«Der Gedanke an den drohenden Wegzug aus Mitholz belastet uns sehr», sagt Ursula Künzi mit leiser Stimme. Zusammen mit ihrem Mann Samuel und den drei Kindern bewirtschaften sie den grössten Landwirtschaftsbetrieb im Dorf. Weil ihr Zuhause in unmittelbarer Umgebung zum Eingang des ehemaligen Munitionsdepots liegt, müssen sie Heim und Hof bereits bis 2025 verlassen – fünf Jahre früher als viele andere Bewohner von Mitholz.
Evakuation ist alternativlos
Im Dezember 2020 beschloss der Bundesrat, dass er an den Räumungsplänen für das Munitionsdepot und der damit verbundenen Evakuation des Dorfes Mitholz festhält. Bis 2030 soll die Bevölkerung das Dorf verlassen haben und voraussichtlich über einen Zeitraum von 20 Jahren fernbleiben. Die Mitholzer Bevölkerung reagierte auf den Regierungsentscheid mit einem offenen Brief an die Bundesrätin und Verteidigungsministerin Viola Amherd.
Die Einwohner baten Amherd eingehend, keine weiteren Schritte zu unternehmen, die eine Evakuation über Jahrzehnte zur Folge hätten. Die Antwort der Chefin des VBS fiel mitfühlend, aber bestimmt aus: An der Evakuation des Dorfes Mitholz führe kein Weg vorbei.
Gefährliche Altlasten
Der Bund weiss, weshalb er die Bevölkerung von Mitholz während der Räumung zum Umzug verdonnern muss. Nach dem Zweiten Weltkrieg lagerte die Armee rund 7000 Tonnen Munition verschiedenen Kalibers in einer ausgedehnten Stollenanlage bei Mitholz ein. Bereits 1947 kam es zu einem verheerenden Unglück: Ein Teil der in scharfem Zustand eingelagerten Munition explodierte, wodurch eine ganze Bergflanke ins Tal stürzte.
Das Dorf wurde im Hagel aus Geröll und Sprengstoff vollständig zerstört; was nicht zertrümmert wurde, ging in Flammen auf. Neun Menschen verloren in diesem Inferno ihr Leben. Dank rascher und unbürokratischer Hilfe konnte die Dorfbevölkerung jedoch bereits zwei Jahre später in neu gebaute Häuser einziehen. Auch der Bunker wurde weiter als Truppenunterkunft und Lager für die Armeeapotheke genutzt. Obwohl Teile der übrig gebliebenen Munition im Nachgang des Unglücks geräumt werden konnten, verbleiben in den Schuttkegeln und eingestürzten Anlageteilen noch immer rund 3500 Tonnen scharfer Sprengstoff. Untersuchungen in der Vergangenheit ergaben, dass von diesen Resten nur geringe Gefahr ausgehe. Diese Annahme wurde allerdings durch eine erneute Risikoanalyse im Jahr 2017 entkräftet: Äussere Einwirkungen wie etwa der Einsturz von Anlageteilen könnten weitere Explosionen verursachen, stellten die Experten fest. Eine Räumung sei unausweichlich.
Projekt in neuer Phase
Mitte Januar hat das VBS damit begonnen, erste Liegenschaften in Mitholz zu besichtigen, um sie anschliessend auf ihren Wert zu schätzen und die zum Umzug gezwungenen Dorfbewohner zu entschädigen. Rund 160 bis 170 Mitholzerinnen und Mitholzer sind von der drohenden Evakuation betroffen. Der Bund unterstütze die Familien bei der Suche nach einer neuen Bleibe, sagt Carolina Bohren, Sprecherin des VBS, auf Anfrage der BauernZeitung. So suche man etwa auch nach Lösungen mit Landwirtschaftsbetrieben auf Waffenplätzen des VBS. Noch unklar ist gemäss aktuellem Stand, was mit den landwirtschaftlichen Nutzflächen geschehen soll, wenn die Mitholzer Bauern dereinst weggezogen sind. Dies sei aktuell Gegenstand von Planungen, äussert sich Bohren. Die Kulturlandschaft solle aber auf jeden Fall erhalten bleiben, fährt sie fort, denn Mitholz soll nach der Räumung wieder bevölkert werden.
Die Sache mit der Heimat
«Heimat kann man nicht ersetzen», schrieb Viola Amherd am 1. Februar an die Mitholzer Bevölkerung. Doch auch das Ersetzen von Hab und Gut könnte sich als schwierig erweisen: Oberhalb des Munitionslagers besitzt Familie Künzi eine Wiese von zehn Hektaren. «Was mit dieser geschehen soll, wenn wir von hier weggezogen sind, wissen wir nicht», sagt Samuel Künzi. Ebenso wenig wissen sie, was mit ihren Kuhrechten und ihrem Alpbeizli auf der Üschinenalp geschehen soll. «Es kommt sicher darauf an, wo wir für die Zukunft einen neuen Betrieb finden werden», sagt Ursula Künzi. Sei ihre neue Heimat nicht mehr in der Umgebung von Mitholz, werde es auch schwierig, weiterhin ins Üschinetal z Bärg zu gehen.