Es passt auch in kleine Ställe, ist trittsicher im alpinen Gelände und erinnert in seinem Aussehen an alte Schweizer Fleckvieh-Varianten wie das ausgestorbenen Frutigvieh: Seit die Stiftung Pro Specie Rara 1984 im Schwarzwald achtzehn Tiere auftrieb und in die Schweiz importierte, hat das Hinterwälderrind hierzulande einen kleinen, aber treuen Kreis von Liebhabern gewonnen. Doch die Geschichte der Hinterwälder in der Schweiz hat eine andere Wendung genommen als ursprünglich gedacht.
Galten die berggängigen Tiere damals noch als Nachkommen verschwundener Simmentalerschläge, die sich besonders für die traditionelle Alpwirtschaft in unwegsamem Gelände eigenen könnten, folgt der Hinterwälderbestand in der Schweiz einem anderen Trend: Der Fleischproduktion in Mutterkuhhaltung.
Limousin-Einkreuzung spaltet die Linie
[IMG 2]Noch vor fünfzehn Jahren seien die Milchviehbetriebe im Hinterwälderzuchtverein in der Mehrheit gewesen, sagt dessen Präsidentin Kathrin Berger. Nun habe sich das Blatt gewendet. Die Hinterwälder hätten sich nämlich als sehr mastfähig erwiesen, dies mit einer hervorragenden Fleischqualität. «Sie sind sehr gesund, robust und vom Schlachtkörper her ideal», sagt Berger. Das einzige Problem: Sie bringen deutlich weniger Gewicht auf die Waage als klassische Fleischrassen.
Weil das Mutterkuhlabel Natura Beef aber auf grössere Rassen ausgerichtet ist, decken viele Hinterwälderhalter ihre Kühe mit Limousin-Stieren. Damit komme es in der Schweizer Linie zu einer Aufspaltung, sagt Berger.
Kein eigener Verkaufskanal für das Fleisch
Dass die Reinheit der Rasse in der Schweiz weniger gewichtet werden kann als im Südschwarzwald, hat mit der grossen Streuung zu tun. Dort konzentriert sich der Bestand auf die Stammgebiete zwischen Belchen, Feldberg und dem Wiesental. Das erlaubt eine regionale Vermarktung in der Gastronomie. «Die Wirte können dort besondere Hinterwälderwochen anbieten», sagt Berger.
In der Schweiz sei ein Metzger, der die Vorzüge von Hinterwälderfleisch erkannt habe und einen eigenen Kanal für die Pro-Specie-Rara-Rasse habe aufbauen wollen, gescheitert. «Das Angebot war nicht ausreichend, weil die Lieferanten zu verstreut angesiedelt sind», bedauert Berger. Die gegenwärtige Entwicklung sei nicht unproblematisch. «Für ein Gütesiegel für die Direktvermarktung bräuchten wir Reinzucht», gibt sie zu bedenken. Noch wichtiger sei diese für den Rassenerhalt.
Weniger Antibiotika, geringere Kosten für den Tierarzt
Die Rasse biete auch handfeste wirtschaftliche Vorteile, so Berger. So weise Trockenfleisch aus Hinterwälderzucht einen deutlich geringeren Gewichtsverlust auf. Auch seien die Kosten für Tierarzt und Antibiotika wegen der robusten Gesundheit der Tiere deutlich geringer als bei anderen Rassen.
Die Robustheit wirke sich auch bei der Kälbermast positiv aus. «Wir als Milchbetrieb gaben die Kälber, die nicht zur Aufzucht infrage kamen, mit 70 Kilogramm einem Kälbermäster. Der war über den Tageszuwachs der Hinterwälder begeistert, es gab keine leeren Tage, an denen die vitalen Kälber nicht saufen wollten», erzählt sie.
Die Deutschen haben mehr Stiere
Für den Zuchtverein ist es wichtig, dass der Kontakt zur Ursprungsregion in Deutschland nicht abreisst. «Die Deutschen haben 1000 Tiere mehr», sagt Berger: und damit auch mehr Stiere. Andererseits sei auch eine Linie in Deutschland ausgegangen, die in der Schweiz noch existiere. Durch den gegenseitigen Blick über die Grenze könne die Blutauffrischung gewährleistet werden.
«Die Inzucht ist heute das Hauptproblem», sagt Berger. Dies, weil in der Zucht mittlerweile vor allem auf künstliche Besamung gesetzt wird. Als Folge seien viele Stiere miteinander verwandt. «Wir wussten um das Risiko, aber es ist auch der einzige Weg, die Rasse reinzuhalten«, sagt Berger dazu.
Auch die Hinterwälder werden immer grösser
Die Rasse im Ursprung zu erhalten, bleibt eine Herausforderung. Auch ohne Einkreuzung tendiert die Zucht zu schwereren Tieren. «Auch die reinen Hinterwälder werden eher immer grösser», sagt Berger. Dies werde deshalb bei der linearen Beschreibung berücksichtigt: Stierenmütter dürfen im Kreuzbein gemessene 126 cm nicht überschreiten.
Ihr Aussehen spielte bei der Einführung der Hinterwälder in die Schweiz keine unbedeutende Rolle: Die gedrungene, rot-braun gefleckte Kuh erinnert an das alte Simmentaler Fleckvieh, insbesondere das inzwischen ausgestorbenen Frutigvieh, das einst auf den Alpen um Kandersteg und Adelboden eingesetzt wurde.
«Zu spät erkannte man das Verschwinden von Frutiger- und Adelbodnerrind», heisst es in der 2018 erschienenen Festschrift zum 30-Jahr-Jubiläum des Schweizer Hinterwälderzuchtvereins: «Eine Rasse, die aber für eine nachhaltige Bewirtschaftung der Böden in Steillagen und im Berggebiet beigetragen hätte!» Und weiter: «Diese Eigenschaften fand man bei der im Südschwarzwald beheimateten Hinterwälderrasse.»
Keine Verwandtschaft im Berner Oberland
Die landläufige Meinung, die Hinterwälder stammten ursprünglich von Rindern aus dem Berner Oberland ab, stimmt aber nicht. «Genetische Untersuchungen haben gezeigt, dass es keine Verwandtschaft gibt», erklärt Kathrin Berger vom Hinterwälderzuchtverein. Der letzte gemeinsame Vorfahre der beiden auf den ersten Blick so ähnlichen Rassen ist demnach das römische Hausrind. «Die Hinterwälder haben sich völlig unabhängig im Südschwarzwald entwickelt», sagt Berger.[IMG 3]
Dort waren sie lange Zeit eine Dreinutzungsrasse und wurden zur Milchproduktion, als Fleischlieferant und als Arbeitstiere eingesetzt. Ihre geringe Grösse und ihre robuste Konstitution widerspiegeln die Anforderungen im Schwarzwald, wo sie oft auf raue Hochweiden, in Wälder oder auf Hochmoore getrieben wurden.
In der Schweiz haben die Hinterwälder ihre Heimat vor allem in Regionen mit ähnlichem Klima gefunden: Im Emmental, im Entlebuch und im Berner Oberland. 2022 waren im Herdebuch 1348 weibliche und 104 männliche Tiere verzeichnet.