Blüem in Kürze
Alte Wurzeln: Schon auf historischen Stallmalereien zu finden – kein moderner Trend.
Vererbung: Das KIT-Gen ist bekannt, doch die Zeichnung bleibt unberechenbar.
Beliebt und begehrt: Besonders schön gezeichnete Tiere erzielen hohe Preise.
Züchter-Sorgen: Wenig geeignete Stiere – genetische Vielfalt ist begrenzt.
Mehr als Nutzen: Für viele sind Blüem-Kühe Symbol, Stolz und Herzenssache.
Lange galten sie als Kuriosität am Rand der Herde, heute tauchen sie auf Viehschauen auf, erzielen teils hohe Preise und gelten als Glücksbringer im Stall: die Blüem-Kühe – auffällig gezeichnete Tiere innerhalb des Braunviehs, mit weiss-braunem Fell und starkem Symbolwert.
In ihrer umfassenden Semesterarbeit hat Alissa Scheuermeier an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) in Zollikofen BE die Entwicklung dieser Farbvariante über drei Jahrzehnte hinweg akribisch nachgezeichnet.
Die aufschlussreichen und teils überraschenden Ergebnisse, die dabei herausgekommen sind, sind nicht nur für Tiergenetiker spannend, sondern auch für alle, die sich mit Braunviehzucht, Viehschauen und bäuerlicher Kultur beschäftigen.
Die unter der Betreuung von Hannes Jörg entstandene Arbeit zeigt: Die Blüem-Kuh ist mehr als ein farbliches Kuriosum – sie ist ein Spiegel von kulturellem Erbe, genetischer Komplexität und landwirtschaftlicher Leidenschaft.
Lange nicht herdebuchfähig
Bis 1997 war die Blüem-Kuh – obwohl genetisch eindeutig dem Braunvieh zugehörig – nicht herdebuchfähig. Erst durch den Druck aus der Praxis wurde sie aufgenommen. Ein entscheidender Durchbruch folgte 2012 mit der Identifikation des verantwortlichen KIT-Gens durch die Universität Bern – das sogenannte Blüem-Gen, das die charakteristische Zeichnung verursacht.
Die Herdebuchzahlen zeigen: Von sieben registrierten Tieren 1999 auf über 1800 im Jahr 2025. Besonders seit 2017 ist der Anstieg markant. Grund dafür ist unter anderem die Möglichkeit, den Genotyp auch ohne sichtbare Zeichnung nachzuweisen – etwa bei Tieren, bei denen das Gen zwar vorhanden, aber nicht sichtbar ist.
Eine wichtige Frage, die Alissa Scheuermeier versuchte, zu beantworten, ist: Was motiviert Züchterinnen und Züchter? Eine Umfrage unter 750 Betrieben mit Blüem-Kühen (Rücklaufquote 32 %) zeigt, dass für viele nicht nur die Leistung im Vordergrund steht, sondern Emotion, Ästhetik und Identität. Blüem-Kühe gelten in vielen Regionen, etwa im Appenzell, im Glarnerland oder im Toggenburg als etwas Besonderes. Sie schmücken Postkarten, ziehen an Ausstellungen Aufmerksamkeit auf sich und sorgen für Stolz im Stall.
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Mehr als Wirtschaftlichkeit
Aus der Arbeit von Alissa Scheuermeier geht demnach deutlich hervor, dass die Blüem-Kuh für viele Halterinnen und Halter weit über eine rein ökonomische Entscheidung hinausgeht. Blüem-Kühe sind nicht nur Nutztiere, sondern Trägerinnen von Identität, Stolz und bäuerlicher Kultur. In vielen Rückmeldungen an die Studentin wird die emotionale Bindung spürbar – Blüem-Kühe gelten als «Stolz des Betriebs», als «Glücksbringer», oder ganz einfach als etwas, das Freude in den Stall bringt. Manche bezeichnen die Blüem-Zucht gar als «Hobby mit Wurzeln», das im harten Alltag der Landwirtschaft einen Gegenpol bietet.
Scheuermeier belegt in ihrer Arbeit zudem, dass Blüem-Tiere insbesondere in traditionellen Regionen wie dem Appenzellerland oder dem Toggenburg seit jeher präsent waren – nicht nur auf Wiesen, sondern auch auf alten Sennenbildern und Stallmalereien. Ihre Existenz reicht also weit zurück und ist keineswegs ein moderner Zuchttrend. Klar ist: Blüem und übrigens auch Gurt werden dominant vererbt. Das bedeutet, schon bei mischerbigen Tieren kommt die Färbung zur Ausprägung.
Eine Art Gegentrend
Gleichzeitig wird aus den Daten eine klare Entwicklung sichtbar: Während die moderne Braunviehzucht stark leistungsorientiert, genetisch fokussiert und typisiert ist, stellt die Blüem-Kuh eine Art Gegenmodell dar. Ihre immer noch seltene und unvorhersehbare Zeichnung macht sie nach wie vor speziell, denn die Blüemzeichnung zeigt sich sehr unterschiedlich ausgeprägt.
Gerade das macht sie für viele zu einem Wert an sich. Es entsteht eine Art «Liebhabermarkt»: Besonders schön gezeichnete Tiere oder weibliche Blüem-Kälber erzielen teils überdurchschnittliche Preise. Die Marktwerte liegen laut mehreren Umfrageteilnehmenden über jenen vergleichbarer brauner Tiere. Die Blüem-Kuh ist also nicht nur ein emotionales, sondern auch ein wirtschaftlich nicht uninteressantes Standbein – gerade für Direktvermarkter oder Betriebe mit Besucherangeboten.
Was ist schwierig?
Doch Alissa Scheuermeier verweist auch auf die Herausforderungen: So sei die Vererbung der Zeichnung genetisch zwar entschlüsselt (Stichwort: KIT-Gen), aber in ihrer Ausprägung unberechenbar. Nicht jedes Tier mit dem Blüem-Gen zeigt auch eine sichtbare Zeichnung. Zudem ist die Population klein, und die Auswahl an leistungsstarken Blüem-Stieren in der Besamung begrenzt. Hier ortet sie gar einen kritischen Punkt. Die zukünftige Entwicklung der Blüem-Kuh ist laut der Studentin eng mit der Verfügbarkeit von Stieren verbunden. Aufgrund der kleinen Populationsgrösse stehen derzeit nur wenige Blüem-Stiere zur künstlichen Besamung zur Verfügung. Und diese Einschränkung wirkt sich unmittelbar auf die Zuchtpraxis aus. Ein grösseres und diverseres Angebot an Blüem-Stieren könnte laut Alissa Scheuermeier dazu beitragen, die genetische Breite zu erhöhen und die Attraktivität der Linie weiter zu steigern.
Trotzdem zeigt sich, dass die Blüem-Kuh ihren Platz gefunden hat – zwischen Tradition und Trend, zwischen Nutzwert und Herzenssache. Sie ist laut der Semesterarbeit mehr als ein ästhetisches Phänomen: ein bewusst gesetzter Kontrapunkt in der heutigen Zuchtlandschaft – und ein Ausdruck gelebter bäuerlicher Vielfalt.
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Nachgefragt: «Die emotionale Verbindung zu den Tieren war spürbar»
Alissa Scheuermeier studiert an der HAFL in Zollikofen und ist ein Blüem-Fan. Sie ging in ihrer Semesterarbeit der Frage auf den Grund: Wie hat sich der Bestand der Blüem-Kühe in der Schweiz in den letzten 30 Jahren entwickelt und gibt es einen signifikanten Trend hinsichtlich ihrer Zunahme oder Abnahme?
Wie sind Sie persönlich auf das Thema der Blüem-Kuh gekommen – gab es ein Schlüsselerlebnis oder eine besondere Begegnung, die Ihr Interesse geweckt hat?
Mein Herz schlägt fürs Braunvieh – und ganz besonders für die Blüem-Kühe, seit ich zum ersten Mal eine gesehen habe. Den Anfang machte das wunderschöne Blüem-Kalb Happy, das ich zum Geburtstag geschenkt bekam. Seither sind auf dem Familienbetrieb meiner zukünftigen Schwiegereltern auch Blüem-Kühe in der Brown Swiss Herde zu sehen. Da es meine erste Semesterarbeit war, wollte ich bewusst ein Thema wählen, das mich auch persönlich begeistert, denn wenn Herzblut drinsteckt, fällt einem das Schreiben gleich viel leichter.
Welche Rolle spielt für Sie persönlich die emotionale oder symbolische Bedeutung, die viele Bäuerinnen und Bauern den Blüem-Kühen beimessen – hat das Ihre Arbeit beeinflusst?
Diese emotionale Verbindung konnte ich sehr gut nachempfinden, auch für mich haben Blüem-Kühe eine besondere Bedeutung. Genau deshalb war die Arbeit an diesem Thema nicht nur eine wissenschaftliche Aufgabe, sondern auch persönlich spannend. Die Recherchen und Interviews waren für mich besonders interessant, weil ich selbst mit grossem Interesse dabei war. In der Ausarbeitung habe ich aber bewusst darauf geachtet, sachlich und objektiv zu bleiben.
Was hat Sie während der Recherche oder bei Gesprächen mit Züchterinnen und Züchtern am meisten überrascht oder berührt?
Besonders schön war, wie viele Personen an meiner Umfrage teilgenommen und ihre persönliche Geschichte oder Begeisterung geteilt haben. Die emotionale Verbindung zu den Tieren war in vielen Antworten spürbar. Beeindruckt hat mich auch der Kampf und die Geschichte bis zur offiziellen Anerkennung dieses Farbschlags im Herdebuch.