Es schien, als sei Deutschland der Schweiz in Sachen Tierschutz einen Schritt voraus. Seit dem 1. Januar 2022 ist das Töten von männlichen Küken in Deutschland per Gesetzgeber verboten. Die Bundesregierung nennt das Verbot «ein starkes Signal für den Tierschutz». Ein Bericht im Bayerischen Rundfunk zeigte nun allerdings, welche negativen Folgen das Verbot für den Menschen, die Tiere und das Klima hat.
Küken fehlen als Futter
Gemäss Schätzungen wurden bisher 75 Prozent der getöteten Küken in Deutschland in Tierparks, Tierauffangstationen sowie in Falknereien und von Katzenzüchtern verfüttert. Diese fehlen seit Inkrafttreten des Verbotes und müssen aus dem Ausland für mindestens den doppelten Preis importiert werden. Das verursacht zusätzliche Kosten und Emissionen. Eine weitere Möglichkeit wären Mäuse, sagt Dag Encke, Direktor des Tiergartens Nürnberg. «Die Mäuse müssen erst über drei Wochen in Käfigen aufgezogen werden. Zusätzlich wiegen sie weniger als Küken, wodurch wir doppelt so viele benötigen», erklärt er. Die Summe des Leides verringere sich damit nicht.
Eine Ausnahme, die das Töten der Küken für Futterzwecke erlaubte, war laut dem Landwirtschaftsministerium im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens immer mal wieder auf dem Tisch, fand letztlich jedoch nicht genug Unterstützung im Parlament.
Alternativen zum Kükentöten
Eine Möglichkeit anstelle des Kükentötens ist die Geschlechtsbestimmung im Ei. Laut dem Bundeslandwirtschaftsministerium können bei derzeitiger Verbreitung und dem Stand der Technik jedoch zu wenige Eier mit der Methode als weiblich identifiziert werden. Die Aufzucht und Mast der Bruderhähne sowie die Verwendung von Zweinutzungsrassen müssen als weitere Alternativen herhalten. Das Problem: Sowohl Bruderhähne als auch Zweinutzungsrassen wachsen langsamer und verbrauchen mehr Futter als konventionelle Mastpoulets. Wie die Mäuse verursachen sie so mehr Kosten und Emissionen.
Mastplätze sind knapp
Doch unser Nachbarland steht vor weiteren Herausforderungen, wie der Bericht des Bayerischen Rundfunks zeigt. Die vorhandenen Mästereien haben keinen Platz für Millionen von zusätzlichen Bruderhähnen. Brancheninsider berichten, dass grosse Brütereien in Nordwestdeutschland Küken nach Polen exportieren. Dort würden die Tiere zwölf Wochen gemästet und anschliessend in Schlachthöfen geschlachtet werden. In Polen fehlten jedoch gesetzliche Standards für die Mast der Bruderhähne. Tierschutzverbände fürchten deshalb um das Wohl der Tiere.
Fleisch landet in Westafrika
Hinzu kommt, dass es in Deutschland bisher kaum einen Markt für das Fleisch der Bruderhähne gibt. Also geht die Reise der Hähne weiter. Aus der Branche wird dem deutschen Sender berichtet, dass das Fleisch grösstenteils im Export nach Westafrika lande. Diesen Vorwurf wollen die polnischen Schlachthöfe zwar nicht bestätigen, werben allerdings auf ihren Websites zum Teil offensiv mit Exporten nach Afrika und Asien . Entwicklungshelfer und Referent für Agrarhandel von Brot für die Welt Francisco Mari fürchtet die Folgen des günstigen Exportfleisches. «Dadurch könnten alle Entwicklungsprojekte mit Geflügelkaputt gehen, weil die Märkte mit billigen Importen überschwemmt werden.»
Situation in der Schweiz
In der Schweiz hat bisher nur Bio Suisse einen genauen Zeitpunkt für das Verbot des Kükentötens festgelegt. Ab 2026 dürfen männliche Küken nicht mehr getötet werden, das beschlossen die Delegierten bei ihrer Versammlung im November 2021. Der Rest der Branche einigte sich zwar bereits 2020 auf einen Ausstieg aus dem Kükentöten, legte aber keinen konkreten Zeitplan vor.
Daniel Würgler, Gallosuisse-Präsident, sieht ein Verbot wie in Deutschland nicht als Lösung. Er befürchtet, dass es der Schweiz dann ähnlich ergehe wie Deutschland und Kükenimporte für Futterzwecke und das Aufziehen der Tiere im Ausland nötig wären. Gegenüber der grünen sagt er: «So machen wir in einem Bereich des Tierwohls einen Rückschritt, um beim Kükentöten einen Fortschritt zu erzielen.» Besser sei es, eine Branchenlösung zu finden.
Fokus auf In-Ovo-Methode
Beim runden Tisch, initiiert von Gallosuisse und dem Aviforum, einigten sich Geflügelhalter, Brütereien, Detailhändler und Konsumenten darauf, beim Ausstieg auf die Geschlechtserkennung im Ei zu setzen. Die Aufzucht von Bruderhähnen und Zweinutzungshühnern sollen als Nischenproduktion bestehen. Das Töten von Küken für Futterzwecke soll weiterhin erlaubt sein.
Zur Geschlechtsbestimmung im Ei haben nun Gallosuisse, das Aviforum und die Brütereien einen konkreten Vorschlag ausgearbeitet. Er beinhaltet, wann und mit welchen Technologien die In-Ovo-Methode in der Schweiz breitflächig umgesetzt werden kann.
Entscheidung steht aus
Die Branche sollte nun bis Anfang 2022 zum Vorschlag Stellung beziehen. Auf Anfrage der BauernZeitung bestätigte Daniel Würgler, dass bisher einige Meinungen eingegangen wären, sich aber noch nicht alle Marktakteure geäussert hätten. Bis zum 15. Februar sei dafür aber noch Zeit. Dann stehe der nächste runde Tisch an, bei dem die Auswertung der Stimmen aus der Branche erfolge. Sollte der Vorschlag angenommen werden, kann die Technologie zur Geschlechtsbestimmung im Ei bis Ende 2023 in den Brütereien implementiert werden.