Heute (29.02.2020) geht am Schweizer Nationalgestüt (SNG) in Avenches VD die Körung der Freiberger Hengste über die Bühne. Das Nationalgestüt führt den 40-tägigen Stationstest zur Auswahl der Hengste durch, ist aber zugleich auch der grösste Kunde der Züchterschaft und kauft jedes Jahr drei bis vier Hengste. Heuer steht zum ersten Mal ein Schimmel im Fokus. Besteht er den Test, soll Hannael (Hydromel) aus dem Stall von Chantal und Guy Juillard-Pape, Damvant JU, in den Besitz des Nationalgestüts wechseln. Interesse an ihm hat die Pferdezuchtgenossenschaft Oberemmental kundgetan.

Auswahl in Absprache

Die BauernZeitung hat bei Ruedi von Niederhäusern, Leiter Gruppe Pferdezucht und -haltung am SNG, nachgefragt, wie und wann die Auswahl zur Hengstplatzierung getroffen wird. «Die Auswahl beim Ankauf der Hengste erfolgt in der Regel immer in Absprache mit den Pferdezuchtgenossenschaften, welche die entsprechende Deckstation betreiben», erklärt dieser. Zum einen könnten die Züchter ihre Wünsche anbringen, somit stünden auch die Chancen besser, dass der entsprechende Hengst auf Zuspruch trifft. Zum anderen habe aber auch das SNG einen eigenen Anforderungskatalog. Dabei würde auf Abstammung (Qualität und genetische Diversität), Erscheinungsbild und die Arbeitseinstellung des Hengsts geachtet. Ein wenig anders verhalte es sich bei der Stationierung der Althengste. «Hierzu werden die Genossenschaften, die einen neuen Hengst suchen, zum letzten Schautag im Herbst eingeladen. Sie suchen den Hengst aus, von dem sie das Gefühl haben, dass er auf ihre Stuten passt», so von Niederhäusern.

Bedrohte Linien

Bei der schweizweiten Stationierung der Gestütshengste fällt auf, dass fünf Linien (D, R, V, P und Q) auf den Stationen des Gestüts in der eben angelaufenen Decksaison gar nicht vertreten sind. Auf die Frage, warum keine Hengste dieser teils bedrohten Linien auf die Stationen ­gehen, erklärt Ruedi von Niederhäusern: «Das SNG besitzt sehr wohl Hengste der Linien D, R, V und P. Sie stehen den Züchtern auf der Deckstation in Avenches zur Verfügung.» Einzig die Q-Linie sei ausschliesslich über Gefriersamen verfügbar. Die Gründe, warum diese Hengste in Avenches stehen und nicht auf einer Deckstation, seien vielfältig, der Hauptgrund aber liege darin, dass die Zuchtgenossenschaften diese Hengste, obwohl in der Auswahl des Gestüts aufgeführt, nicht für ihre Deckstation auswählen.

Kommen gewisse Linien nicht mehr zum Einsatz, kann es doch dazu kommen, dass sie aussterben. «Vergesst die Mütter nicht!», mahnt Ruedi von Niederhäusern und ergänzt: «Die Q- sowie die N-Linie entspringen ein und derselben Mutter, nämlich Salome CH. Das heisst, wenn ich als Züchter einen N-Hengst einsetze, habe ich automatisch auch Q-Blut in meinem Fohlen.» Wenn heute von genetischer Diversität gesprochen werde, spiele die Diskussion rund um die Vaterlinien eine untergeordnete Rolle, ist er sicher. Mit dieser traditionellen Sichtweise auf die Abstammung würden konsequent die Mütter ausgeblendet, und damit rund die Hälfte der Pedigree-Information. Auf die Frage, ob es denn sinnvoll sei, in der Freibergerzucht derart stark auf Vaterlinien abzustützen, erklärt von Niederhäusern, dass es sich dabei um eine gewachsene Tradition handle. «Es wird schwierig, die Züchter dahingehend zu sensibilisieren, dass der Buchstabe des Vaters nur ein Bruchteil der Wahrheit ist», sagt er. Einen Sinneswandel in der Züchterschaft erhoffe man sich vom Anpaarungsprogramm «virtuelles Fohlen».

 

Das virtuelle Fohlen

«Welcher Hengst passt zu meiner Stute?» Um diese Frage beantworten zu können, wurde am SNG ein virtueller Anpaarungsplan entwickelt. «Ein einfaches Tool zur Berechnung der Verwandtschaftsverhältnisse sowie der Zuchtwerte der Anpaarungen», sagt Ruedi von Niederhäusern. Er ist sicher, würde jeder Züchter das Instrument konsequent anwenden, «könnten wir in den nächsten Jahrzehnten den durchschnittlichen Verwandtschaftsgrad innerhalb der Population stabilisieren. Die Züchter haben es in der Hand.»