Die Koexistenz zwischen Wolf, Mensch und Kulturlandschaft wird immer konfliktreicher. Stand der Dinge 2022:
- 455 Wolfsrisse an Schafen und Ziegen, 4 gerissene Rinder und ein Lama in Graubünden. Auch wurden 10 verhaltensauffällige Mutterkuhherden gemeldet. Immer mehr gibt es auch Nahbegegnungen mit dem Wolf – letzthin am 6. Oktober in Furna, zwischen einem vierzehnjährigen Jugendlichen und einem Wolf.
- Im Kanton St. Gallen mussten 50 Schafe und Ziegen sowie ein Rind dran glauben.
- In Glarus waren es 76 Schafe, ein Schaf stürzte ab und vermisst wurden 16 Schafe. Auch zehn Ziegen fanden durch den Wolf den Tod, eine Ziege wurde vermisst.
Schaf- und Rinderalpen
Die Konferenz der Gebirgskantone reagiert und hat im September Grundlagenpapiere zum Herdenschutz, zum Schutz der Kulturlandschaft und zum Wolfsmanagement veröffentlicht. Thematisiert wird der Rückgang der Kleinviehalpung durch die Wolfpräsenz, zudem wird die Befürchtung geäussert, dass aufgrund der Übergriffe auf Rindvieh auch Kuhalpen aufgegeben werden.
Verschärft der Wolf den Strukturwandel und führt gar zur Aufgabe vieler Alpbetriebe? Antworten soll die Doktorarbeit von Steffen Mink liefern, die er an der Agrarökonomietagung vorstellte. «Nein, so kategorisch kann man das nicht sehen», sagte Mink. Er führte zahlreiche Interviews mit Landwirten, Alpmeistern und landwirtschaftsnahen Experten. Dazu kam eine Umfrage unter 2000 Landwirten und Alpbewirtschaftern sowie Modellrechnungen, die auf Zahlenmaterial bis 2020 basierten.
Druck auf Kleinviehalpen
Die Umfrage zeigte, je höher die Belastung durch die Wolfspräsenz und Nutztierrisse ist, desto eher überlegten sich Betriebsleiter, die Alpbewirtschaftung aufzugeben. Einen statistischen Effekt zur Betriebsaufgabe war aber nur bei Alpbetrieben mit bis zu 35 NST erkennbar.
«Abgesehen von kleinen Alpbetrieben war in Gemeinden mit Wolfsrissen im Vergleich zu solchen ohne Risse kaum eine erhöhte Aufgaberate festzustellen», erklärte Mink. Was sich änderte, war die Nutztierzahl. In Jahren mit Rissen gab es frühzeitige Abalpungen, dadurch sank die Zahl der NST. Im Folgejahr erreichten die Zahl der NST nicht wieder das vorherige Niveau.
Bezüglich des Strukturwandels gäbe es Faktoren, die um einiges bedeutsamer seien als der Wolf, fügte Mink an. Den grössten Einfluss hatte die Agrarpolitik, und zwar im positiven Sinne, da durch die AP 14-17 deutlich mehr Geld für die Sömmerung gesprochen wurde. Die Sömmerung wurde dadurch attraktiver.
Kritischer Zeitpunkt
Mink ist sich des gegenwärtigen Konfliktpotenzials mit dem Wolf bewusst und spricht von einem kritischen Zeitpunkt: «Bisher ist der Effekt des Wolfs zwar sichtbar, aber sehr gering. Was gegenwärtig punkto Verbreitung der Wölfe und Nutztierrisse passiert, zeigt sich punkto Strukturwandel erst in einigen Jahren.»