[IMG 3]Als in den 70er-Jahren die ersten Holsteiner in traditionelle Simmentaler Linien eingekreuzt wurden, herrschte bei den Viehzüchtern im Obersimmental Alarmstimmung. Mit der Simmentaler Rasse schien das Lebenswerk von Generationen in Gefahr.

Während die Berner Oberländer ihre Originalzucht bewahren konnten, gelang es den Freiburger Züchtern nicht, ihre Rasse zu erhalten: Die berühmte schwarz-weisse Kuh ist mittlerweile ausgestorben. Gegenwärtig scheint eine weitere Welle der «Holsteinisierung der Schweiz» anzurollen. Und damit wird auch der Blick zurück wieder aktuell: Woher stammen die alten Schweizer Viehrassen? Und wie original sind die Originalen wirklich?

In jedem Tal ein eigener Schlag

Antworten hat Peter Moser vom Archiv für Agrargeschichte. Sein Blick reicht weit zurück, bis ins 19. Jahrhundert – als es in der Schweiz noch gar keine Rassen im heutigen Sinne gab. «Vorher sprach man von ‹Schlägen›, und die waren immer sehr lokal definiert», sagt er. So gab es schon damals einen Simmentaler Schlag – gemeint waren damit einfach die Tiere von Züchtern aus dem Simmental. In den gebirgigeren Tälern östlich davon gab es das leichtere «Frutigvieh», im Westen mit seinen breiten Alpen die etwas schwereren Tiere vom «Saanenschlag». Das seien eher Herkunftsbezeichnungen als Rassen im modernen Verständnis gewesen, sagt Moser.

Das änderte sich mit den gesellschaftspolitischen Umwälzungen des 19. Jahrhunderts. Moser spricht vom «Versuch der Verwissenschaftlichung des sozialen Lebens». Was zuvor weitgehend von den lokalen Gemeinschaften definiert war, wurde nun zusehends von formal gebildeten Wissenschaftlern analysiert. Dazu musste das Ausgangsmaterial, in diesem Falle die Tiere, standardisiert werden – um dann mit wissenschaftlichen Methoden verbessert zu werden.

Farbe gleich Rasse

Dabei war die Wissenschaft von damals aber ungleich primitiver als jene von heute – Vererbungslehre und Genetik waren noch unbekannt. So kam es, dass die von der Wissenschaft postulierten Rassen einzig und allein über das auffälligste äusserliche Merkmal definiert wurden: die Farbe der Tiere.

Und weil in der Schweiz je nach Hoheitsgebiet andere lokalpatriotische Vorlieben herrschten, kam es zum Kampf der Farben. So wurden braune Tiere im Kanton Bern eher abwertend «Grauvieh» genannt. «Rigoros wurde die Einteilung der Tiere in Rassen erst mit der Gründung der Zuchtverbände», erklärt Moser. Diese waren territorial organisiert und führten Herdebücher ein.

Mit der Rasse kam die Obrigkeit

Nun hatte jedes Tier eine schriftlich fixierte Identität, einen Stammbaum, und Einkreuzung aus anderen Zuchten wurde bekämpft, weil das die Bildung der Rassen erschwerte. Das allerdings nicht immer mit Erfolg: «Der Kampf um die Homogenisierung der Rassen dauerte bis in die 1960er-Jahre», sagte Moser. Viele Bauern liessen es sich nämlich trotz Rassenstolz nicht nehmen, ihr Vieh so zu verstellen, wie es für ihren Betrieb gerade passte.

Die Entstehung der Viehrassen bedeutete damit auch weniger Autonomie für die einzelnen Viehzüchter. Dies zeige sich auch in der Organisation, sagt Moser. Bis ins 19. Jahrhundert war die Zucht weitgehend eine Sache der Tierhalter. Mit der Verbreitung des Rassegedankens seien aber auch verstärkt der Staat und die Verbände aktiv geworden, insbesondere auch im Kanton Bern. Ab den 1880er-Jahren entstanden dann die ersten lokalen Viehzuchtgenossenschaften. «Die Viehzucht wurde damit – wie alle Lebensbereiche – institutionalisiert.» Dies sei letztlich auch ein Versuch gewesen, die Folgen der bereits damals herrschenden Globalisierung in den Griff zu bekommen, sagt Moser. Um den Zugang zu guten Stieren zu gewährleisten, entstanden in den 1890er-Jahren zudem überregionale Genossenschaftsverbände. Die Folge war eine territoriale Aufteilung der Schweizer Zuchtlandschaft: In der Zentralschweiz herrschte der Braunviehzuchtverband, im Bernischen der Fleckviehzuchtverband, und im Freiburgischen dominierten die Schwarzflecken, die nun als Freiburgerkuh bekannt waren.

Die Schwarzen mussten weichen

Dabei habe es ausser der Farbe kaum genetische Unterschiede zwischen Simmentalern und Freiburgern gegeben. «Im 19. Jahrhundert waren die Bestände noch stark gemischt», sagt Moser. Ausnahmen gab es entlang alter Verkehrswege: So blieb etwa das Haslital mit seiner Verbindung über den Brünig trotz Berner Kantonszugehörigkeit Braunvieh-Gebiet, und im Baselbiet gab es eine eigene Schwarzfleckviehgenossenschaft. Andernorts, etwa im Emmental, verschwanden die schwarz-weissen Kühe aber weitgehend von den Weiden.[IMG 2]

Nun ist die Farbe Schwarz zurück, und zwar in Form milchleistungsstarker Holsteinkühe. Ihr Einfallstor war der Kanton Freiburg: Gerade weil die Rassen nicht über genetische Eigenheiten, sondern allein über ihre Färbung definiert worden waren, konnten sich die schwarz-weissen Holsteintiere so schnell durchsetzen, dass die ursprüngliche Freiburgerkuh innert relativ kurzer Zeit komplett ausstarb. Dabei unterschied sich diese genetisch von den farblich ähnlich anmutenden Holsteinern viel stärker als von den benachbarten Simmentalern.

Ende der Dreinutzungsrassen

Paradoxerweise war es gerade die Ausbildung der standardisierten Rassen, die auch deren Ende einläutete. «Um Rassen sinnvoll kreuzen zu können, müssen sie erst klar definiert sein», erläutert Moser. Diese Homogenisierung war in der Schweiz in den 1960er-Jahren weitgehend abgeschlossen – und damit die Basis für die folgende Leistungszucht geschaffen. Eine wichtige Rolle spielte dabei auch der Wegfall der Arbeitsleistungen des Rindviehs in den 1950er-Jahren. Die Nutzung als Zug- und Lasttiere hatte im 19. Jahrhundert an Bedeutung gewonnen und der Landwirtschaft geholfen, viele Arbeiten zu mechanisieren. Angetrieben wurden die Maschinen und Transporte mit tierischer, nicht motorischer Kraft wie in der Industrie, die in der Fabrik unabhängig vom Einfluss des Wetters durchgeführt werden konnte.

Die Schweizer Rassen seien deshalb bis in die 1950er-Jahre als Dreinutzungstiere gezüchtet worden, sagt Moser. Mit der Motorisierung, die durch die Entwicklung leichter und wendiger Traktoren nun auch in der Landwirtschaft möglich wurde, blieben nur noch Fleisch- und Milchnutzung als Zuchtziele übrig. Mit dem Abschluss der Homogenisierung der Rassen in den 1960er-Jahren sei auch die Züchtung auf monofunktionale Leistungen, also Milch oder Fleisch, möglich geworden, so Moser.