Tierärzte sind wichtige Vertrauenspersonen auf einem Betrieb. Die Tätigkeiten und das Umfeld verändern sich aber laufend. In der Zentralschweiz und im Aargau bestehen heute meist Gemeinschaftspraxen. Der Zentralschweizer Präsident erläutert die aktuelle Situation.
Wie bewältigen die Zentralschweizer Tierärzte die aktuelle Situation rund um Corona?
Stefan Birrer: Wir spüren wenig Auswirkungen und haben nur wenig Einschränkungen wegen Corona. Wir achten aber darauf, dass Kunden nur wenn nötig zu uns in die Praxis kommen. So sollten Medikamente zum Abholen vorbestellt werden, so können wir sie bereitstellen. Und wir tragen in der Praxis natürlich Masken und achten darauf, dass nicht zu viele Personen anwesend sind. Teilweise werden in Gemeinschaftspraxen auch separate Teams gebildet, damit nicht alle gleichzeitig ausfallen würden. Von Kunden erwarten wir, dass sie sich melden, wenn es in der Familie Corona-Fälle gibt. Wir haben bei Besuchen auf Bauernhöfen auch schon erlebt, dass anwesende Personen eigentlich in Isolation sein sollten. Aber gleichwohl ohne dies zu erwähnen, ungeschützt im Stall dem Tierarzt assistierten.
Wie gehen Sie mit solchen Fällen um?
Wir erwarten schon, wenn der Tierarzt auf einen Hof gerufen wird, dass Corona-betroffene Personen nicht anwesend sind, sondern eben bei Bedarf eine Stellvertretung organisiert wird. In vielen Fällen ist eine Anwesenheit auch gar nicht nötig, wenn wir wissen, um was es bei welchem Tier geht. Da genügt die telefonische Kommunikation.
Zur Person, Stefan Birrer
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Die AG für Tiergesundheit ist eine tierärztliche Praxisgemeinschaft mit Sitz in Gunzwil. Beschäftigt sind fünf Tierärzt(innen) im Nutzviehbereich und zwei für Kleintiere, dazu Assistenz- und Büropersonal. Die AG führt noch selber einen Schweinezuchtbetrieb und die Tierärzte sind teils auch als Lehrbeauftragte an Schulen tätig. Praxismitinhaber Stefan Birrer ist Präsident der Zentralschweizer Tierärzte. [IMG 2][IMG 2]
Die Tätigkeit der Tierärzte hat sich in den vergangenen Jahren verändert.
Ja, das ist so. Allerdings ist dies je nach Praxis unterschiedlich. Es gibt Gebiete, wo die Nutztierhalter inzwischen viel selber machen, so Routinebehandlungen wie Kälber enthornen oder Behandlung von entzündeten Vierteln bei Kühen. Anderswo wird auch dafür meist der Tierarzt beigezogen. So wird im Berggebiet eher nach dem Tierarzt gerufen als im Talgebiet. Allerdings hängt dies auch mit den Betriebsstrukturen und Bestandesgrössen zusammen. Je mehr Tiere, desto professioneller werden die Bauern und sie bekommen bei häufigen Behandlungen auch Routine. Gerade bei jungen Bauern stellen wir fest, dass sie eher selber behandeln wollen.
Hat denn auch die Kenntnis, auch dank der Ausbildung, rund um Tiere zugenommen?
Nein, das stellen wir nicht fest. Das Wissen über Tiere ist sicher nicht grösser geworden, und die Vermittlung hat an den Landwirtschaftsschulen ein konstant tiefes Niveau. Gerade im Bereich Schweinegesundheit wird an den Luzerner Schulen wenig gelehrt, eigentlich bedenklich wenig in Anbetracht der grossen Bedeutung der Schweinehaltung hier.
Aber wenn ein Bauer eben 100 Kühe hat, treten die gleichen Probleme häufiger auf als bei nur zehn Kühen. Eine Spritze setzen kann jeder selber. Und die Landwirte sind sicher besser aufgeklärt, welche Medikamente wofür einzusetzen sind. Dank der ganzen Medikamentenkontrolle haben wir auch die bessere Übersicht, was im Stall passiert.
Wo liegen die Grenzen, wenn der Bauer selber zum Tierarzt wird?
Die Grenzen gibt es, und wir sehen schon Beispiele, wo Tiere nicht oder falsch therapiert wurden und wir dann erst spät oder zu spät beigezogen werden. Es ist sicher feststellbar, dass das Kosten-Nutzen-Verhältnis bei Nutztieren heute anders gewichtet wird. Das heisst, die Bereitschaft für Behandlungen sinkt, wenn dies zu teuer wird oder nicht erfolgversprechend ist.
Bei hohen Schlachtviehpreisen lohnt es sich teils auch gar nicht mehr, noch zu viel in ein Tier zu investieren. Da wird eher ein neues zugekauft. Gerade bei Kaiserschnitt stellt sich häufig die Frage, ob dieser gemacht werden soll oder die Kuh geschlachtet und ersetzt wird. Das ist bezüglich Kosten fast ein Nullsummenspiel.
Dann wird also stark auf die Kosten geachtet?
Das Kotenbewusstsein ist sicher grösser geworden. Allerdings stellen wir fest, dass dies bei vielen Bauern verschieden gehandhabt wird. Bei Traktoren ist es fast egal, was der kostet, aber der Tierarzt ist immer zu teuer.
Auch Buchhaltungsstellen haben die Tendenz, dass die Tierarztkosten genau unter die Lupe genommen werden. Bei viel grösseren Kostenstellen wie eben Maschinen wird weniger hingeschaut. Viele Bauern lieben eben grosse Traktoren …
Ist der «Internet-Doktor» bei der Tiergesundheit auch bereits ein Thema, also dass die Tierhalter kritischer sind und es besser wissen wollen?
Das kommt vor, hängt aber auch damit zusammen, dass auf den Höfen eben viele «Berater» unterwegs sind. Der Futtermittelberater, Mineralstoffverkäufer, Klauenpfleger und andere, welche den Bauern Tipps geben. Auch Weiterbildungen können Erwartungen wecken, die nicht immer gerechtfertigt und erfüllbar sind.
Hat sich die Gesundheitsprophylaxe verbessert, also die Vorbeugung durch bessere Zucht, Haltung, Fütterung der Tiere?
Das ist feststellbar, ja. Gerade im Schweinebereich wird mehr auf das Betriebsmanagement geachtet. Beim Rindvieh besteht noch mehr Handlungsbedarf, obwohl auch hier beim Bauen und in der Fütterung viel erreicht wurde. Ein grosses Problem ist der Kälberbereich, da wird viel geredet, man spürt aber kaum Verbesserungen.
Wo liegt das Problem?
Der ganze Kälbermarkt ist völlig falsch aufgestellt, so gibt es kaum gesündere Tiere. Kälber müssten auf den Ursprungsbetrieben schwerer werden, statt leichte Tränker von vielen Betrieben herumzutransportieren und auf Mastbetrieben zusammenzumischen. Zwar ist das Bewusstsein vorhanden, bewegt hat sich aber kaum etwas. Ich gehe davon aus, dass der Druck sicher zunehmen wird, wenn demnächst die konkreten Zahlen publiziert werden, wie hoch der Antibiotikaeinsatz explizit in der Kälbermast ist, wegen der Medizinierung beim Einstallen. Kalbfleisch wird stark unter Druck kommen.
Haben Sie Tipps für Bauern, wo generell für bessere Tiergesundheit anzusetzen ist?
Leistungsgerechte Fütterung bringt viel und auch eine gute Haltung. Licht und gute Luft im Stall sind wichtige Kriterien, da gibt es noch viele Mankos, gerade in der Kälberhaltung. Zuchtfortschritte wirken erst langfristig. So hat die Ödemresistenz bei Schweinen viel gebracht. Auch die Zucht auf tiefe Zellzahlen bei Kühen kann einiges bewirken. Die Haltung von Hochleistungstieren ist sehr anspruchsvoll geworden. Dabei geht es nicht mehr nur um das einzelne Tier, sondern um das Bestandesmanagement, zusammen mit dem Tierarzt. Da gibt es beim Rindvieh einen grossen Nachholbedarf.
Kommen wir noch auf das Umfeld für Tierärzte zu sprechen. Wie hat sich das entwickelt und ist der Nachwuchs gesichert?
Die Strukturen haben sich je nach Region teils stark verändert. Im Kanton Luzern und auch in der Innerschweiz gibt es kaum mehr Einzelpraxen von Tierärzten. Meist sind es hier Gemeinschaftspraxen, oder dann mit Einsatz von Angestellten. Da sind wir hier und der Humanmedizin einiges voraus.
Junge Tierärzte gibt es viele, erfahrene zu finden ist hingegen nicht so einfach. Für Einsteiger sind Gemeinschaftspraxen eigentlich ideal, so kann von der Erfahrung der mehrjährig Tätigen profitiert werden.
Dann sind Wochenendablösungen auch weniger ein Problem?
Gemeinschaftspraxen sind meist dauernd erreichbar. Da wird intern geregelt, dass für Notfälle dauernd jemand verfügbar ist. In Randregionen kann das noch etwas anders sein, wenn Praxen übers Wochenende geschlossen sind. Da ist es wichtig zu wissen, wer die Stellvertretung macht. Dies ist aber mit telefonischen Banddurchsagen gewährleistet.
Haben Sie Anliegen zum Schluss?
Wie erwähnt wird die umfassende Bestandesbetreuung immer wichtiger. Dabei sollten alle Involvierten einbezogen werden, von Futtermittelberatern bis zu Vermarktern. Es braucht ein gemeinsames Vorgehen, statt
bei Gesundheitsproblemen der Nutztiere den Schwarzpeter hin und her zu schieben. Mehr Kostentransparenz wäre mir auch ein persönliches Anliegen. Unsere Kosten sind klar ausgewiesen, wenn wir auf den Betrieb kommen. Beim Futtermittelberater ist die Dienstleistung auch nicht gratis, aber eben in den Futterkosten enthalten.