Roger Kempf, hatten Sie auf Ihrem Betrieb im Isenthal auch schon ein von einer Sehschwäche betroffenes Tier? Wie zeigt sich diese Sehschwäche?

Roger Kempf: Auf dem elterlichen Betrieb hatten wir noch nie ein Tier mit der Sehschwäche, also reinerbig O1S. Trägertiere O1C sind es aktuell drei Tiere. Seit sieben Jahren typisieren wir alle Tiere. Dadurch haben wir zusätzlich zu den Zuchtwerten auch wichtige Informationen über den Erbfehlerstatus. Ich habe schon O1S-Tiere, also reinerbige, auf anderen Betrieben angetroffen. Die Tiere sind nicht blind, sondern haben eine mehr oder weniger ausgeprägte Sehschwäche. Vielfach merkt man dies erst ab ungefähr drei bis vier Monaten. Solange die Tiere in der gleichen Gruppe sind, orientieren sie sich meist an anderen Tieren.

Was geschieht mit diesen Jungtieren?

Grundsätzlich ergibt es aus einem reinerbigen O1S-Tier, angepaart mit einem OH1-freien Tier (O1F), ein O1C-Tier, welches zwar Träger ist, jedoch die Sehschwäche nicht besitzt. Die meisten Tiere werden aber geschlachtet, da das Risiko für Unfälle zu gross ist.

Mehrere stark eingesetzte und aktuelle Top-Vererber der OB-Rasse sind Trägertiere des Erbfehlers OH1. Wie berücksichtigen Sie diese Problematik in Ihrer Arbeit als Zuchtberater?

Auf Betrieben, die alle Tiere typisieren, kann ich gezielt mit solchen Stieren arbeiten und diese auf OH1-freie Tiere anpaaren. Dabei ist der Paarungsplan im Bruna-Net ein wichtiges Hilfsmittel. Mit dem Ampelsystem erhalte ich den Hinweis, ob die Paarung «grün» ist, also kein Risiko besteht, oder ob dies eine Risikopaarung ist (rot). Sind die Tiere nicht typisiert, empfehle ich grundsätzlich, nur erbfehlerfreie Stiere (O1F) einzusetzen. Jedoch kann auch hier im Paarungsplan überprüft werden, ob in der Ahnentafel einmal ein Trägertier war. In solchen Fällen wird die Ampel orange; beispielsweise wenn die Grossmutter des anzupaarenden Tieres eine Harlei-Tochter und der vorgeschlagene Stier Träger desselben Erbfehlers ist. In diesem Ampelsystem wird zudem die Inzucht angezeigt, was für noch nicht ausgewiesene Erbfehler von Bedeutung ist.

Was empfehlen Sie Züchtern, die ihre Jungtiere nicht genomisch testen und somit keine Informationen über den Erbfehler-Status ihrer Herde haben?

Sind die Tiere nicht typisiert, empfehle ich grundsätzlich, erbfehlerfreie Stiere einzusetzen. Eine Ausnahme ist, wenn die Sicherheit besteht, dass alle Ahnen erbfehlerfrei waren. Zusätzlich rate ich, auf Inzucht oder zu nahe Linienführung zu verzichten.

Ist es angesichts des Risikos noch zeitgemäss, dass KB-Organisationen immer noch Jungstiere ankaufen, die Trägertiere des Erbfehlers OH1 sind?

Diese Frage haben wir uns bei verschiedenen Stieren gestellt. Anfänglich war man sehr restriktiv mit Erbfehlern und hat keine Trägerstiere – von verschiedenen Erbfehlern – mehr angekauft. Heute geht man aus verschiedenen Gründen offener mit dieser Frage um. Es kommt aber auf den Erbfehler, seine Auswirkungen beim Tier und der Verbreitung in der Population an. Gründe, die für den Einsatz sprechen, sind Blutvielfalt, Top-Vererber aus den besten Kuhfamilien und die genaueren Daten aus der Genomik. Was sich bei dieser Frage verändert hat, ist der Umgang als Landwirt mit diesen Zusatzinformationen. Der Landwirt muss sich besser mit der Genetik auskennen, wenn er die Paarungen macht. Aus diesem Grund bietet Braunvieh Schweiz seit bald 20 Jahren die Dienstleistung Zuchtberatung an. Ich bin mir sicher, dass nachzuchtgeprüfte Stiere wie Harlei und Morin oder Jungstiere wie Tiago die Originalen weiterbringen bzw. fehlen würden, hätte man sie nicht im Angebot. Die Verantwortung, ob er mit diesen Stieren arbeiten will, liegt jedoch beim Landwirt. [IMG 2]

Für Sie als Zuchtberater ist die Deklaration der Erbfehler auf dem Tierdatenblatt sicher offensichtlich. Für Tierhalter ohne übermässiges Interesse an Genetik sind aber Hinweise auf vorhandene Erbfehler in der grossen Datenmenge, die mittlerweile auf Abstammungsausweisen aufgelistet sind, schwieriger zu erkennen. Wäre eine augenfälligere Bezeichnung der Trägertiere nicht dringend nötig?

Die Bezeichnung für Trägertiere (z. B. O1C) ist bei jedem Tier auf dem Leistungsblatt und auf der Besamungskarte direkt hinter dem Namen deklariert. Bei den KB-Stieren ist die Deklaration auf der Homepage der KB-Organisationen oder im Stierenkatalog ebenfalls direkt hinter dem Namen angebracht. Ich denke, jeder Züchter sollte sich mit dem Genetikangebot so intensiv befassen, dass die aktuelle Bezeichnung ausreichend ist. Gerne vergleiche ich dies mit dem Kauf von Saatgut. Wenn wir säen, müssen wir wissen, welche Stärken und Schwächen z. B. der Mais hat oder gegen welche Krankheiten er anfälliger ist. Bei der Genetik ist es dasselbe. Wer sich nicht damit befassen will, kann in jedem Fall einen Berater zuziehen.Interview reb