In vielen Viehherden, vor allem in der Mutterkuhhaltung, ist die Distanz zwischen Mensch und Tier gross. Die Kühe und Kälber sind es kaum gewohnt, sich berühren oder geschweige denn anbinden zu lassen. Doch gibt es Situationen, in denen ein Kontakt zwingend ist, etwa um Ohrenmarken anzubringen, oder für eine medizinische Behandlung. «Das Problem ist häufig, dass man als Mensch viel zu viel Druck macht, um die Kontrolle zu erlangen», stellte Philipp Wenz am 30. September 2025 an einem Strickhof-Fachabend fest. «Das Resultat ist dann ein Gegeneinander, das Stress verursacht.»
Position und Bewegung gezielt einsetzen
Als Philipp Wenz vor vielen Jahren als junger Betriebsleiter auf einem Mutterkuhbetrieb arbeitete, begann er, sich mit Low-Stress-Stockmanship (LSS) auseinanderzusetzen. Die Methode wurde vom US-Amerikaner Bud Williams in den 1950er-Jahren entwickelt und zielt auf ein effizientes und stressfreies Arbeiten mit Herdentieren ab. «Sie beruht darauf, die Kontrolle über die Tiere zu erlangen, indem der Mensch Position und Bewegung gezielt einsetzt», so Philipp Wenz, der im deutschen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern lebt und europaweit als selbständiger LSS-Coach tätig ist. Ein wichtiger Aspekt dabei sei das Treiben der Herde bzw. des Einzeltiers. Die fünf Grundsätze von Low-Stress-Stockmanship lauten:
- Die Tiere wollen sehen, wer sie treibt (was hinter ihnen ist, können sie nicht sehen).
- Die Tiere gehen dorthin, wohin sie schauen.
- Bewegung erzeugt Bewegung.
- Tiere haben wenig Geduld (bzw. eine kurze Aufmerksamkeitsspanne).
- Tiere sind ehrlich (bzw. haben keine Hintergedanken).
Nicht zu viel und nicht zu wenig Respekt
Die Arbeit von Low-Stress-Stockmanship bewegt sich zwischen den beiden Polen Vertrauen und Respekt (Nähe und Distanz). Beides sollte in einem angemessenen Ausmass vorhanden sein. «Zu viel Respekt mündet in Angst, was einen Angriff auslösen kann», so Philipp Wenz. Gefährlich könne es auch werden, wenn ein Tier zu viel Vertrauen habe und beginne, sich respektlos zu verhalten.
Die Methode geht zudem davon aus, dass jedes Tier unmittelbar um sich herum eine individuelle Beobachtungs- und eine Bewegungszone hat. Bei einem scheuen Rind sind beide Zonen gross. Das heisst: Kommt der Mensch zu nahe, wird es sich sofort wegbewegen. Bei einem sturen oder faulen Rind dagegen ist die Bewegungszone kleiner. Bei diesem ist mehr Druck nötig, um es von sich wegzutreiben. «Wichtig ist es, sofort aus der Bewegungszone herauszutreten, sobald sich das Tier in die erwünschte Richtung bewegt hat», erklärte Wenz. Die zeitnahe Druckreduktion wirke als Belohnung und habe somit einen Lerneffekt. «Daher ist es effizienter, das Tier etwas tun zu lassen, statt es mit Druck zu etwas zu bewegen.»
«Rinder sind sehr gute Beobachter und reagieren fein auf Veränderungen»
Philipp Wenz, Berater für Low-Stress-Stockmanship
Genau beobachten und reagieren
Dazu kommt laut dem Referenten, dass Rinder sehr gute Beobachter sind, die auf Veränderungen fein reagieren. Wenn das Tier anders als von uns geplant reagiert, liege es in der Regel am Menschen. «Daher ist es unsere Aufgabe, sehr genau zu beobachten und entsprechend zu reagieren», so Philipp Wenz weiter. Er empfiehlt, in einfachen Situationen mit dem Üben zu beginnen. Am besten auf der Weide, wo es genügend Platz hat. Der Berater ging zudem auf verschiedene Themen ein:
Einsatz der Stimme: Wenz rät davon ab, bei der Herdenarbeit auf die Stimme zu setzen. Zum einen seien Lockrufe weniger effizient als treibende Energie. Zudem würden Rinder bei lauter Stimme schnell nervös.
Verladetraining: Soll ein Rind in einen Anhänger steigen, sollte dies möglichst schon vorher in Ruhe geübt werden. Dasselbe gilt für das Führen in den Behandlungsstand.
Schlechte Erfahrungen: Rinder sind laut Wenz lernfähig. Auch wenn ein Tier z. B. beim Vorbesitzer schlechte Erfahrungen gemacht hat, kann es Vertrauen fassen und Neues dazu lernen.
Es braucht die volle Aufmerksamkeit
«Gewinnt man mehr Kontrolle über die Herde, steigt die Effizienz der Arbeit», bilanzierte Philipp Wenz. Auch mache ein Miteinander von Mensch und Tier mehr Spass. Zudem würden Alter, Geschlecht oder Rasse keine Rolle spielen. Grundsätzlich sei die Methode mit allen Weidetiere anwendbar, also etwa auch mit Schafen, Ziegen, Pferden oder Lamas. Ausserdem setze Low-Stress-Stockmanship kein bestimmtes Equipment voraus. «Alles, was es braucht, ist die volle Aufmerksamkeit des Menschen», ergänzte Wenz.
Weitere Informationen (mit Kursangebot) finden sich hier.