Die Exterieurbeurteilung gehört in der Pferdezucht zu den allerwichtigsten Instrumenten. So basiert auch die Auswahl der Freiberger (FM) Zuchthengste zu einem bedeutenden Anteil auf der Bewertung der äusseren Merkmale. Dabei wird grosses Augenmerk auf die Gangqualität der Pferde gerichtet. Eine Studie hat jüngst ans Tageslicht gebracht, dass die Übereinstimmung zwischen den einzelnen Richtern in der Beurteilung des gleichen Pferdes allerdings relativ niedrig ist.
Am heutigen Samstag (11. Januar 2020) findet in Glovelier JU die Nationale Hengstselektion statt. Dann wurden wiederum aufgrund der Exterieurmerkmale die zukünftigen Beschäler für die Rasse ausgesucht. Welchen Einfluss hat nun aber die eher tiefe Übereinstimmung der Beurteilung durch die Richter auf das Resultat, das morgen Abend bekannt gegeben wird? Die BauernZeitung hat nachgefragt.
Sie haben eine Arbeit verfasst zum Thema Richterübereinstimmung bei der Beurteilung der Gangqualität von Freibergerhengsten. Wie lief diese Arbeit ab?
Annik Gmel: Für die Studie zum Thema Richterübereinstimmung hatten wir 24 Freiberger Hengste zur Verfügung. Diese Hengste wurden einer Gruppe von sieben Rassenrichtern in der traditionellen Weise vorgeführt (im Dreieck, wie an der nationalen Hengstselektion in Glovelier). Die sieben Rassenrichter haben dann diese Hengste benotet. Die Noten wurden untereinander verglichen, um zu bestimmen, ob ein Pferd von allen Richtern dieselbe Note bekommt beziehungsweise, wie stark die Abweichung zwischen den Richtern ist. Das statistische Ergebnis aus diesem Vergleich nennt man Übereinstimmung.
Welche Resultate hat die Studie hervorgebracht?
Statistisch gesehen war die Übereinstimmung zwischen den Richtern, die dieselben Pferde zur selben Zeit gesehen haben, relativ niedrig. Andererseits waren die Übereinstimmungswerte nicht deutlich niedriger als jene, die zwischen Tierärzten bei Lahmheitsuntersuchungen publiziert wurden.
Welche Schlüsse können daraus gezogen werden?
Es ist für den Menschen aufgrund der Geschwindigkeit der Bewegungsabläufe grundsätzlich schwierig, Details zu erkennen. Historisch wurde ja zum Beispiel die Serienfotografie im 19. Jahrhundert von Eadweard Muybridge entwickelt, um die Bewegung von trabenden und galoppierenden Pferden detailliert aufnehmen und studieren zu können. Es ist also in gewisser Weise natürlich, dass die Übereinstimmung zwischen den Richtern nicht perfekt ist.
Was heisst das für die Richterbeurteilung?
Im Prinzip haben wir in der Richterbeurteilung der Gangqualität das gleiche Problem wie bei der veterinärmedizinischen Lahmheitsuntersuchung. Daher sollten wir uns von den Fortschritten in diesem Bereich inspirieren lassen. Einerseits sollten wir die Ausbildung und Merkmalsdefinitionen ausbauen, um die Übereinstimmung zu verbessern und unsere Richter so besser zu unterstützen. Andererseits sollten wir auch technologische Lösungen suchen, um die kleinen Details besser erfassen zu können, die dem menschlichen Auge verborgen bleiben. Kombiniert sollte so die Zucht dauerhaft unterstützt werden.
Die Grundlage der Studie
Annik Gmel hat eine Studie verfasst zum Thema «Richterübereinstimmung bei der Beurteilung der Gangqualität von Freibergerhengsten.» Die BauernZeitung hat sie gefragt, wie es zu dieser Arbeit kam und wer diese in Auftrag gab. Mehr dazu lesen Sie hier.
An der Präsentation Ihrer Arbeit am Inforama Rütti in Zollikofen BE, sagten Sie: «Nicht für alle Richter ist die Note 6 das Gleiche.» Wie kommen Sie zu diesem Schluss?
Wir haben in unserer Studie festgestellt, dass nicht alle Richter die Notenskala von 1 bis 9 voll ausnutzen. Hat beispielsweise Richter A als geringste Note eine 1 vergeben, Richter B aber eine 4 als geringste Note, dann ist die 4 von Richter A nicht mit der 4 von Richter B vergleichbar.
Die Übereinstimmung der Richter war beim Raumgriff im Schritt am besten, die Regelmässigkeit und Harmonie im Trab am schlechtesten, wie erklären Sie sich das?
Ich denke, das hat mehrere Gründe. Hauptsächlich würde ich sagen, dass Raumgriff als Merkmal besser verstanden wird. Die Definition ist klarer, und die Übereinstimmung ist dadurch höher. Regelmässigkeit und Harmonie sind schwieriger zu definieren. Unter Regelmässigkeit kann man Taktreinheit, Bewegungssymmetrie oder die gangarttypische Bewegungskoordination zwischen den Gliedmassen verstehen. Harmonie ist noch verschachtelter, im Prinzip ist die Harmonie eine Vielzahl von Merkmalen, die im idealen Zusammenspiel ein harmonisches Gesamtbild abgeben. Daher ist ein zukünftiges Forschungsziel, besser definieren zu können, welche Merkmale besonders relevant sind, um die Richterbeurteilung vereinheitlichen zu können.
Kann aufgrund der Resultate gesagt werden, dass diese Beurteilung der Hengste sehr subjektiv ist und von jedem Richter etwas anders gemacht wird?
Die Subjektivität und somit die Art der Bewertung der einzelnen Richter liegt, wie vorgängig erklärt, in der Natur der Sache und kann in einem gewissen Masse als normal bezeichnet werden. Schon heute versucht der Schweizerische Freibergerverband SFV mittels Ausbildung die Richter so gut wie möglich zu kalibrieren. Zudem setzt der SFV anlässlich der Nationalen Hengstselektion ein Richtergremium bestehend aus drei Rassenrichtern ein, um die negativen Effekte der subjektiven Einzelbeurteilung auf ein Minimum zu reduzieren.
Weiterbildung der Rassenrichter: Koller und Wüthrich bislang ohne Kurs
Die Rassenrichter der Freiberger besuchen jährlich eine zweieinhalbtägige Weiterbildung. Zwei Richter haben den Kurs jedoch noch nie besucht. Mehr dazu lesen Sie hier.
Kann die Beurteilung aufgrund Ihrer Arbeit als ineffizient für die Zucht beurteilt werden?
Ich denke nicht, dass man das so formulieren darf. Die Beurteilung hat in dieser Form seit 1961 Bestand, die Rasse hat sich bewusst verändert, um den Marktanforderungen besser zu entsprechen. Der Zuchtfortschritt ist, dank der Arbeit der Züchter(innen) und der Richter, deutlich ausgewiesen. In der Gesamtheit der Fragestellung dürfen wir den technischen Fortschritt nicht ausser Acht lassen; es ist erst seit wenigen Jahren möglich, so präzise Messungen und Analysen zu machen.
Was muss der Freiberger-verband Ihrer Ansicht nach nun tun?
Meiner Meinung nach handelt der SFV genau richtig. Unser gemeinsames Forschungsprojekt hat Problempunkte hervorgehoben. Nun arbeiten wir (SFV, Agroscope – Schweizer Nationalgestüt und Vetsuisse) in den kommenden Jahren weiterhin zusammen, um die Problempunkte zu minimieren oder sogar zu eliminieren. Wir sind im Moment in der Entwicklungsphase eines Sensormesssystems, das den Bewegungsablauf der Pferde beispielsweise während einer Vorführung messen kann. Damit können wir weiter erforschen, welche Bewegungsmuster für die Zucht besonders relevant sind. Zusätzlich könnten die Messungen die Richter in ihren Entscheidungen unterstützen, wie der Videobeweis beim Fussball. Der Freibergerverband ist europaweit Spitzenreiter in der Forschung rund um die Zucht, um das beste Pferd zu züchten, und das zudem mit dem Schweizer Qualitätssiegel.