Täglich fallen in der Schweiz rund 1000 Tonnen Nebenprodukte aus der Herstellung von Lebensmitteln aus Urprodukten an. Diese Produkte, die ausschliesslich pflanzlicher Herkunft sind, werden wiederum zu tierischen Lebensmitteln veredelt. Rund die Hälfte dieser gesamthaft 365 000 Tonnen kann von den Tierarten Schwein und Geflügel verwertet werden, die andere Hälfte gelangt in den Kanal der Rindviehfütterung (siehe Grafik).

Tierisches Protein in der EU

Schon bald könnte die Liste dieser Nebenprodukte aus der Lebensmittelproduktion noch länger werden. Seit Anfang Sep-tember 2021 ist es nämlich in der EU wieder erlaubt, sogenannt «verarbeitetes tierisches Protein» von Schweinen an Geflügel und umgekehrt Protein auf Geflügelbasis an Schweine zu verfüttern. Faktisch handelt es sich dabei um Abfallprodukte aus der Schlachtung. «Die Herstellung der ver-arbeiteten tierischen Proteine ist anspruchsvoll», sagt Christian Oesch, Geschäftsführer der Futtermittelfabrikanten, gefragt nach einem möglichen Wiedereinführen dieser Verfütterung tierischer Proteine in der Schweiz. «Die strikte Trennung der gesamten Logistik- und Produktionslinien vom Schlachtpunkt bis zum Futtertrog ohne Toleranzen dürften in der klein strukturierten Schweizer Tierproduktion zur kaum überwindbaren Herausforderung werden», ist er gar überzeugt. Hinzu komme die Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz. «Für eine erfolgreiche Umsetzung wird es wichtig sein, dass auch die Konsument(innen) dahinterstehen», so Oesch.

Zwei Motionen gutgeheissen

Die Politik jedenfalls tut das. Allesfressende Nutztiere sollen auch in der Schweiz wieder mit aus Schlachtabfällen gewonnenen Eiweissen gefüttert werden dürfen. Nach dem Nationalrat hat Ende Mai auch der Ständerat zwei Motionen mit diesem Ziel gutge-heissen. Beide Räte nahmen die Vorstösse des Thurgauer SVP-Nationalrats Manuel Strupler sowie der Schaffhauser SP-National-rätin Martina Munz ohne Opposition an und folgten damit dem einstimmigen Antrag der Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK-S). Nun ist es am Bundesrat, der mit den Vorstössen ebenfalls einverstanden ist, die rechtlichen Grundlagen für deren Umsetzung schaffen. Doch was heisst das genau? Rechtlich brauche es eine Revision der entsprechenden Verordnung (Systematische Rechtssammlung, SR) vom 25. Mai 2011 über tierische Nebenprodukte, über welche am Ende der Bundesrat entscheide, heisst es beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV).

Produktionsketten müssen getrennt werden

Gegenstand werden (u. a.) sein: die Zulassung von «verarbeiteten tierischen Proteinen» von Schweinen zur Verfütterung an Geflügel (und «vice-versa»), die Verfütterung von Insektenproteinen auch an Schweine und Geflügel (bisher nur an Fische/Tiere in Aquakultur erlaubt) und die Verfütterung von Kollagen von Wiederkäuern an Nichtwiederkäuer. Die Detailkriterien zur «Trennung der Produktionsketten» auf allen Stufen von der Gewinnung des Rohmaterials über Verarbeitung, Transport, Herstellung von Futtermitteln bis zur Lagerung und Verwendung der Futtermittel in den Tierhaltungen sollen in einer «Amtsverordnung des BLV» festgelegt werden; die Trennung muss sicherstellen, dass die jeweilige Tierart immer nur «sortenreine, für sie zugelassene tierische Proteine erhält». Nach aktuellem Fahrplan ist das Inkrafttreten der revidierten Verordnung im März 2024 vorgesehen.

Ursprünglich eingestellt wurde das Verfüttern tierischer Eiweisse aufgrund der Krankheit BSE (Rinderwahnsinn). Zur Bekämpfung der BSE-Krise wurde die Verfütterung von tierischen Proteinen an Wiederkäuer verboten. Seit 2001 gilt das Verbot auch für Nichtwiederkäuer. «Durch die Massnahmen konnte BSE erfolgreich ausgerottet werden. Seit 2015 gilt die Schweiz wieder als Land mit vernachlässigbarem BSE-Risiko», erklärt das BLV auf Anfrage.

Strenge Kriterien

Soll das Ganze in zwei Jahren bereits in Kraft sein, sind aber nicht nur auf politischer Ebene Anpassungen nötig. Für sämtliche Akteure entlang der Produktionsketten (Gewinnung des nach Tierarten sortenreinen Rohmaterials, über dessen Verarbeitung, Transport, Herstellung von Futtermitteln bis zur Lagerung und Verwendung der Futtermittel in den Tierhaltungen) würden strenge Kriterien gelten. Dadurch soll eine Trennung und Vermeidung von Kreuzkontaminationen mit für die jeweilige Tierart nicht zulässigen tierischen Proteinen sichergestellt werden.

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Aktuell nicht vorgesehen

Auf die Frage, ob die Schweiz überhaupt dafür eingerichtet ist, tierische Produkte zu veredeln oder ob man auch hier auf das Ausland abstützt, schreibt das BLV: «Nach Angaben der Branche ist eine Verarbeitung im Sinne einer Herstellung von sortenreinen tierischen Proteinen in der Schweiz aus wirtschaftlichen Erwägungen aktuell nicht vorgesehen.» Die Zukunft werde zeigen, welches Potenzial die neuen Möglichkeiten in der Schweiz haben werden, z. B. Futtermittelherstellung mit importierten Proteinen, Import von fertigen Futtermitteln, welche tierische Proteine enthalten usw.

Hohe Logistikkosten

Die Politik scheint die Sache einfacher zu sehen als Fachmann Christian Oesch. Die oben erwähnten kaum überwindbaren Hindernisse sieht Oesch vor allem in der Analytik und den dazugehörigen Null-Toleranzen. «Wir werden für jede Tierart vollständig getrennte Produktionsstandorte und Logistikketten haben müssen. Die heutige Mischfutterbranche ist klein strukturiert und arbeitet für alle Tiergattungen», erinnert Oesch. Eine Spezialisierung der Mischfutterwerke führe zu Investitionen und höheren Logistikkosten, welche die Tierproduktion verteuern würden, so Oesch. Konkretere Aussagen zu möglicher Menge und der Art des Einsatzes könnten erst gemacht werden, sobald die Vernehmlassungsunterlagen des BLV auf dem Tisch liegen. «Wir haben immer wieder betont, dass es vernünftige Toleranzen bezüglich Verschleppungen geben muss. Wie weit das BLV darauf eingehen wird, werden wir in den Vernehmlassungsunterlagen sehen. Solange wir die Rahmenbedingungen nicht kennen, können wir auch noch kein Potenzial abschätzen», schliesst Oesch.