«Ich war zu neugierig und wollte wissen, ob das frisch geborene Kalb ein Stierli oder eine Kuh ist. Dabei ignorierte ich die Signale der Mutter und sie drückte mich mit ihrem Kopf zu Boden. Mit Glück konnte ich mich unter dem Absperrgitter durchziehen. Danach setzte ich mich erstmals hin und zündete mir einen Stumpen an», sagt Reto Kubli und erzählt vom einzigen kritischen Erlebnis mit einer seiner Mutterkühe.
Der Landwirtschaftsbetrieb der Familie Kubli liegt in Netstal im Glarnerland und umfasst 38 Hektaren. Wer das Geschlecht Kubli im Internet eingibt, stösst rasch auf ein alteingesessenes Glarner Geschlecht. Der bekannteste unter den Kublis war Johann Melchior Kubli, ein Politiker der Helvetik und Gerichtsschreiber im Hexenprozess um Anna Göldi im Jahr 1782.
Zum Geburtstag die erste Angus
So weit reicht die Geschichte des landwirtschaftlichen Betriebs jedoch nicht zurück. Vor vier Generationen erwarb die Familie Kubli Stall und Land und begann mit Milchwirtschaft – wie damals üblich. 2010 wurde diese aufgegeben. 2016 erfolgte der Bau eines neuen Laufstalls und seit 2017 halten sie dort Angus-Mutterkühe.
«Das erste Angusrind bekam ich 2013 zu meinem 18. Geburtstag», sagt Reto Kubli. Während sein Vater Grauvieh bevorzugte, begeisterte er sich für die «Schwarzen». Heute hält er rund 95 Tiere der Rasse Angus: 30 Mutterkühe mit Kälbern, 30 Banktiere zur Ausmast und fünf Aufzuchtrinder. Von Januar bis Ende April läuft zudem ein Stier mit in der Herde.
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Organisation von Mietstieren
«Wie ein Stier gelaunt ist, erkennt man ziemlich schnell. Kühe sind meist schwieriger zu lesen. Ich betrete lieber eine Herde mit einem Stier als eine mit zehn Kühen, die frisch gekalbt haben», sagt Reto Kubli. Dass bei ihm ein Stier mitläuft, hat auch mit seiner Anstellung bei der ASF Tiervermarktung AG in Sursee zu tun, wo er unter anderem für Leasingstiere zuständig ist. Die Aufgabe der rund 45 Stiere ist, via Natursprung die Mutterkühe zu decken. Nach erfolgreicher Arbeit wechseln sie jeweils nach zwei bis drei Monaten Einsatz den Betrieb.
Landwirte schätzen diesen Service – auch wenn sie den Stier nur bedingt auswählen können. Logistisch wäre es zu aufwendig, wenn jeder wünschen könnte, welchen der 45 Stiere er möchte, wobei darauf geachtet wird, dass der richtige Stier am richtigen Ort zum Einsatz kommt. Bei älteren Stieren kommt es ab und zu mal vor, dass Reto Kubli ein Telefon von besorgten Landwirten bekommt. Sie sehen den Stier nämlich selten beim Springen und sorgen sich darum, dass die Kühe schlussendlich nicht tragen. Ihnen antwortet dann Kubli: «Die Jungen machen es mit der Quantität und die Älteren mit der Qualität.»
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Mutterkühe, Kälber, Absetzer
Eine Umstellung auf Mutterkuhhaltung verändert den Arbeitsrhythmus. Die Stallzeit nimmt ab, was mehr Flexibilität schafft. «Für mich war das ein sehr wichtiger Aspekt, den ich mittlerweile sehr schätze», sagt Kubli. Es lohne sich, frühzeitig zu überlegen, wie man die gewonnene Zeit sinnvoll nutzen möchte.
Wer auf Angus-Mutterkuhhaltung umstellen möchte, hat laut Reto Kubli drei Optionen:
- Kühe, Kälber, Absetzer: Die klassische Variante. Haltung von Mutterkühen mit ihren Kälbern, die im Alter von rund 10 Monaten von ihren Müttern abgesetzt, anschliessend in einer eigenen Gruppe bis zum gewünschten Schlachtgewicht von 270 bis 300 kg aufgefüttert werden.
- Kühe mit Kälbern: Besonders geeignet für Bergbetriebe mit eingeschränktem Platz oder begrenztem Grundfutter. Die Absetzer werden im Alter von 8 bis 12 Monaten verkauft und andernorts weiter gemästet.
- Ausmast von Absetzern: In dieser Produktionsform hält der Betrieb keine Mutterkühe. Stattdessen werden Absetzer zugekauft und bis zum gewünschten Gewicht ausgemästet.
«Es sind gutmütige und friedliche Tiere.»
Reto Kubli über seine Angus-Mutterkühe. Der Umgang mit ihnen basiere auf Respekt.
Neue Rhythmen und Finanzen
Ebenfalls deutlich spürbar sei der Unterschied im Betriebsablauf. Wer von der Milchviehhaltung auf Mutterkühe umstellt oder sie in die bestehende Herde integriert, müsse sich auf neue Rhythmen einstellen – insbesondere dann, wenn auch die Absetzer selbst ausgemästet werden.
Häufig erfolgt eine Umstellung im Zusammenhang mit einem Um- oder Neubau des Stalls. In dieser Phase ist die Liquidität angespannt; die finanzielle Lage verlangt Aufmerksamkeit. Es empfiehlt sich, genau zu planen, wie viele Muttertiere man zu Beginn anschaffen möchte.
Um die Liquidität zu schonen, rät Reto Kubli, einen Teil des Stalls mit Absetzern zu füllen, die nach sechs bis acht Monaten geschlachtet werden können. So fliesst bereits in kurzer Zeit ein erster Betrag in die Betriebskasse – und der gewünschte Bestand lässt sich Schritt für Schritt aufbauen.
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Swiss Black Angus
Reto Kubli produziert unter dem IPS-Label Swiss Black Angus. Die Anforderungen an die Haltung entsprechen im Wesentlichen jenen von IP-Suisse. Zusätzlich gelten spezifische Richtlinien des Swiss-Black-Angus-Labels, wie zum Beispiel, dass die Kälber mindestens acht Monate bei der Mutter bleiben müssen, bevor sie in eine separate Gruppe wechseln.
«Die Rasse ist genügsam und setzt schnell Fett an. Wer aber auf Vollmast setzt, braucht dementsprechend gutes Grund- und Raufutter», sagt Kubli. Über den Handel gelangen immer wieder Tiere zu ihm, die zu leicht und schwer vermittelbar sind. Diese «pushe» er gezielt mit einer Getreidemischung aus deklassiertem Getreide und Resten aus der Lebensmittelindustrie – ohne Soja. Im Sommer gehen die Kühe mit ihren Kälbern sowie die Aufzuchtrinder auf die Alp. Die Ausmastgruppe bleibt im Tal. Obwohl sie laut Label vom Weide-RAUS ausgenommen ist, darf sie bei den Kublis ebenfalls auf die Weide – ein Vorteil, den die arrondierten Flächen ermöglichen.
Besuch auf der Weide
Betritt man auf dem Betrieb die Weide, geht es nicht lange, bis einen die Angus-Kühe mit ihren Kälbern umringen. Sie wirken kompakt, muskulös, fast wie kleine Bodybuilder auf vier Beinen. Neugierig beobachten sie den Besucher mit ihren dunkelbraunen Augen, einige kommen näher und schnuppern an der Regenjacke, andere bleiben auf Abstand und muhen laut.
Im Hintergrund beobachtet der Stier Eros die Szenerie. Für ein Foto stellt er sich sogar in Pose. «Es sind gutmütige und friedliche Tiere. Ich mag sie sehr, kenne sie und sie kennen mich», sagt Kubli. Im Umgang mit ihnen brauche es Respekt und keine Angst, das merken sie schnell. Bei frisch geborenen Kälbern lässt er der Mutter heute mehr Zeit – und sich selbst auch.
Betrieb Kubli
Familie Kubli
Ort: Netstal GL
LN: 38 ha, davon 27 % BFF, alle Q2
Viehbestand: 30 Mutterkühe mit Kälbern, 5 Aufzuchtrinder, 30 Absetzer, 24 Pensionspferde