Zugegeben: Es tönt verlockend. Für Rindvieh älter als 160 Tage gibt es Fr. 350.–/GVE und für Rinder unter 160 Tagen sogar Fr. 530.–/GVE. Die Rede ist vom neuen Weidebeitrag, der im Rahmen der Produktionssystembeiträge ab 2023 vollzogen werden kann. Die Hürden sind aber entsprechend hoch (wir berichteten). Zum einen wird die Gesamtbetrieblichkeit verlangt, das heisst, wer eine Kategorie (bsp. Milchkühe) für diesen Weidebeitrag anmeldet, muss sämtliche anderen Rindvieh-Kategorien im RAUS halten – auch Kälber.
Grosses Interesse am Programm
Das Interesse am Programm scheint entsprechend gross. Wie das Bundesamt für Landwirtschaft auf Anfrage erklärt, liegen bisher allerdings nur provisorische Daten vor. Aussagekräftige Angaben liessen sich daher frühestens im Frühling machen. Etwas klarer kommuniziert der Agrarkanton Bern. Für den Weidebeitrag hätten sich dort gemäss heutigem Stand 1939 Landwirtschaftsbetriebe angemeldet.
Das entspricht rund einem Fünftel der Betriebe. «Das Interesse an den neuen Programmen ist vorhanden. Die Zahlen müssen aber – auch wegen der angesprochenen Kulanz – noch mit grosser Vorsicht betrachtet werden», lässt sich das Amt für Landwirtschaft und Natur des Kantons Bern zitieren. An Interesse fehlt es also nicht, nur, wie sieht es mit der Umsetzung aus? Denn wer anmeldet und bei einer Kontrolle nicht erfüllt, riskiert nicht nur den Weidebeitrag, sondern auch den RAUS-Beitrag für alle Kategorien. Denn dieser würde bei Nichterfüllung gestrichen.
Welche Betriebe schaffen es, und welche sollten besser zeitig abmelden? Eine nicht zu unterschätzende Hürde ist der Anspruch an die Fütterung. 70 Prozent des Futters muss auf der Weide gefressen werden. Wie realistisch ist das? Die Fütterungsspezialisten haben Antworten.
90 kg Frischsubstanz fressen
Jonas Salzmann, Ressortleiter Marketing bei der UFA AG, sieht bei einem TS-Anteil von mindestens 70 Prozent Weide diverse Herausforderungen, wie er im Gespräch mit der BauernZeitung erklärt. «Eine Kuh, die 32 kg Milch leistet und etwa 700 kg wiegt, hat einen Verzehr von rund 20 kg TS pro Tag», sagt Salzmann. Um die 70 Prozent zu erreichen, hiesse das, dass sie mindesten 14,4 kg Weidefutter fressen müsste. «Das entspricht 90 kg Frischsubstanz», sagt Salzmann.
Naheliegend ist, dass die Kuh eine entsprechend lange Fresszeit auf der Weide benötigt, um diese 90 kg FS zu fressen. «Ob allein die Nacht- oder Tagesweide dazu genügt, ist fraglich», ergänzt Salzmann sein Rechenbeispiel. Wohl müsse daher die Weidezeit sowohl nachts als auch tagsüber gegeben werden. Er erinnert aber auch gleich daran, dass die Tagesweide im Sommer – insbesondere bei hohen Temperaturen – eine Belastung für die Kühe darstellt. Hitzestress könne Pansenazidose verursachen, was einen Verzehrrückgang auslöse, was wiederum mit einem Leistungsrückgang einhergehe.
Die Nährstoffdichte ist wichtig
Auf die Frage, wie es um die Ergänzungsfütterung im Stall stehe, rechnet Jonas Salzmann vor, dass mit einem Verzehr 14,4 kg TS/Tag den Kühen im Stall nicht mehr als 5,6 kg TS/Tag gefüttert werden könne. «Dies gilt sowohl für die Rau- als auch für die Ergänzungsfutter», erklärt er weiter. Deshalb sei es umso wichtiger, die Ergänzung gezielt zu gestalten. «Nährstoffdichte Ergänzungsfutter wie beispielsweise Startphasenfutter machen besonders Sinn, weil diese ein hohes Ausgleichspotenzial haben, was sich in einer geringeren Einsatzmenge widerspiegelt.
«Leistungen von 9000 kg Milch und mehr sind bei diesem Programm kaum realistisch.»
Jonas Salzmann, Ressortleiter Marketing bei UFA AG
«Für 32 kg Milch bei sehr hohem Weideanteil werden rund 2 kg Ergänzungsfutter benötigt, was danach noch Platz für 3,4 kg TS Grundfutter lässt», rechnet Salzmann vor. Das entspreche rund 4 kg FS Heu oder 7,5 kg FS TMR-Mischung pro Tier und Tag. Für beispielsweise 40 Kühe wäre das eine tägliche Mischung von 300 kg FS.
«Wer in diesem Programm höhere Leistungen will, muss auch konzentriertere Grundfutter im Stall einsetzen, um die geforderte Nährstoffdichte zu erreichen. Das heisst top Gras- und Maissilage oder bestes Dürrfutter», mahnt er.
Die Energie ist begrenzt
Reine Weide – mit guten Wachstumsbedingungen und guten Wiesenbeständen – bietet laut Berater ein Leistungspotenzial von rund 25 kg Milch, «weil die Energie begrenzt ist». Durch die zunehmenden Rohproteingehalte im Verlaufe der Vegetationsperiode nehme aber das Ungleichgewicht an Protein und Energie zu. «Der Proteinüberhang führt zu höheren Harnstoffgehalten in Blut, Milch und Urin, was die Leber und somit den gesamten Stoffwechsel inklusive Fruchtbarkeit belasten kann», sagt Jonas Salzmann.
Auch das Weidemanagement biete bei einem derart hohen Anteil an Weidefutter eine entsprechend hohe Herausforderung. «Damit die Kühe einen hohen Verzehr auf der Weide haben, muss das Weidemanagement optimal abgestimmt sein. Das beinhaltet angemessenen Weidefläche je nach Grasbestand, passende botanische Zusammensetzung und genügend Weidefläche insgesamt», so Salzmann. Da die Kühe in der Vegetationsperiode während 26 Tagen im Monat 70 Prozent auf der Weide fressen müssten, sei das Weiden auch bei schwierigen Wetterverhältnissen sicherzustellen. «Hier darf die Trittfestigkeit der Grasnarbe nicht leiden, weil sonst Unkräuter und Lückenbüsser einfaches Spiel haben und so der futterbauliche Wert des Grasbestandes leidet», erinnert Salzmann mit Blick auf den Sommer 2021.
Nicht vergessen: Magnesium beachten
Die Liste ist noch nicht fertig. Jonas Salzmann spricht auch noch über die Mineralstoffversorgung: «Bei einem hohen Weideanteil muss im Stall die Mineralstoffversorgung sichergestellt werden.» Besonders zu beachten sei die Magnesium-Versorgung im Frühling und im Herbst. Je nach Grasbestand (gräser- oder leguminosenreich) unterscheide sich auch die Kalzium- und Phosphorversorgung. Denn Ziel sei immer, das Verhältnis von 2:1 zu erreichen.
Schliesslich könne auch die angepasste Mineralstoffversorgung bei Galtkühen zur Herausforderung werden. «Hohe Kalziumgehalte in gräserreichen Beständen machen ein Kalziumtraining fast unmöglich, und die hohen Kaliumgehalte verringern die Wirkung von anionischen Salzen. Somit werden beide Wege zur Prävention von Milchfieber erschwert», sagt er.
Für viele Betriebe kaum realistisch
Sein Fazit scheint eindeutig: «Leistungen von 9000 kg Milch und mehr sind bei diesem Programm kaum realistisch, weil die geforderte Nährstoffdichte in der Ration nicht erreicht werden kann und zu wenig Spielraum für die Ergänzung im Stall besteht.»