Urs Vogt ist Bauernsohn aus dem solothurnischen Schwarzbubenland und lernte ursprünglich Konstrukteur. Beinahe sein ganzes berufliches Leben hat er aber der Mutterkuh gewidmet. So absolvierte er im Anschluss die Lehre als Landwirt und ein Agronomie-Studium an der Hochschule für Agronomie-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL).
Nach seiner Tätigkeit in der Firma Nebiker in Sissach, einem Landesprodukte- und Brennstoffhandel-Unternehmen, zog es den Agronomen zu Mutterkuh Schweiz, wo er die letzten 35 Jahre als Geschäftsführer tätig war. Nun tritt Vogt «eine Reihe zurück» und übergibt die Geschäftsführung an Daniel Flückiger. Wir haben Vogt zum Gespräch am eben erst bezogenen Standort von Mutterkuh Schweiz in Lupfig AG getroffen.
Urs Vogt, während 35 Jahren durften Sie als Geschäftsführer von Mutterkuh Schweiz tätig sein, wie geht es nun weiter?
Urs Vogt: Erst einmal bin ich glücklich, dass wir mit Daniel Flückiger einen absolut kompetenten Fachmann gewinnen konnten, der den Verband weiterführen wird. Gedanklich werde ich immer bei der Mutterkuhhaltung bleiben und meine Ideen weiter miteinbringen. Bis zu meiner Pensionierung werde ich dies nun aber ganz klar aus der zweiten Reihe machen.
Denkt man an Mutterkuh Schweiz, dann kommt einem der Name Urs Vogt als Erstes in den Sinn. Ist es überhaupt möglich, in die zweite Reihe zu stehen?
Ja, das ist für mich kein Problem. An erster Stelle war es für mich, den Vorstand und alle Mitverantwortlichen wichtig, dass es mit Mutterkuh Schweiz gut weitergeht. Wir haben meiner Meinung nach rechtzeitig Ausschau nach einem neuen Geschäftsführer gehalten und das Glück gehabt, schnell die passende Person zu finden.
Mutterkuh Schweiz hat zu Beginn sehr klein angefangen und nun zählt man 6000 Mutterkuhbetriebe, das sind mehr als 10 Prozent aller Landwirtschaftsbetriebe. Welchen Herausforderungen mussten Sie sich in den letzten 35 Jahren stellen?
Viele Pioniere – ich erinnere dabei an meine fünf Präsidenten, aber auch die Mitstreiter von Vianco, Viegut, Bell, Coop, Traitafina und Transgourmet – haben bereits sehr früh die Wertschöpfung der Mutterkuhhaltung erkannt.
Mithilfe passender Genetik und Aufstallungssystemen ist es uns gelungen, dass die Mutterkuhhaltung unter der Prämisse «Fleisch aus Gras» als zukunftsträchtig angesehen wurde. Die generelle Zielrichtung war immer klar. Hürden und Umwege gab es aber auch.
Eine grosse Aufgabe war es, die Akteure von den Argumenten zu überzeugen. Dies führte auch innerhalb der Landwirtschaft zu Diskussionen. An diesen Auseinandersetzungen sind wir jedoch gewachsen. Wir konnten so Schwachstellen ergründen und bessere Ansätze erarbeiten. Ich schätze es heute noch, dass man mit Argumenten auf dem Tisch den richtigen Weg findet.
«Gedanklich werde ich immer bei der Mutterkuhhaltung bleiben»
Mehr als die Hälfte seines Lebens widmete Urs Vogt Mutterkuh Schweiz.
Schon seit einer Weile gibt es Diskussionen bezüglich der Effizienz in der Mutterkuhhaltung. Das Bundesamt für Landwirtschaft spricht klar von Fleisch aus der Milchproduktion. Wie sehen Sie dies aus Sicht der Mutterkuhhaltung?
Ich verstehe diese Aussage überhaupt nicht. Auch in Zukunft ist die Milchproduktion wichtig, aber eben auch die Mutterkuhhaltung. Ich beurteile die Zukunft positiv. Ich bin überzeugt, dass Fleisch aus Gras und Qualitätsprodukte in der Schweiz auch in Zukunft eine grosse Konsumentenschaft haben werden.
Die Standortvorgaben der Schweiz, mit viel Gras und Weideflächen, sowie die Ansprüche der Konsumenten an Tierwohl, Biodiversität und Qualität sprechen für die Mutterkuhhaltung. Der Markt und die Standortvorgaben steuern die Entwicklung der Produktion. Diesen wird sich die Mutterkuhhaltung unverändert stellen.
Welchen Einfluss haben der Klimawandel und das Verständnis der Konsumenten vom Klimawandel auf die Mutterkuhhaltung?
Hierbei ist es wichtig, dass wir von der Nachhaltigkeit als Gesamtes sprechen. Das Klima ist ein Punkt, aber die ganze Kreislaufwirtschaft, Tierwohl, Biodiversität und Ressourcennutzung sind ebenso wichtige Punkte.
Im Projekt «Weidefleisch und Klima» fanden wir heraus, dass weit über 80 Prozent der gesamten Klimawirkung biogener Natur, also Teil eines natürlichen Kreislaufes, sind. Lediglich 20 Prozent stammen aus fossiler Herkunft, an diesen gilt es zu arbeiten. Von daher haben wir klare Zielsetzungen und eine zukunftsträchtige Aussicht.
Es gibt nun zwei Strategien: Entweder man intensiviert, um die Wirkung auf möglichst viele Einheiten zu verteilen, oder man minimalisiert die Wirkung. In der Schweizer Landwirtschaft wird es beides geben.
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Und die Mutterkuhbetriebe werden extensivieren?
Die Mutterkuhhaltung ist breit aufgestellt. Es gibt eine Bandbreite von Produktionsstrategien. Wir haben verschiedene Genetikprofile, Standorte und Marktnachfragen. Mir ist es wichtig, festzuhalten, dass die Mutterkuhhaltung verschiedene Wege zulässt und somit die relevanten Zukunftsfragen beantworten kann. Ich bin überzeugt, dass die Kuh nicht das Problem ist, sondern dass sie zur Lösung beiträgt.
Sie sprechen von einer grossen Konsumentenschaft mit einer Nachfrage nach Qualität und Tierwohl. Wie schätzen Sie die Gefahr ein, dass wir in Zukunft wieder Schritte zurück machen, weil wir merken, dass der Konsument zwar Tierwohl möchte, aber das Fleisch trotzdem billig sein muss?
Das Kaufverhalten wird von der Wertschätzung der Produkte beeinflusst. Gelingt es uns weiterhin, dem Fleisch den Nutzen, den es für die Tiere und die Natur erbringt, mitzugeben, wird die Konsumentenschaft sehr bewusst dieses Fleisch kaufen.
Ich nehme an, dass sie in Zukunft noch bewusster Nahrungsmittel kaufen wird. Die Gesellschaft ist aber auch aufgesplittet. Es gibt unzählige Segmente. Ich glaube jedoch, dass bei einem Grossteil der Segmente die Sensibilität genügend gross ist, dass sie sehr wohl darauf achten, was sie konsumieren. Da bleibt auch die Kommunikation wichtig. Wir müssen sagen, was wir tun, aber auch tun, was wir sagen.
Viele Landwirte sagen, sie möchten ihre Produktion nicht erklären. Wen sehen Sie hier in der Pflicht, diese Aufgabe zu übernehmen?
Der beste Botschafter eines Produkts ist immer der Landwirt selbst. Natürlich kann er nicht alles machen, dafür fehlt die Zeit und dafür gibt es Mutterkuh Schweiz. Wir haben als Gemeinschaft dieser Landwirte den Auftrag, die Wertschätzung der täglichen Bauernarbeit zu bündeln und nach aussen zu tragen.
In der neusten Ausgabe Ihres Verbandshefts schreiben Sie, dass die Ziele und Erwartungen der letzten 35 Jahre erreicht wurden. Welche Ziele wird Mutterkuh Schweiz nun in Zukunft verfolgen?
Wir haben viele Ziele und Erwartungen erfüllt, aber es gibt auch solche, die wir noch nicht erreicht haben, und neue, die hinzukommen. Unser oberstes Ziel wird es weiterhin sein, unseren angeschlossenen Mitgliedern eine hohe Wertschöpfung bieten zu können. Sei dies im Produkteverkauf, in der Zucht, in der Kommunikation oder in der Produktionstechnik. Seit jeher orientieren wir uns mehr an qualitativen als an quantitativen Zahlen.
«Die Standortvorgaben der Schweiz sprechen für die Mutterkuhhaltung»
Urs Vogt ist überzeugt, dass Fleisch aus Gras auch zukünftig gefragt sein wird.
Gibt es mit dem Wissen, dass wir in der Tierproduktion Landverluste haben werden, überhaupt noch Wachstumspotenzial in der Mutterkuhhaltung?
Ich bin überzeugt. Leider müssen wir feststellen, dass vom Kulturlandverlust die besten Anbauflächen betroffen sind. Die ausgesprochenen Grünlandflächen in den voralpinen und alpinen Regionen und die Sömmerungsflächen sind weniger betroffen. Es bleibt die Wahl, ob diese weiterhin genutzt werden sollen oder nicht.
Durch die Nutzung solcher Flächen können wir Ressourcen im Inland nutzen. Verzichten wir darauf, müssen wir jeden Quadratmeter, den wir in der Schweiz nicht mehr bewirtschaften, in der südlichen Hemisphäre beanspruchen. Das wäre komplett widersinnig.
Besteht trotz allem dennoch die Gefahr eines Rückgangs der Mutterkuhbetriebe?
Entscheidend ist nicht die Zahl an Betrieben. Viel eher sollten die Relationen innerhalb der Landwirtschaft bezüglich Produktion und Konsum betrachtet werden. Diese werden zusätzlich vom Strukturwandel überlagert und von diesem sind alle Betriebsrichtungen betroffen.
Momentan haben wir gut 500 000 Milchkühe und gut 100 000 Mutterkühe. Diese Relation hat sich in letzter Zeit ergeben. Das wirtschaftliche Umfeld wird zeigen, wie sich die Relationen weiterentwickeln. Dabei spielen auch die Investitionen eine Rolle.
Auch in der Mutterkuhhaltung kostet der Stallplatz einen wesentlichen Betrag. Bis anhin ist es uns gelungen, die Kosten mit der Gesamtwertschöpfung in ein machbares Verhältnis zu bringen. Diese Herausforderung bleibt und besteht bei allen Rindviehbetrieben.
Welche Perspektiven bietet die Mutterkuhhaltung jungen Betriebsleiterfamilien?
Eine grosse Herausforderung sehe ich darin, dass jungen Familien ein genügendes Einkommen in Aussicht gestellt werden kann. Vor allem in den Grünlandregionen müssen Perspektiven vorliegen. Genau die Mutterkuhhaltung erlaubt in diesen Gebieten, mit den vorhandenen Betriebsstrukturen und einer standortangepassten Bewirtschaftung zum Erwerbseinkommen der jungen Generation wesentlich beizutragen.
