Die aktuelle Situation ist schwierig, aber nicht neu: Der Schweiz gehen mehrere Tierarzneimittel (TAM) aus. Die Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte (GST) hat bereits im Sommer darüber informiert, dass trotz vielfacher Bemühungen keine in der Schweiz zugelassenen Kalziuminfusionen mehr zur Verfügung stünden.

Keine Entschärfung

Die Lage auf dem TAM-Markt hat sich in den vergangenen Wochen und Monaten nicht entschärft. Im Gegenteil. Wie die BauernZeitung auf Nachfrage bei der GST erfahren hat, kann die in der Schweiz ansässige Firma Graeub AG immer noch keine Kalziuminfusionen liefern. Lediglich die Firma Biokema SA, mit Sitz in der Westschweiz, könne ein Präparat liefern, dieses allerdings in niedriger Dosierung. «Seit dem Sommer hält sich die Schweizer Tierärzteschaft mit Importen über Wasser», erklärt Patrizia Andina-Pfister vom Fachbereich Tierarzneimittel und Tierärztliche Tätigkeiten bei der GST.

Ein Problem an der aktuellen Lage ist, dass rechtlich gesehen erst Importe erlaubt sind, wenn es in der Schweiz nichts mehr gibt. Weil es aber stets einige Wochen dauert, bis ein Import organisiert ist, steht in der Zeit dazwischen kein Präparat zur Verfügung. «Bei einem Import kommt eine gewisse Menge von Präparaten ins Land, nachher muss ein neuer Import organisiert werden, vielleicht durch eine andere Firma», erklärt Andina-Pfister. Zudem würden sich die Präparate in der Zusammensetzung und Wirkung unterscheiden.

«Seit Sommer hält sich die Tierärzteschaft mit Importen über Wasser.»

Patrizia Andina-Pfister, Tierärztin bei der GST.

Grosser Mehraufwand

Weiter erschwerend ist, dass bei akutem Festliegen ein niedrig dosiertes Präparat nicht ausreichend sei, wie Patrizia Andina-Pfister erklärt. «Für die Tierarztpraxen heisst das demnach: Alle zwei bis drei Wochen versuchen herauszufinden, wo und ob es etwas gibt, damit man den Import nicht verpasst.» Praxen müssten zudem versuchen, das Lager zu füllen. Weiter müssten sie bei den neuen Präparaten die richtige Dosierung herausfinden und die Verträglichkeit testen, sagt sie. Das geht mit einem immensen Zusatzaufwand und gewissen Unsicherheiten einher.

Eine der Ursachen für die Mangellage ist ein laufendes Verwaltungsverfahren, von dem die Produktion der Tierarzneimittel-Firma Dr. E. Graeub AG betroffen ist. Es geht um gestiegene Anforderungen im Produktionsbereich. Auf Anfrage der BauernZeitung sagt CEO Matthias Knörri, dass erst im Januar mit Neuigkeiten zu rechnen sei. «Wir tun uns immer noch schwer, die gestiegenen Anforderungen zu erfüllen», erklärt er.

Heikle politische Lage

«Wir appellieren inständig an die Regionalen Inspektorate Nordwestschweiz, eine Lösung zu suchen, damit uns die Firma Graeub AG wieder mit Tierarzneimitteln beliefern kann», sagt Patrizia Andina-Pfister zur aktuellen Situation. Der andauernde Zustand sei indes unerträglich für die Nutztierärzteschaft. «In der heutigen politischen Lage dürfen inländische Veterinärpharmafirmen, die noch Tierarzneimittel produzieren, nicht zum Verschwinden gebracht werden, das läuft gegen den Willen der Gesellschaft», ist die Tierärztin sicher.

Wir wollten von ihr wissen, bei welchen Tierarzneimitteln es denn aktuell zu Engpässen kommt. Laut ihren Aussagen fehlen aktuell wieder diverse Präparate, unter anderem Selen oder Xylazin (mit 50-ml-Fläschchen; es sind nur noch kleine Fläschchen erhältlich). Die Schweizer Böden sind arm an Selen. Ein Mangel am lebensnotwenigen Spurenelement kann in Betrieben zu vermehrten Spätaborten und schwachen Kälbern führen. «Über das Futter kann in gewissen Situationen nicht alles ersetzt werden», weiss die Tierärztin.

Enthornen und Kastrieren

Xylazin ist ein wichtiges Mittel zur Sedation bei Nutztieren. Die Tierärzte brauchen es z. B. beim Enthornen oder Kastrieren. Hier stellt sich aktuell die Frage, wie lange die 20-ml-Gebinde noch erhältlich sind. Auch dort habe das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (noch) keinen Import erlaubt und es bestehe das Risiko, dass es zu einem kompletten Versorgungsengpass komme.

Es fehlt laut Andina-Pfister aber auch an Euterinjektoren. «Es sind fast keine mehr erhältlich», sagt sie.

Die GST sei im Gespräch mit den zuständigen Behörden, namentlich dem BLV, der Swissmedic, dem BWL sowie auch der Industrie. «Das Ziel ist, dass die Tierärzte und die Tiere ihre Medikamente haben und gleichzeitig die Wirksamkeit und die Sicherheit nicht vernachlässigt werden», so Andina-Pfister.

Wenn nicht verfügbar

Tierärztinnen und Tierärzte können laut Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) im Ausland zugelassene Arzneimittel einführen, wenn in der Schweiz für die Behandlung keine geeigneten Mittel zugelassen und verfügbar sind. Dafür melden sie dem BLV geplante Importe respektive beantragen eine Bewilligung für den Import. Diese wird erteilt, wenn die Kriterien nach der Tierarzneimittelverordnung (TAMV) erfüllt sind. «Ablehnungen waren in der Vergangenheit meist darin begründet, dass geeignete Alternativen auf dem Schweizer Markt zugelassen und verfügbar waren», heisst es beim BLV.


Das will die GST

Die Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte fordert aufgrund der aktuellen Mangellage im Bereich der Tierarzneimittel Folgendes:

  • Meldeplattform: Eine zuverlässige Meldeplattform für Lieferengpässe bei den lebensnotwendigen Tierarzneimitteln innerhalb der nächsten zwei Jahre und die Hilfe bei der Suche nach Alternativen im Ausland.
  • Weitere Anpassungen beim Import: Importe sollen möglich sein, wenn die Lager der Firmen den normalen Bedarf von zwei Monaten unterschreiten. Sammelimporte und deren Bewerbung sollen ermöglicht werden.
  • Anforderungen: Ein Überdenken von qualitativen Anforderungen, das heisst eine Prüfung der Sterilität von Endprodukten und Grundstoffen an Tierarzneimitteln. Eine Produktion in der Schweiz muss sich noch lohnen können.
  • Versorgungs-Initiative: Die GST unterstützt offiziell die Versorgungs-Initiative. Sie fordert auch die Tierhaltenden auf, sich zu engagieren und zu unterschreiben, damit etwas geschehe.

Die Versorgungs-Initiative

Vom akuten und ansteigenden Medikamentenmangel in der Schweiz ist auch die Veterinärmedizin betroffen. Die Volksinitiative «Ja zur medizinischen Versorgungssicherheit» will das Problem angehen.

Hauptschuldiger sei der jahrelange und massive Preisdruck auf Medikamenten und anderen medizinischen Gütern, sodass diese nicht mehr in der Schweiz oder im europäischen Ausland produziert werden konnten, sagt das Initiativkomitee. Medikamente der Grundversorgung (z. B. Antibiotika) würden mittlerweile beinahe ausnahmslos in asiatischen Ländern wie Indien und China hergestellt.

Doch die dort ansässigen Firmen seien keine zuverlässigen Lieferanten. Es bestehe deshalb dringender Handlungsbedarf. Durch Annahme der Initiative sollen unter anderem die Erforschung, die Entwicklung und die Herstellung von wichtigen Heilmitteln in der Schweiz gefördert werden.

Weitere Informationen unter: www.versorgungsinitiative.ch/initiative 

Kommentar: Nicht auf Asien setzen

Die Tierhalterinnen und Tierhalter in der Schweiz haben ein ernstes Problem. Im Moment merken sie zwar noch relativ wenig davon. Vielleicht ist ihnen aufgefallen, dass sie das letzte «Eutertübeli», das ihnen der Tierarzt verschrieben hat, bislang noch nie in den Händen hielten. Der Grund dafür ist ein einfacher: Der Schweiz gehen mehrere Tierarzneimittel aus. Darunter auch Euterantibiotika.[IMG 2]

Die Diskussion um die Versorgung der Schweiz mit Medikamenten ist nicht neu, spitzt sich aber immer mehr zu. Und dabei ist die Versorgung mit Tierarzneimitteln im Grunde nur ein Nebenschauplatz. Auch in der Humanmedizin fehlen Mittel. Und deren Anzahl ist beängstigend. Zurzeit fehlen etwa 1000 unterschiedliche Medikamente.

Zu wissen, dass es noch weitaus schlimmer ist, dass die Bevölkerung der Schweiz unter Umständen medizinisch ungenügend versorgt ist, entbindet aber die Nutztierbranche nicht von der Verantwortung, sich um eine angemessene Versorgung mit Tierarzneimitteln zu kümmern.

Die Überregulierung, mit der alle zu kämpfen haben, seien es Tierärzte, Naturheiler, Therapeuten oder Drogisten, muss zielführend bekämpft werden. Weiter darf sich die Schweiz nicht auf eine Produktion in China oder Indien abstützen. Das sind definitiv keine verlässlichen Partner. Der Weg führt nur über die Selbstversorgung – auch in der Tiergesundheit, sonst droht ein ernstes Tierschutzproblem. s.barth@bauernzeitung.ch