«Ich fühle mich im Stich gelassen. Was, wenn ich morgen ein positives Resultat erhalte?», äussern gleich mehrere Viehhalter im Gespräch mit der BauernZeitung. Die Blauzungenkrankheit (BTV), eine durch Stechmücken übertragene Viruserkrankung, hat sich in den letzten Wochen in der Schweiz dramatisch ausgebreitet. Die Gesamtzahl der Fälle hat sich innert Wochenfrist auf 670 Tierhaltungen verdoppelt (Stand Montag, 30. September). Besonders besorgniserregend ist für die Bauern, dass es keinen Impfstoff und kaum Unterstützung für die Betroffenen gibt. Behörden wirken unvorbereitet, obwohl die Blauzunge im nördlichen Nachbarland Deutschland schon seit Längerem grassiert und auch in anderen Ländern bereits ernsthafte Ausmasse angenommen hat.
Blauzunge Aktuell
Tiere auf Symptome untersuchen
Wie Rindergesundheit Schweiz in seinem Merkblatt schreibt, verläuft eine Infektion mit der aktuellen Form der Blauzungenkrankheit auch bei Rindern schwerer. Am empfänglichsten sind Kühe nach der Abkalbung. Auch Schafe, Ziegen und Neuweltkameliden sind empfänglich für das Virus. Besonders bei Schafen verläuft die Erkrankung schwer, und die Mortalität ist hoch.
Folgende Symptome sind beim Rind möglich:
- Fieber, Teilnahmslosigkeit und Milchleistungsabfall
- Läsionen an Nase, Flotzmaul und in der Maulhöhle
- Blaufärbung und Ödeme an Kopfschleimhäuten und Zunge
- Bindehautentzündung, Augenausfluss, Nasenausfluss, Speicheln
- Lahmheiten, Kronsaumschwellungen, Gelenkschwellungen, im Endstadium Ausschuhen
- Blutungen am Euter
Nicht immer sind die Symptome auf einen Blick sichtbar. Kontrollieren Sie die Tiere deshalb genau. Achten Sie besonders auf Verkrustungen am Nasenspiegel und Nasenausfluss der Tiere. Untersuchen Sie weiter die Klauensäume auf entzündete oder sogar eiternde Klauensäume. Reinigen Sie dazu vorgängig die Beine der Tiere, um bereits kleinste Veränderungen feststellen zu können. Auch eine Taschenlampe kann bei der Untersuchung helfen.
Schutzmassnahmen gegen die Mücken
Eine Impfung gegen den Serotyp 3 des Virus ist nach wie vor nicht vorhanden. Neben dem Serotyp 3 sind auch 69 Fälle mit dem Serotyp 8 verzeichnet. Über ihren Bestandstierarzt können Tierhaltende ihre Tiere gegen den Serotyp 8 impfen lassen. Neben dem Verzicht auf nächtliches Weiden, dem Anbringen von Insektenschutznetzen an Einflugspforten (mind. drei Maschen pro cm) kann das Risiko einer Infektion mithilfe eines Insektenschutzs verringert werden. Zu finden ist ein solches Mittel bei der Gisga AG. Über den Tierarzt kann weiter ein Mittel der Firma MSD bezogen werden.
664 Tierhaltungen von Virus betroffen
Seit Ende August ist die Blauzungenkrankheit nun auch in der Schweiz angekommen. Die Fallzahlen steigen seither rasant an. Insgesamt 664 Tierhaltungen (Stand 30. September) sind betroffen. Hinzu kommt vermutlich eine nicht zu unterschätzende Dunkelziffer von Tieren, die sich noch auf der Weide befinden. Die Blauzungenkrankheit ist eine zu bekämpfende Tierseuche. Ein Verdachtsfall muss umgehend dem Bestandstierarzt gemeldet werden. Für den Menschen ist die Krankheit nicht gefährlich. Fleisch und Milchprodukte können ohne Bedenken konsumiert werden. Betroffene Betriebe können ihre Milch weiterhin abgeben und auch Mastbetriebe sind in der Produktion nicht weiter eingeschränkt.
Hier gelangen Sie zum Merkblatt.
Seit einem Jahr in Deutschland
In Deutschland wurde der erste Ausbruch des Serotyps 3 (BTV-3) bereits vor einem Jahr, am 12. Oktober 2023, festgestellt. Seither hat sich die Situation verschärft: Über 10 000 Betriebe sind mittlerweile betroffen. Die Schweiz sieht sich also nicht nur einem neuen Seuchendruck gegenüber, sondern auch einem deutlich unkoordinierten Handlungsrahmen. Mit mehr als 3500 bestätigten BTV-3-Fällen in Deutschland seit Juli 2024 wächst die Sorge in der Schweiz, dass sich die Situation hier ähnlich dramatisch entwickeln könnte.
Betroffener Betrieb
Auf einem Betrieb im Kanton Aargau zeigt sich die Tragweite der Krise deutlich. Seit Ende September ist dort nach einer positiven Blutprobe die einfache Sperre 1. Grades verhängt worden, was v.a. Einschränkungen im überbetrieblichen Tierverkehr bewirkt. Peter Trachsel, Milchproduzent aus Seon AG, berichtet von den Auswirkungen des Blauzungenvirus auf seinem Betrieb: «Seit Tagen haben von den insgesamt 50 Tieren zwei Kühe stark entzündete, teils eiternde Klauensäume, andere haben Verkrustungen am Nasenspiegel und Nasenausfluss. Neuinfektionen haben wir aber derzeit keine mehr. Insgesamt sind etwa 15 Tiere betroffen.» Der Pflegeaufwand sei gross, vor allem bei den beiden Kühen mit den schmerzhaften Klauen. «Zweimal täglich nehmen wir die Tiere in den Klauenstand. Wir kühlen die Klauen, besprühen die betroffenen Stellen mit einer selbst hergestellten Lösung aus Calendula-Urtinktur, Lavendel-, Oregano- und Teebaumöl und machen einen Honigverband. Die beiden blieben ein paar Tage im Stall, was sie natürlich überhaupt nicht mochten und lautstark protestieren. Aber was soll’s – da muss man durch!»
Auch nach dem Abheilen der Narben bleibt bei Peter Trachsel ein mulmiges Gefühl bei den trächtigen Tieren bestehen – werden mögliche Fehlgeburten oder Missbildungen doch erst in einigen Wochen erkennbar sein?
Unterstützung mangelhaft
Für Peter Trachsel und viele andere Landwirte bleibt die Unterstützung durch die Behörden spärlich. So gibt es zwar technische Weisungen zum Vektorschutz, doch die darin enthaltenen Empfehlungen sind veraltet. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) gibt zu, dass die Liste zugelassener Produkte aus dem Jahr 2008 stammt und derzeit überarbeitet wird. Auf konkrete Nachfragen der BauernZeitung, welche Mittel eingesetzt werden können, heisst es: «Die Technische Weisung inklusive Wirkstofftabelle wird derzeit überarbeitet. Die Angaben sind grundsätzlich ohne Gewähr.»
Ist die Impfung wirksam?
Während in Deutschland zumindest erste Impfstoffe gegen den Serotyp 3 zugelassen wurden, bleibt ihre Wirksamkeit unklar. Es wird zwar berichtet, dass geimpfte Tiere nach einer Infektion mildere Verläufe zeigen, jedoch bieten auch diese Impfstoffe keinen vollständigen Schutz. Das Vertrauen in die verfügbaren Mittel ist erschüttert, zumal in den Niederlanden bereits geimpfte Tiere trotz Impfung an BTV-3 erkrankten und teilweise verstarben.
Die Situation ist ernst und der Druck auf die Bauern wächst. Während die Zahl der Infektionen in Deutschland weiter steigt, blicken die Schweizer Bauern mit Sorgen auf die nächsten Wochen und Monate. Sie fühlen sich alleingelassen, ohne klare Perspektiven oder effektive Mittel zur Bekämpfung der Seuche.
Sperre für betroffene Aargauer Betriebe
Mittlerweile ist die Blauzungenkrankheit in fast allen Kantonen angekommen. Am stärksten betroffen ist dabei der Kanton Jura (150 Tierhaltungen) gefolgt vom Kanton Aargau (93 Tierhaltungen). Während die Gesetzgebung auf Bundesebene geregelt ist, erfolgt der Vollzug kantonal. Angesichts der aktuellen Lage hat der Aargauer Veterinärdienst als erster Kanton für von der Seuche betroffene Tierhaltungen die einfache Sperre 1. Grades mit Erleichterungen verfügt. Weitere Kantone könnten folgen. Von der Sperre und den Massnahmen betroffen sind für die Viruserkrankung empfängliche Tierarten, das heisst Wiederkäuer.
Folgendes gilt für betroffene Betriebe:
- Erkrankte Tiere dürfen den Betrieb nur auf direktem Weg zur Schlachtung mit einem roten Begleitdokument verlassen.
- Gesunde Tiere dürfen nur mit der Bewilligung des Kantonstierarztes und einem roten Begleitdokument auf einen anderen Betrieb gebracht werden.
- Tierzugänge dürfen weiterhin ohne Bewilligung des Kantonstierarztes eingestallt werden.
Beim Transport erkrankter Tiere sind weiterhin die Bestimmungen zur Sicherstellung von Tierschutz und Lebensmittelsicherheit zu beachten. Verfügt wurde die Sperre für 60 Tage respektive bis zum Beginn der mückenfreien Zeit im Winter.
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