«Die Honigbiene lebt in der Schweiz grösstenteils in Menschenhand», leitet Emanuel Hörler die jährliche Bienentagung in Rehetobel AR ein. Der Honigertrag stehe bei vielen Imkerinnen und Imkern im Vordergrund, die Bedürfnisse der Bienenvölker fänden oft zu wenig Beachtung, würden sogar ignoriert.

Künstliche Nutzung anstatt naturgemässe Haltung

Die Honigleistung pro Volk hat sich in den letzten 60 Jahren vervierfacht, stellt der Organisator der Tagung fest. Erfindungen der vergangenen 200 Jahre wie die Verfütterung von Zucker, mobile Wabenrähmchen, Mittelwände, Honigschleuder, Königinnenzucht und künstliche Besamung bilden die Grundlage für diese intensive Nutzung der Honigbiene. Ihre Leistungssteigerung stehe in der «Rangliste» der meistgenutzten Tiere zuoberst. So wurde die Milchleistung der Kühe in den letzten 60 Jahren «nur» verdoppelt.

Fähigkeit, sich anzupassen, werde den Bienen genommen

Die Honigbienen werden gemäss den Methoden der »guten Imkerpraxis» gehalten und durch den Einsatz von Chemie wie Ameisensäure «gesund» erhalten. Die Fähigkeit, sich durch Selektion der Umwelt anzupassen, werde ihnen jedoch genommen, hiess es an der Tagung. Selbst wildlebende Honigbienenvölker könnten sich kaum mehr in der Natur behaupten, da ihnen dort die Nahrung fehle. So sind vielfältige Pflanzengesellschaften, die in Fromental-Wiesen in der Schweiz flächendeckend zu finden waren, selten geworden.

Vielfältige Abwehrstrategien gegen Krankheiten

Bienen haben von Natur aus eine Vielzahl von Abwehrstrategien gegen Krankheiten und wir kennen noch lange nicht alle, sagt Bigna Zellweger, diplomierte Zoologin und Imkerin. Äusserlich schützt der für fast alle Stoffe undurchlässige Chitinpanzer die Biene vor Fremdstoffen. Die Körperöffnungen, selbst die Atemöffnungen, bleiben geschlossen, wenn sie gerade nicht gebraucht werden. Das Immunsystem verfügt nicht wie bei den Säugetieren über Gedächtniszellen und Antikörper, dafür aber über Hämozyten in Hämolymphe und Fettkörper. Sie sind quasi die «Blutzellen» der Bienen; sie bekämpfen Krankheitserreger mit immunspezifischen Proteinen und antimikrobiellen Peptiden.

Soziale Immunität, ein interessantes Konzept

Milchsäurebakterien in der Honigblase produzieren antimikrobielle Stoffe und im Darm siedeln sich gesundheitsfördernde Bakterien an, die als Symbionten natürliche Abwehrstoffe gegen Krankheitserreger bilden. Eine wichtige Abwehrstrategie ist die soziale Immunität, z.B. das gegenseitige Entfernen von Pollenresten und Sporen, auch als «grooming» bezeichnet. Bienen putzen allerdings nicht nur sich selbst und sich gegenseitig, sondern räumen kranke oder mit Varroa befallene Brut aus. Sie koten im Freien, alte und kranke Bienen verlassen zum Sterben den Stock und Wächterinnen wehren fremde und kranke Bienen ab. Ein guter Schutz vor Bakterien, Viren und Pilzen bildet das Auskleiden der Wände ihrer Behausungen mit Propolis. Damit dies in Beuten möglich ist, müssen deren Wände rau sein. Tote Eindringlinge werden mit Propolis «mumifiziert». Und nicht zuletzt trägt auch das Schwärmen zur Erregerreduktion bei.

Honig ist die Pharmazie der Bienen

«Pollen sind der Hauptfaktor für Gesundheit und Langlebigkeit», betont Zellweger. Pollen spielen in der Aktivierung des Immunsystems eine wichtige Rolle. Die Qualität der Pollen ist unterschiedlich, je nachdem, von welcher Pflanze sie gesammelt werden. «Bienen brauchen Honig, um sich selbst zu heilen. Es ist praktisch ihre Pharmazie», fasst die Imkerin zusammen. Die Natur selektiert die Völker, die den «richtigen» Nektar und die «richtigen» Pollen sammeln. Durch Zuckerfütterung gehe dieser Effekt verloren. Die Referentin empfiehlt deswegen, nur wenig Honig zu entnehmen, wenig Zucker zu verwenden und auf Hygiene zu achten. «Ein Wabentausch ist ein Graus». Bei der Gestaltung der Beuten sollte man daran denken, dass Wald der natürliche Lebensraum der Bienen ist. Wie erwähnt sollten die Wände der Beuten wie in hohlen Baumstämmen oder Höhlen rau und gebogen sein. «Eckig und glattgehobelt ist nicht vorgesehen», ergänzt Hörler.

Ein Bienen-Blog

Sigrun Mittl, diplomierte Biologin, betreut den Blog Bienen-Dialoge.de und beschäftigt sich insbesondere mit den Lebensbedingungen der Honigbienen. Sie sammelt neue wissenschaftliche Erkenntnisse, die sie in Büchern, Vorträgen und im Internet weitergibt. Ihr Thema an der Rehetobeler Bienentagung war das Zusammenspiel von Honigbiene, Mikroorganismen und Umwelt. Ihre Botschaft lautet: Mikroorganismen stellen nicht in erster Linie eine Gefahr für die Bienen dar, sondern sind unverzichtbare Bestandteile deren Lebens. Ohne das Mikrobiom, die Gesamtheit aller Mikroorganismen, Bakterien oder Viren, die ein Lebewesen besiedeln, könnten wir alle nicht leben. Die Genforschung zeige, dass der Mensch mehr Zellen und Gene von Mikroorganismen besitze als eigene und dass es vermutlich bei der Honigbiene ebenso sei.

Virus ist nicht immer schädlich

«Es ist ein anderes Denken», betont Mittl. «Die Evolution setzt nicht nur an den Genen an, sondern auch an den Mikroorganismen, die das Wirtstier umgeben. Wirt und Mikrobiom stehen dabei in einer Art Symbiose zueinander. Die Forscherin vergleicht es mit einem Zusammenspiel oder Tanz dieser beiden. Die von uns oft gefürchteten Viren sind nicht einfach schädlich, sondern dienen dazu, neues Erbgut in den Wirt einzubringen. Dieses ermöglicht es ihm, sich schneller an veränderte Umweltbedingungen anzupassen. «Ohne Viren gäbe es keine Evolution», fasst die Biologin die Ergebnisse von Harris & Hill 2021 zusammen.

Das Mikrobiom - eine Aufgabe des Imkers

Ein angepasstes Mikrobiom, nicht das Freisein von Mikroorganismen, scheint entscheidend für die Gesundheit der Wirtstiere zu sein. Weltweit gäbe es nur etwa 300 obligat pathogene Bakterien, bei denen die Wirte unabhängig von der Umgebung krank werden (Bosch 2017). Verhaltensstudien an Mäusen zeigten, dass bei keimfrei gemachten Mäusen im Vergleich zu Mäusen mit Keimen die Gedächtnisleistung abnahm, dass sie ängstlicher waren, sich weniger putzten und die Bewegungsabläufe chaotischer wurden.

Offensichtlich führte das Fehlen des Mikrobioms zu Stress. Das Mikrobiom, das sich im Laufe der Evolution herausgebildet hat, helfe auch der Honigbiene, ihre Selbstheilungskräfte zu aktivieren und Stress zu vermeiden. Es könne sich dann entwickeln, wenn wir es nicht durch chemische Mittel stören, die Bienen gesund ernähren und sie in einer artgerechten Umgebung halten. Darin sieht die Bienenforscherin die Hauptaufgabe des Imkers. Auch eine regenerative Landwirtschaft, eine naturnahe Forstwirtschaft sowie gesundes, lebendiges Wasser sind aus ihrer Sicht wichtige Voraussetzungen, dass Bienen gesund bleiben.