Am Mittwoch, 18. Mai 2022 wandelte sich die kühle Aula der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) in ein Mekka für Tierärztinnen, Agronomen, Forscherinnen und andere interessierte Personen der Rindviehhaltung.

Fokus war die Fütterung in der Transitphase, also drei Wochen vor bis rund drei Wochen nach der Abkalbung. «Gerade unter Schweizer Rahmenbedingungen mit möglichst hohen Grundfutteranteilen sind Zielkonflikte vorprogrammiert. Gleichzeitig soll die Produktion auch ressourceneffizient und umweltschonend sein. Wo liegen die Möglichkeiten in diesem Spannungsfeld?» Mit dieser Ausgangslage und Frage lockte die HAFL an die Netzwerk-Nutztiere-2022-Tagung nach Zollikofen.

Die Parlamentarische Initiative trifft auch das Milchvieh

Stefan Probst, Dozent für Tierernährung an der HAFL, ging an der Veranstaltung auf diese Rahmenbedingungen ein. Dabei erwähnte er die Parlamentarische Initiative (PI) 19.475, welche vorsieht, «das Risiko beim Einsatz von Pestiziden zu reduzieren». Obwohl man bei dieser Forderung nicht automatisch an einen Kuhstall denke, sei auch die Milchviehhaltung von der PI betroffen, so Probst. Dies, weil «die Stickstoff- und die Phosphorverluste der Landwirtschaft bis 2030 im Vergleich zum Mittelwert der Jahre 2014 bis 2016 angemessen reduziert werden müssen».

Der «Begin of Pipe»-Ansatz

Wie man das anstellt? Ein Ansatz aus der Forschung lautet «Begin of Pipe», also Anfang der Leitung. Wenn man es schafft, bereits zu Beginn der möglichen Emissionsquellen in der Tierhaltung Stickstoffverluste zu reduzieren, reduzieren sich in der Folge die Gesamtemissionen markant, so die Logik. «In der Schweine- und Geflügelfütterung ist der Einsatz von stickstoff- und phosphorreduziertem (NPR) Futter weit verbreitet. Beim Milchvieh wurde der Ansatz der rohproteinreduzierten Fütterung in der Praxis bisher jedoch kaum umgesetzt», wie dem Studienbeschrieb zu entnehmen ist.

Fütterung mit pansengeschützten Aminosäuren ergänzen

Konkret gestaltet sich diese Reduktion mit der ergänzenden Verfütterung von pansengeschützten Aminosäuren oder durch die Reduktion der Proteinzufuhr, ergänzt mit Aminosäuren. Beide Optionen wurden im Rahmen eines Versuchs auf dem Betrieb der Rütti und auf dem Wallierhof im Jahr 2020 und 2021 mit einer Herdengrösse von 70 Tieren untersucht. Dabei wurde in der Versuchsration der Proteingehalt um 1 Prozentpunkt (10g/kg TS) reduziert und auch die APD-Zufuhr (absorbierbares Protein im Darm) um rund 100 bis 150g pro Tier und Tag verringert.

Die Ergebnisse zeigten zwar keine signifikanten Unterschiede bei der Milchmenge, dem Fettgehalt, der Fettmenge und dem Proteingehalt zwischen der Kontroll- und Versuchsfütterung. Hingegen stellte das Forschungsteam einen numerischen Rückgang der Milchleistung und einen signifikanten Rückgang der Milchproteinmenge auf einem Betrieb fest.

Angepasste Fütterung hat vielerlei Effekte, auch auf die Linderung von oxidativen Stress

Je nach Quelle können sich die Ammoniak-Emissionen bei der Anwendung der genannten Methoden tatsächlich um bis zu 11,2 % reduzieren. Effekte seien aber nicht nur hinsichtlich der reduzierten Emissionen feststellbar, sondern auch in anderen Bereichen. So hätte die proteinreduzierte Fütterung mit Zugabe von pansengeschützten Aminosäuren wie Methionin einen positiven Effekt auf die Leberfunktion und auf die Linderung von oxidativem Stress in der Frühlaktation. Eine interessante Erkenntnis ist zudem, dass erhöhte Rohproteingehalte die Konzeptionsrate bei laktierenden Milchkühen reduzieren.

Nachteilige Auswirkungen bei der Fütterung von proteinreduzierten Rationen auf die Gesundheit oder die Fruchtbarkeit der Kühe werden keine erwartet. Ob sie sogar positive Effekte auf die Fruchtbarkeit der Kühe haben könnte, ist zur Zeit nicht klar.

In der Praxis umsetzbar

Der Versuch kam zu folgenden Schlüssen:

  • Eine proteinreduzierte Fütterung ergänzt mit pansengeschützten Aminosäuren ist in der Praxis umsetzbar.
  • Die Reduktion der Proteinzufuhr führt zu deutlich tieferen Milchharnstoffgehalten und Stickstoff-Ausscheidungen.
  • Eine Reduktion der Ammoniak-Emissionen um 10 % scheint realistisch zu sein.
  • Um negative Auswirkungen auf die Leistung auszuschliessen, dürfte die Berücksichtigung weiterer Aminosäuren als Lysin und Methionin, insbesondere Histidin, notwendig sein.