Betrachtet man den Gesundheitsbericht der Suisag von 2023, so belegen Nachgeburtsprobleme, zu denen auch eine zu geringe Kolostrum- und Milchmenge gehören, den ersten Platz bei den säugenden Muttersauen. «Eine ausreichende Kolostrumaufnahme ist essenziell für die Ferkelaufzucht», so Alexander Grahofer von der Universität Bern am Schweinekurs der Agridea. Nicht nur während der Säugezeit, sondern auch noch während der Absetzperiode führe eine zu geringe Kolostrumaufnahme zu einer massiven Verlustrate.
Schutz vor Erregern und Schadstoffen
Das sogenannte flüssige Gold spielt während der gesamten Lebzeit der Schweine eine bedeutende Rolle. Denn wie auch das Kalb erhalten die Ferkel erst über die Kolostrumaufnahme viele wichtige Immunglobuline (IgG und IgA) und Immunzellen, die ihnen helfen, sich vor Erregern zu schützen und ihr eigenes Immunsystem aufzubauen.
Betrachte man die Literatur zur Milch- und Kolostrumproduktion der Sauen, so zeige sich, dass Ferkel, die bei der Muttersau gelassen und nicht zugefüttert werden, in den ersten 22 Lebenstagen einen täglichen Zuwachs von 240 bis 270 g aufweisen. Ferkel hingegen, die mit einer künstlichen Amme ad libitum gefüttert werden, würden einen fast doppelt so hohen täglichen Zuwachs erreichen, so Alexander Grahofer. «Das heisst, die Milchleistung unserer Sauen ist nicht mehr ausreichend, um den ganzen Wurf zu versorgen und das gesamte Wachstumspotenzial unserer modernen Schweinerassen auszuschöpfen», so der Schweineexperte.
Auswirkungen auf Qualität und Menge
Neben weiteren Herausforderungen sei die teils hormonelle Imbalance ein Problem bei den heutigen Zuchtsauen. Kurz vor der Geburt kommt es zu einer Hormonumstellung. Während das Östrogen nun ansteigt, fällt das Progesteron ab. «Diesen Abfall an Progesteron braucht es, damit sich das für die Gesäugeentwicklung rund um die Geburt wichtige Prolaktin bilden kann», erklärt Grahofer.
Sei das Progesteron noch zu hoch, führe dies zu einer schlechteren Entwicklung der Milchdrüsen und einem schlechteren Geburtsverlauf. Zudem würden Sauen mit einem hohen Progesterongehalt bei der Geburt einen niedrigeren Immunglobulingehalt aufweisen. «Wir müssen wirklich schauen, dass der Progesterongehalt zur Geburt niedrig ist, um den Geburtsverlauf zu beschleunigen und auch die Kolostrumqualität zu verbessern», so Grahofer.
Negative Auswirkungen von Prostaglandin
Auch die Geburtseinleitung mit Prostaglandin F2-alpha wirkt sich laut einer Studie negativ auf die Kolostrumqualität aus. «Die Sauen, die eingeleitet wurden, wiesen einen signifikant niedrigeren Gehalt an Immunglobulinen auf als jene, die nicht eingeleitet wurden», erklärt Alexander Grahofer.
Während sich der Einsatz von Prostaglandin negativ auf die Qualität auswirke, sei es auch wichtig, Oxytocin so wenig wie möglich während der Geburt einzusetzen. «Der Einsatz von Wehenmitteln während der Geburt, sei es mit Langzeit- oder Kurzzeit-Oxytocin, hat einen negativen Effekt auf die Kolostrumaufnahme der Ferkel», so der Experte.
48 Stunden und dann ist Gesäuge inaktiv
Nicht ausser Acht zu lassen sei zudem die Gesäugerückbildung. Wird ein Saugferkel erdrückt oder stirbt es an einer Durchfallerkrankung, könne während der ersten 48 bis 72 Stunden noch ein Ferkel eines anderen Wurfes angesetzt werden.
«Innerhalb dieser Zeit kann die Sau den Drüsenkomplex wieder aktivieren und ein anderes Ferkel kann angesetzt werden. Danach können die Drüsen in der aktuellen Laktation nicht mehr genutzt werden», erklärt er.
Für jedes Ferkel das Kolostrum der eigenen Mutter
Über das Kolostrum und die Muttermilch erhalten die Ferkel unterschiedliche Immunglobuline und Immunzellen mit unterschiedlichen Aufgaben:
IgG: Immunglobuline G werden von den Ferkeln über das Kolostrum aufgenommen und gelangen innerhalb der ersten 12 bis 24 Stunden über die Darmwand direkt ins Blut der Ferkel. Ihr Gehalt im Kolostrum sinkt bereits in den ersten Stunden nach der Geburt massiv. Bereits nach einer durchschnittlichen Dauer einer Geburt von fünf Stunden hat sich der IgG-Gehalt bereits um 30–40 % reduziert. Das zuletzt geborene Ferkel hat somit nicht nur eine lange Geburt hinter sich, sondern kann auch viel weniger IgG aufnehmen als das zuerst geborene Jungtier.
IgA: Immunglobuline A sind, anders als die IgG, nach einem kurzen Abfall nach der Geburt auch noch während der gesamten Säugezeit in der Milch vorhanden. Sie dienen als lokaler Schutz. Trinkt das Ferkel Kolostrum oder Milch, gelangen die IgA in den Darm und verhindern hier, dass beispielsweise E. Coli-Bakterien an der Darmwand andocken und das Ferkel an Durchfall erkrankt.
Immunzellen: Die über das Kolostrum aufgenommenen Immunzellen sind sehr schnell und bekämpfen aktiv Erreger und Schadstoffe, die ihren Weg in den Ferkelorganismus gefunden haben. Laut Alexander Grahofer von der Universität Bern ist es wichtig, dass die Ferkel das Kolostrum ihrer eigenen Mutter aufnehmen. Denn nur diese Immunzellen können die Ferkel direkt für ihre Immunantwort verwenden. Aus diesem Grund sei es wichtig, dass die Jungtiere in den ersten zwölf Stunden bei der eigenen Mutter trinken und erst dann versetzt werden.