brunner und Knellwolf tun, kann mit Zuversicht nach vorne blicken.

Betriebsspiegel
 
Betrieb Familie Knellwolf

Sepp und Karin Knellwolf mit ihren Söhnen Thomas und Andreas

Ort: Oberer Grund Waldstatt AR
LN: 25 ha, davon 9 % BFF
Viehbestand: 20 Brown-Swiss-Kühe mit einer Milchleistung zwischen 8000 und 9000 kg; produziert wird Käsereimilch für die Appenzeller Käserei, 30 Stück Jungvieh


Betrieb Familie Brunner

Fabienne und Ernst Brunner mit ihren Kindern Lia, Roman und Pascal, Seniorchef Jakob Brunner

Ort: Gägelhof Schwellbrunn AG
LN: 23 ha in der Bergzone II, davon 10 % BFF, sowie 13 ha Alp in Urnäsch
Viehbestand: 30 OB-Kühe mit einer Milchleistung zwischen 6500 und 7000 kg, 20 Stück Jungvieh und ein Stier