Die Anpassung der Fütterungsrichtlinien von Bio Suisse war schon länger bekannt. Jetzt sind der Entscheid und seine Folgen aber endgültig bei der Basis angekommen. In Bezug auf die Artikel zu diesem Thema, welche in der BauernZeitung Ende September erschienen sind, ein paar Gedanken.
Die Bandbreite der Meinungen zu diesem Thema ist sehr gross. Man hört von Austrittswilligen oder gar bereits ausgetretenen Betrieben bis hin zu Betrieben, auf denen alles super läuft. Daher auch die Schwierigkeit und die Frage: Wem soll jetzt am meisten Gehör geschenkt werden? Ist es der oder die Lauteste? Oder Betroffenste? Mit Sachlichkeit kann Polemik vermieden werden.
Eiweissträger sind gesucht und die diesjährigen tiefen Erträge zwangen die Futtermittelhersteller dazu, die Gehalte in den Futtermitteln laufend zu senken. Daraus resultieren vielerorts ungewohnte und zu tiefe Proteinwerte in den Rationen. Die tiefen Werte sind aber nicht nur eine Frage der Region, sondern auch eine Frage der Betriebsausrichtung. Daher darf die Frage nicht daran aufgehängt werden, ob es sich jetzt um einen «Berg- oder Talbetrieb» handelt. Dies würde uns als Biobranche nur unnötig aufspalten.
Schuldzuweisungen helfen nicht
Die grosse Frage ist nun, wie wir mit dieser Situation umgehen. Schuldige zu suchen oder mit Schuldzuweisungen um sich zu werfen, dient nicht der Sache und trägt auch nichts zu einer guten Lösung bei.
Der Entscheid, nur noch auf einheimische Proteinträger zu setzen, wurde an der Delegiertenversammlung 2018 gefällt, an welcher ich ebenfalls als Delegierter anwesend war. Er wurde relativ deutlich angenommen, aber nach meinem Bauchgefühl zu urteilen, waren sehr viele Delegierte unglücklich über die doch schwache Datenlage, auf welcher dieser Entscheid beruhte. Wie im Nachhinein gesagt werden kann, wurde weiter die «Doppelwirkung» von 5 % Kraftfutter und 100 % Inlandproduktion sehr unterschätzt.
Der Fokus von allen Beteiligten lag damals auf der 5 %-Kraftfutter-Regelung. Dies war für viele Landwirtinnen und Landwirte ein praktikabler Vorschlag. Dass dazu aber noch eine massive Reduktion der Proteingehalte aufgrund der 100 %-Inlandproduktion folgte, wurde von breiten Kreisen unterschätzt.
Wiederkäuer taugen nicht als Zielgruppe
Was aber deutlich in den Diskussionen herauskam, war, dass Wiederkäuer definitiv nicht als Zielgruppe für Kraftfutter gelten sollten. Ich bin überzeugt, dass diese Frage früher oder später die gesamte Schweizer Milchbranche einholt und für alle Betriebe die Einsatzhöhe in irgendeiner Form limitiert wird. Auch ÖLN-Betriebe werden das Leistungsniveau des Viehbestandes in Zukunft an die betrieblichen Gegebenheiten anpassen müssen.
Diese Anpassungen der Fütterungsrichtlinien der Schweizer Biolandwirtschaft sind ein Grossversuch, modern als «action research» bezeichnet, welcher mit einem Schlag auf die ganze Bio-Inlandsproduktion angewendet wurde. Es stimmt, dass schon lange darüber diskutiert wurde und es leider mit uns und der Menschheit so ist, dass sich erst etwas ändert, wenn der Druck gross genug wird. Dies ist mit der aktuellen Umsetzung der Richtlinien geschehen. Der Druck ist jetzt gross!
Anpassungen benötigen länger als gedacht
Der Biomilchwirtschaft nun pauschal zu unterstellen, dass sie früher hätte reagieren sollen, greift zu kurz. Züchterische Anpassungen benötigen immer länger als gedacht und bei einigen Betrieben starten diese bedauerlicherweise erst jetzt. Da müssen wir auch ehrlich sein.
Dasselbe gilt in der Produktion der gefragten Kulturen. Auch da sind die züchterischen Arbeiten am Laufen, und vor allem die Standorteigenschaften der Proteinkulturen haben noch deutlich Verbesserungspotenzial.
Ich begrüsse grundsätzlich ein Vorgehen, bei welchem eher gewagt, ausprobiert und dann nachjustiert wird, mehr, als wenn ewig über etwas diskutiert und nichts gewagt wird.
Potenzial zum Nachjustieren
Ungünstigerweise ist die Wahrscheinlichkeit bei einem Grossversuch sehr hoch, dass später nochmals nachjustiert werden muss. Dies ist meines Erachtens legitim und muss zugelassen werden, denn da fällt niemandem ein Stein aus der Krone. Eine Möglichkeit fürs Nachjustieren sehe ich vor allem im Bereich des aktuell sehr tiefen Inlandangebotes von Proteinträgern. Dieses könnte man durch temporär befristete Zulassungen von Bio-Material aus Importen ergänzen.
Für dieses «Nachjustieren» wünsche ich allen Beteiligten Mut, hoffe aber, dass dabei kein Verfallen in Grundsatzdiskussionen eintritt. Am mutigen Entscheid der 5 %-Regelung ist festzuhalten, im Gegenzug könnte man dafür durch allfällige temporäre Importlockerungen für Bio-Suisse-Proteinträger den landwirtschaftlichen Betrieben etwas Luft nach oben verschaffen.
Zur Person:
Peter Schweizer ist Co-Präsident von Bio Ostschweiz. Er schreibt regelmässig für die Rubrik «Arena» im Regionalteil Ostschweiz/Zürich der BauernZeitung.