Beim Tierwohl blickt unser nördlicher Nachbar traditionell zu uns. Gerade bei den Schweinen laufen in den kommenden zehn Jahren mehre Übergangsfristen ab. Freies Abferkeln oder das Verbot des Coupierens von Schwänzen, wie in der Schweiz seit 2008, sind nur einige Themen, die in Deutschland beschäftigen, sagen dortige Fachleute.

Milch und Schweinemast in Luzern

Solche weilten diese Woche in der Schweiz. Die Agrarjournalisten Wiebke Herrmann, Martina Hungerkamp und Uwe Bräunig befassen sich beim monatlich erscheinenden Fachmagazin «Agrarheute» schwerpunktmässig mit Schweinen und besuchten, organisiert von der Suisag, eine Handvoll Schweinebetriebe im Luzernbiet. Züchter, Mäster, QM und IP Suisse.

So auch den Betrieb von Daniela und Richard Brunner in Rain LU. Brunners setzen auf die Standbeine Milchproduktion, Schweinemast und Pensionspferde. Auch die finanzielle Bedeutung sei in der Reihenfolge, erklärte der 40-Jährige Landwirt auf Nachfrage. In Deutschland sind die Betriebe stärker spezialisiert. Ausser vielleicht bei Direktvermarktern im Bereich Biolandbau, sagten die Journalisten.

Zurück in die Schweiz: Gesundheit, Tierwohl und Genetik sind Themen, welche die Besucher speziell interessierten. Was bleibt in Erinnerung? Die Biosicherheit und der Gesundheitsstatus seien völlig andere, tönt es unisono. Die Seuchen scheinen weit weg, der Gesundheitsstatus einmalig hoch weltweit.

Ringelschwanz bleibt dran

Und dass der Ringelschwanz bis zum Schluss dranbleibt, erstaunt die Fachleute. Kein Schwanzbeissen? Von 100 Mastschweinen habe er mit einem ein Problem, bestätigte IP-Suisse-Mäster Richard Brunner. In diesem Punkt ist er allerdings nicht ganz repräsentativ für die Schweizer Betriebe. Schwanzbeissen bleibt eine Herausforderung. Die «Mütterlichkeit» der Schweizer Sauengenetik für das freie Abferkeln ist ein weiterer Aspekt, den das Trio mitnimmt. «Sehr spannend auch das Elektronische Behandlungsjournal», sagte Martina Hungerkamp. Eine Weiterentwicklung für Deutschland könnte sie sich gut vorstellen. Auch der Benchmark bei den Gesundheitsdaten, also die Möglichkeit, den eigenen Betrieb bezüglich Problemen und Tierarzneimittel-Einsatz mit anderen zu vergleichen, sei eindrücklich.[IMG 2]

Stroh im Stall funktioniert

Darüber werden die drei Journalisten berichten. Positive Beispiele, wie strengere Tierschutzvorschriften erfolgreich umgesetzt werden können, fehlten bislang weitgehend. Auf vielen deutschen Betrieben stünden bauliche Investitionen an. Nach der Tiefpreisphase aktuell kein guter Zeitpunkt (siehe Kasten). Der Einsatz von Stroh beispielsweise sei in gängigen Stallsystemen kaum denkbar. Gut funktioniert das Langstroh in den Buchten auf dem Betrieb Brunner. «Morgens um 6 Uhr ist eine Person während einer Stunde mit Misten und der Gesundheitsüberwachung beschäftigt», erklärte Richard Brunner.

Trotzdem saubere Tiere

Gefüttert wird flüssig und dies viermal täglich. Auch um 6 Uhr, was Arbeiten und Kontrolle erleichtert. In der NP-reduzierten Phasenfütterung stehen Einstall-, Mittelmast- und Mastfutter zur Disposition. Verschnitten wird das Futter nicht. Auffallend für die Besucher: die sauberen Tiere – warmen Sommertagen, Spaltenverbot und Stroh zum Trotz. Brunners sind passionierte Schweinemäster. «Die ersten Tage sind entscheidend», meinte der Betriebsleiter. Buchtengrösse, Sauberkeit und Klima müssten stimmen. Gereinigt wird nur einmal pro Jahr mit Hochdruckreiniger, bestossen wird kontinuierlich. Von einem zugewiesenen Mastferkelproduzenten bekommt Brunner über seinen Vermarkter alle 14 Tage 70 Jager.

Diese haben eine F1-Kreuzung der beiden Muttersauen-Rassen Edelschwein und Landrasse aus dem Schweizer Zuchtprogramm als Mutter. Mastrassen-Genetik ist bei Brunners Duroc und nicht der Schweizer Premo. Zum Vergleich: In Deutschland sorgte Piétrain lange für Fleisch am Knochen der Mastschweine, inzwischen holt der Duroc auf. Schweinefleischqualität ist dabei weniger hoch gewichtet als hierzulande, gewinnt in den letzten Jahren aber zunehmend an Bedeutung.

Kleine Posten sind hier möglich

Schwanzbeissen beschäftigt weiter. Was wäre, wenn doch, so die nächste Frage. «Asche, Brennnesseln, im Winter Tannäste oder notfalls separieren», so der Plan B von Richard Brunner. Die Abgänge betragen bei ihm während der gesamten Mast insgesamt ein Prozent. Jede 2. Woche wird gewogen, die Schwersten verlassen wöchentlich den Betrieb, durchschnittlich rund 35 Stück. Bei der Zahl 35 staunen die Besucher – natürlich.

Gemäss Redaktor Uwe Bräunig drehen sich die Diskussionen ansonsten um die gleichen Themenfelder wie bei uns. Mehr Tierwohl bedeutet mehr Platzbedarf raumplanerisch und mehr Emissionen. Es werde noch einiges zukommen auf die Schweinehalter.

 

Massiver Strukturwandel in Deutschland

Dem Strukturwandel sind in Deutschland innert zehn Jahren fast die Hälfte der Schweinehaltungen zum Opfer gefallen. Heute sind es noch knapp 17 000 Betriebe mit durchschnittlich 1300 Tieren der Gattung Schwein. Die Hochburgen befinden sich in den Bundesländern Niedersachsen und Nordrhein-Westfahlen. Als eine nie dagewesene Vielfachkrise bezeichnet entsprechend «Agrarheute» die Situation. Folgen von Corona, Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest, Explosion der Kosten, Probleme im Export und ein stetig steigender gesellschaftlicher Druck. Landwirte fühlten sich dabei von der Politik im Stich gelassen, so das Magazin weiter. Derzeit sind zwar die Schweinepreise zumindest auf dem Papier mit rund Fr. 2.40 für Schlachtschweine und Fr. 3.40 für Jager wieder besser. Hohe Kosten dämpfen jegliche ­Euphorie.