Am Eichberg bei Saland im zürcherischen Tösstal ist seit Ende April eine Geissenherde an der Arbeit: Wendig schlüpfen die Tiere durchs Gebüsch und zupfen da und dort an den jungen Blättern. Die Ziegen scheinen sich im steilen Waldstück wohlzufühlen. Ein ungewöhnliches Bild, ist es doch seit 1902 verboten, Nutztiere im Wald weiden zu lassen. Die Geissen am Eichberg allerdings knabbern sich ganz legal durchs Gehölz. Ihre Aufgabe ist die Pflege eines rund ein Hektar grossen Stücks Wald, der Pro Natura Zürich gehört. Dafür liegt eine Bewilligung vom kantonalen Forstdienst vor, die bis 2035 befristet und mit Auflagen verbunden ist.

Positive Erfahrungen

Etwa, was den Zweck betrifft: Das Areal an einem Steilhang besteht aus einem lichten Wald und dem dazugehörenden Waldsaum. «Somit handelt es sich nicht um eine Waldweide im eigentlichen Sinn, welche mit landwirtschaftlicher Produktion verbunden ist», erklärt Evelyn Kamber, Projektleiterin bei Pro Natura Zürich. Ziel des Projektes ist vielmehr der Erhalt des lichten Waldes und damit die Förderung der Artenvielfalt. Diese entspreche den beiden Waldgesellschaften, die auf der Parzelle zu finden sind – ein typischer Weisseggen-Buchenwald sowie ein Orchideen-Föhrenwald. Bis sich eine typische Artengemeinschaft gebildet habe, würde es etwa 5 bis 6 Jahre dauern, schätzt Kamber.

Sie kann jedoch jetzt schon auf die positiven Erfahrungen aus dem Mittelland verweisen: Die Aargauer Sektion von Pro Natura beispielsweise setzt seit rund 25 Jahren auf die extensive Beweidung in einigen Naturschutzgebieten mit Ziegen, Schafen, Wasserbüffeln, Galloway- und Schottischen Hochlandrindern. Besonders wertvoll sei diese Art von Pflege für die vielfältige Insektenfauna, schreibt die Sektion, zudem würden auch Vögel und Kleinsäugetiere wie Hermeline davon profitieren. Die energieintensive Pflege mit Maschinen wie auch die Entsorgung des Schnittguts entfalle, heisst es weiter.

Unterschlupf für Insekten

Worin aber besteht der Unterschied, ob Mensch oder Tier am Werk sind? «Üblicherweise besteht die Pflege eines lichten Waldes darin, zu mähen und die Sträucher zurück zu schneiden» erklärt Evelyn Kamber. So entstehen eher monotone, stabile Verhältnisse. «Die Ziegen jedoch schaffen Unregelmässigkeiten», so die Forstingenieurin. Sie würden mal da und mal dort fressen und dabei manches übrigen lassen, wie etwa einen Büschel Altgras. Ein solcher bietet Käfern und Wanzen als Unterschlupf, die wiederum Spinnen als Beute dienen.

Auch würden durch die Trampelpfade der Ziegen offene Bodenstellen entstehen, die beispielsweise Wildbienen einen Lebensraum biete. «Im Gegensatz zum homogenen Mähen entwickelt sich so immer wieder Neues, was die Lebensraumvielfalt fördert», ergänzt Kamber.

Die 17 Geissen gehören Sepp Schuler, pensionierter Landwirt aus Mühlrüti, einer Gemeinde im benachbarten Toggenburg. Er kommt einmal täglich nach Saland, um seine Tiere zu kontrollieren. «Ich habe keine Zweifel daran, dass es ihnen hier gefällt und sie sich satt fressen können», hält er fest. Kaum seien sie auf ihrer neuen «Weide» angekommen, habe er sie mit Brot kaum mehr anlocken können. Zuviel interessantes Grünzeug überall. Zudem seien die Ziegen bereits am dritten Tag in die steilsten Hänge gestiegen, um das Waldstück zu erkunden. Wie Schuler bereits feststellen konnte, zieht sich die Herde über die Nacht auf ein flacheres Gelände zurück, wo eine Wassertränke eingerichtet ist. Auch einen Salzleckstein hat es dort, doch sei dieser bisher kaum benutzt worden – was für das waldeigene Nahrungsangebot spricht.

Vor rund 30 Jahren war Schuler einer der ersten in der Schweiz, der Burenziegen hielt. Eine Fleischrasse, die ursprünglich aus Südafrika stammt. Er hat Erfahrung darin, seine Geissen, darunter auch Tiere anderer Rassen, extensiv weiden zu lassen. Zu seiner Motivation, bei diesem Projekt mitzumachen, meint der St. Galler: «Waldweiden haben mich schon immer fasziniert.»

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Schutz vor Luchs und Wolf

Am Eichberg ist auch für die Sicherheit der Ziegen gesorgt: Der rund 600 Meter lange Zaun rund um das Waldstück verfügt über fünf Litzen, welche unter einer Spannung von 7000 Volt stehen. «Dabei geht es nicht nur darum, dass kein Tier entwischen kann», so Evelyn Kamber. «Die Geissen werden so auch vor Grossraubtieren geschützt». Der Zaun sei in Absprache mit dem Zürcher Herdenschutzbeauftragten geplant worden, da es im Gebiet Luchse habe und es immer wieder passiere, dass ein Jungwolf auf der Suche nach einem neuen Revier durch das Tösstal zieht.

Wenn die Geissen nach fünf Wochen wieder in ihren Stall zurückkehren, wird der Zaun abgebaut. Einzig die Holzpfosten dürfen bis zum nächsten Mal stehen bleiben. «Wann die Ziegen ihren zweiten Einsatz haben, wissen wir noch nicht», so Kamber. Das hänge jeweils vom Vegetationszustand des Waldes ab und wird regelmässig neu beurteilt. Möglicherweise wird Sepp Schuler seine Herde bereits im Herbst wieder nach Saland bringen, vielleicht auch erst im nächsten Frühjahr.