Michael Rüegsegger grüsst. Sein Händedruck ist satt. In seiner linken Hand hält der Auktionator eine Stange mit Honigportionen. «Die kommen in den Tee, den ich mir zubereite», sagt er. Damit halte er sich seine Stimme geschmeidig. Und das ist auch nötig, denn an der Zucht- und Nutzviehauktion der Vianco in der gleichnamigen Arena in Brunegg AG stehen 133 Tiere im Katalog – 120 davon sind anwesend. Eine gute Ausgangslage. «Wir werden sehen», sagt Rüegsegger trocken und zieht einen Mundwinkel nach oben.

Aus der ganzen Schweiz

Das Angebot ist bunt und kommt aus allen Regionen der Schweiz. So sind Kühe von Neuenburg bis Graubünden eingeschrieben. Die Farbe der Kühe spiele eine untergeordnete Rolle sagt Michael Rüegsegger, der bei der Vianco nicht nur die Auktionen führt, sondern auch im Aussendienst der Region Nordwestschweiz tätig ist. Die mittelgrosse, robuste Kuh mit Substanz, guter Zellzahl und einem gesunden Fundament sei gefragt.[IMG 2]

Und zunehmend auch die Kuh mit Robotertauglichkeit. «Eine Kuh, die am Roboter geht, funktioniert in allen anderen Systemen auch, was umgekehrt nicht unbedingt der Fall ist», sagt Rüegsegger mit Augenmerk auf die Zitzenplatzierung.

Die Kundschaft bevorzuge mittelgrosse Kühe, am liebsten mit etwas Fleisch am Knochen. Denn eine T-Taxierung unterscheide sich gegenüber einer X-Klassierung im Portemonnaie unter Umständen um rund 1000 Franken, erinnert Rüegsegger.

Die Milchvieh-Auktion in Brunegg wird heute als Hybridveranstaltung abgehalten. Das heisst, zum einen sitzt die Kundschaft vor Ort, zum anderen bietet sie auch online mit. Ein Angebot, das aus der Corona-Zeit heraus entstanden ist. Vianco-Geschäftsführer Urs Jaquemet sagt, er sei der Sache in den Anfängen äusserst kritisch gegenüber gestanden. Insbesondere die hohen Anschaffungskosten für die Anlage hätten ihn auf die Bremse treten lassen. Was aber tun, wenn keine öffentlichen Anlässe mehr stattfinden? «Wir nahmen Corona zu Beginn nicht sehr ernst, gingen davon aus, dass die Sache bald vorübergeht», erinnert er sich.

«Uns Züchtern bleibt noch ein Gewinn»

Was schätzen Sie an der Vianco-Auktion in Brunegg?
Adrian Weber: Ich schätze das kaufwillige Auktionspublikum. In Brunegg und auch in Gunzwil LU besteht die Käuferschaft aus Landwirten und nicht aus Händlern. Es sind die Endkunden, die anwesend sind und Kühe kaufen, die ihnen gefallen. Die Auktionen sind für uns eine sichere Absatzmöglichkeit. Mit rund 30 Erstlingskühen pro Jahr ist für mich ein guter Absatz entscheidend und auch wichtig. Zudem schätze ich das Vianco-Team und insbesondere den Auktionator, der entscheidenden Einfluss am Erfolg hat.[IMG 5]

Sie hatten am Dienstag wiederum zwei Tiere in Brunegg zum Verkauf. Wie zufrieden waren Sie mit den Preisen?
Ich habe zwei Zweitmelkkühe verkauft und bin mit den erzielten Verkaufspreisen von über Fr. 3500.– sehr zufrieden. Im Sommer und Frühherbst habe ich mehrere junge Kühe für Fr. 4000.– verkauft. Mit diesen Verkaufserlösen lohnt sich die Jungviehaufzucht, und uns Züchtern bleibt noch ein Gewinn.

An der Vianco-Auktion kann man auch zu Hause über den Bildschirm mitbieten. Welche Vor- und Nachteile bringen solche Livestreams?
Wegen des Versammlungsverbots während der Corona-Pandemie war es nicht möglich, Auktionen mit Publikum durchzuführen. Vianco hat in dieser Zeit mit den Livestreams begonnen, dadurch war es den Käufern möglich, Kühe per Mausklick zu kaufen. Ich denke, Vianco hat von der zusätzlichen Verkaufsmöglichkeit profitiert und Neukunden erreicht. Meiner Meinung nach sind Livestreams an Auktionen heutzutage unerlässlich, weil damit ein zusätzliches Käufersegment erreicht wird, das bisher von Händlern bedient wurde. Nachteilig ist bestimmt, dass der direkte Kontakt zum Käufer wegfällt. Während der Auktionen war ich oft vor Ort und habe mit den Käufern meiner Tiere einige Worte gewechselt.

Gehen Sie nur mit bestimmten Tieren an die Auktion, wenn ja, welche Eigenschaften müssen diese haben?
Die funktionellen Merkmale sind enorm wichtig, die Milchmenge erachte ich nur als zweitrangig. Ich verkaufe nur gut ausgewiesene Zweit- und Drittmelkkühe über die Auktion, weil diese Kühe den besten Preis erzielen. Zudem habe ich von diesen Kühen bereits wieder Nachzucht. Ich bin auch überzeugt, dass, wenn eine Kuh sich noch gut an der Halfter im Ring vorführen lässt, sich dies auch positiv auf den Erlös auswirkt. Meine Erstmelkkühe sind oft noch zu wenig ausgewachsen, um einen guten Preis zu erzielen. Kühe ab dem vierten Kalb sind für viele Käufer bereits alt und lösen keine Höchstpreise mehr.

Nutzen Sie auch noch andere Auktionen für Ihren Nutzviehverkauf?
Nein. Einige Tiere verkaufe ich noch privat in der engeren Region bei mir zu Hause.

Rechnen sich solche Auktionen für Sie?
Selbstverständlich sind Provision und Transport nicht günstig, ich habe mit dem Verkauf aber auch keine Arbeit. Ich verkaufe meine Tiere an der Auktion teurer als direkt ab Stall. Wir fixieren eine Schatzung, und der Mehrerlös fliesst auch in meine Kasse. Zudem musste ich in all den Jahren noch nie eine Kuh zurücknehmen, weil sie nicht verkauft wurde. Der Verkauf von Nutzkühen ist für unseren Betrieb sehr wichtig und mit den gegenwärtigen Preisen auch lukrativ, die Vianco-Auktionen bieten uns die richtige Plattform dazu.
Interview (schriftlich) Peter Fankhauser

Gut investiert

Im Nachhinein war die Investition, die gemeinsam mit Mutterkuh Schweiz angestossen wurde, mehr als richtig, ist der Geschäftsführer heute überzeugt. Denn heute wird die Infrastruktur weiter genutzt. Gerade in den Sommermonaten werde das Angebot durch den hohen Arbeitsanfall auf den Betrieben sehr geschätzt. «Wie viele Leute hierherkommen, hängt auch stark vom Wetter ab», sagt Rüegsegger.

Aber nicht nur die Infrastruktur, sondern auch die Marktlage hilft der Vianco AG im Tagesgeschäft, dem Viehhandel. Nutzvieh und Schlachtvieh ist gesucht. Die Preise sind entsprechend hoch, und zwar für beides. Auf die Frage, ob die Preise für Schlachtvieh nicht auch zu hoch sein könnten und damit den Nutzviehhandel beeinflussten, winkt Michael Rüegsegger ab: «Das hat sich verändert. Die Nutzviehpreise reagieren nicht mehr sofort, wenn das Schlachtvieh mal billiger wird.»

Alles Händler

[IMG 3]Was aber, wenn eine Kuh mal «nicht geht»? «Wir haben Übernahmegarantie», erklärt Geschäftsführer Urs Jaquemet. Das unter anderem auch deshalb, weil sich der Transport zurück zum Verkäufer einfach nicht rechne. «Wir sind alles Händler», ergänzt Michael Rüegsegger. Man sei entsprechend vernetzt, so finde die Kuh statt via Auktion einfach über den Weg des Telefons ihren künftigen Besitzer. Die angemeldeten Tiere werden einer Vorschau unterzogen und mit einem sogenannten Verwertungsvertrag für die Auktion eingeschrieben.

«Ein grosser Vorteil unseres Systems» ist Jaquemet sicher, denn wer Kühe an einer Auktion einschreibe, wolle sie auch verkaufen. Und hier hat die Vianco durch ihre Marktposition gegenüber anderen Auktionsplätzen Vorteile. «Wir bieten ein Rundumpaket» sagt Jaquemet. Die Kühe werden beim Verkäufer abgeholt, in Brunegg bereitgemacht, an der Auktion aufgeführt und bei Bedarf auch ausgeliefert. Das hat natürlich alles seinen Preis. Der Verkäufer übernimmt die Frachtkosten zum Auktionsort und muss der Vianco eine Verkaufsprovision von 7 Prozent des Erlöses, mindestens aber 200 Franken, abgeben.

Kuh muss zur Auktion passen

Bringt der Verkäufer die Kuh selbst zur Auktion, entfallen die Frachtkosten. Einer, der es so macht, ist Michael Minnig aus Wimmis im Kanton Bern. Er sitzt an einem Tisch in der Arena und verfolgt das Geschehen. Seine Kuh trägt die Nummer 62. Er ist kein seltener Gast in Brunegg, verkauft hier regelmässig Kühe. Warum hier? «Die Kuh muss zur Auktion passen», sagt Minnig. So geht er auch mit passenden Tieren nach Burgdorf BE. Mit der Zeit wisse man, welche Kühe wo am besten laufen. Hier in Brunegg spiele bei der Käuferschaft die Punktierung an der Viehschau keine Rolle. Zellzahl und Milchinhaltsstoffe stünden ganz oben, weiss Minnig. Im Katalog sind entsprechende Tiere aufgeführt. Und die Preise lassen sich sehen, was vielleicht auch an diesem Abend ein Grund dafür ist, dass weniger Händler, sondern viel mehr direkte Kunden mitbieten. Auch online läuft der Laden.

Auf die Frage, ob der Markt bereits auf die Trockenheit und die fehlenden Schnitte im Sommer reagiere, schüttelt Michael Rüegsegger den Kopf: «Das ist erst im Dezember zu erwarten. Wenn wir sehen, dass sie das Futter eher trinken denn fressen. Dann wissen wir, wie weit das Futter reichen wird.» Viele der Milchwirtschaftbetriebe, insbesondere jene mit Totalmischration, hätten heute einen Futtervorrat für rund ein halbes Jahr, weiss Urs Jaquemet. Vielmehr rechnet er bei Fleischrindern mit entsprechenden Reaktionen auf das fehlende Futter durch den trockenen Sommer.

Rote Kühe gesucht

Die Katalognummer 14 ist Polina, die erste RH-Kuh, die am Abend den Verkaufsring betritt. Sie wechselt für 3700 Franken ihren Besitzer – ein durchschnittlicher Preis an dieser Abendauktion. «Die roten Kühe sind aktuell am schwersten zu bekommen», sagt Urs Jaquemet. Ein Umstand, der auf das Angebot bei Branchenleader Swissgenetics zurückzuführen ist. Dort waren die RH-Besamungen zugunsten der Holstein-Stiere in den letzten Jahren rückläufig. Also fehle es heute entsprechen an roter Farbe, auch im Viehhandel. Das soll sich aber wieder ändern, denn laut Swissgenetics befinden sich die RH-Besamungen wieder im Aufschwung – und das sogar als einzige Milchrasse.

Der Tee mit Honig nützt. Der Abend wird lang, trotz des hohen Tempos des nicht müde werdenden Auktionators. «Disi vori isch dr ab, itze chaisch bi derä nomal zueschlah», sagt Rüegsegger in seinem Emmentaler Dialekt. Und die Kundschaft lässt sich motivieren. Bis zum letzten Umgang.

«Früher boten wir auch richtig teure Kühe an»
[IMG 4]Er kennt die Auktionen wie kein Zweiter: Alfred Zaugg aus dem bernischen Gohl. Seit 40 Jahren ist er im Geschäft. Zuerst als Geschäftsführer und jetzt als Sekretär der Zucht- und Nutzviehauktion Schüpbach (früher Gartegg und Langnau).

Wichtig für viele Betriebe
Jeden Monat führen sie in Schüpbach eine Auktion mit durchschnittlich 100 Tieren durch. Von der Zucht- über die Nutz- bis hin zur Biokuh und zu den Fleischrinderrassen reicht das Angebot. Weit über das Emmental hinaus sei die Auktion Schüpbach für viele Betriebe eine gute Adresse, um ihre Tiere verkaufen zu können. «Heute, wie vor 40 Jahren, sucht die Käuferschaft nach einer problemlosen Kuh», hält Zaugg fest. Wo früher das Exterieur einige Hundert Franken kostete, sind heute tiefe Zellzahlen, eine gute Melkbarkeit und viel Milch mehr wert als eine hohe Punktierung.

«Früher boten wir an der Auktion auch Ausstellungskühe an, die bis zu 16'000 zugeschlagen wurden», erinnert sich Zaugg. Heute würden solche Kühe nur noch unter der Hand gehandelt. Sowieso liege die Schmerzgrenze bei der Käuferschaft meistens bei 3500 Franken und nicht mehr, früher sei diese gut 1000 Franken höher gewesen. Ihre Auktion werde durch das gute Angebot an Biokühen und Fleischrassenrindern immer bekannter. «Wenn man diese Verkaufsschlager jeden Monat anbieten kann, zieht das neue und bewährte Kundschaft an», ist Zaugg überzeugt.

Vor Ort die Tiere sehen
Auf die Frage, ob man in Schüpbach nicht auch schon eine Online-Übertragung ins Auge gefasst habe, sagt Alfred Zaugg: «Vor zwei, drei Jahren hat man wirklich ernsthaft darüber nachgedacht, auch diese Verkaufsplattform zu prüfen.» Heute müsse er sagen, zum Glück habe man das nicht getan. Denn: «Ich bin immer mehr überzeugt, dass unsere Käuferschaft die Verkaufstiere vor Ort sehen will», hält Zaugg fest. Vor Ort, wo man die Tiere auf ihre Vor- und Nachteile beurteilen kann, eine Möglichkeit, die man zu Hause nicht hat, wenn man die Kuh über den Bildschirm kaufen will. 
Peter Fankhauser