«Wenn die Sonne scheint, blenden die weissen Gänse richtig, dann brauche ich fast eine Sonnenbrille», erzählt Ueli Niederhauser aus dem bernischen Mittelhäusern lachend, als seine Tiere über die Wiese auf ihn zu watscheln. Kaum haben sie seine Stimme gehört, kommen sie zutraulich heran, knabbern an seinen Schuhen, melden sich lautstark zu Wort. Doch bald ist auch die Badewanne interessant und einige Tiere planschen trotz der Kälte ausgiebig im Nass.
Mit Vollgas dem Erfolg entgegen
Was aussieht wie ein Paradies, ist auch das Ergebnis von viel Durchhaltewillen: «Wenn du in der Schweiz was Neues machen willst, dann musst du erstmal gegen sehr viele Widerstände kämpfen», blickt Ueli Niederhauser zurück. Obwohl er erst 2015 aus der Milchproduktion ausgestiegen ist und voll auf die Gans setzt, ist er weitherum als Gänse-Ueli bekannt. «Wir haben in Sachen Werbung Vollgas gegeben», erklärt er den Erfolg des Betriebszweigs, den er zusammen mit seiner Frau Esther aufgebaut hat. Keine leichte Aufgabe, denn die Gans geniesse in der Schweiz keinen guten Ruf: «Die Gans wird gestopft und lebt in Massentierhaltung, so ist die Meinung und dagegen sind wir angetreten», fasst er zusammen.
Import von Stopfleber
Die Gans hat als Festtagsbraten eine lange Tradition. Ihre Produktion ist jedoch wie kaum ein anderes Tier mit der industriellen Massentierhaltung verknüpft. Wie eine Stopfleber entsteht, weiss heute der Konsument. Deren Produktion ist in der Schweiz seit 40 Jahren verboten, Anträge für ein Importverbot scheiterten hingegen mehrfach im Parlament. Im März 2020 lancierte Nationalrat Martin Haab erneut eine Motion, um den Import von Stopfleber zu verbieten. Wiederum empfiehlt der Bundesrat deren Ablehnung. Die Räte haben noch nicht darüber befunden. Gerade in der Westschweiz ist die Stopfleber eine beliebte Delikatesse. So importierte die Schweiz 2019 ganze 200 Stopfleber. In den Jahren zuvor war es noch deutlich mehr, bis zu 300. So werden alleine für den Stopfleberbedarf der Schweizer Bevölkerung rund 600 00 Enten und Gänse gestopft, das heisst, gezielt überfüttert, indem ihnen Futter in den Magen gepresst wird, damit sich die Leber krankhaft verändert. Die Mehrheit davon wird in Frankreich produziert und von dort importiert.
Die Leidenschaft zu den Gänsen ist mehr als bloss ein Betriebszweig
Sein Betrieb ist nur 5,5 Hektaren gross, seine Ideen waren aber schon immer mutig. So hatte er die Idee, seine Kühe auf einen anderen Betrieb zu geben. Ein halbes Jahr bei ihm melken, mit zusätzlichen Tieren vom Partnerbetrieb, ein halbes Jahr beim anderen. Die Idee scheiterte zuerst an der fehlenden Flexibilität der landwirtschaftlichen Organisationen und der Milchverarbeiter. Aber im 1999 klappte dies dann doch. «Dann fragte ich, was fehlt in der Schweiz und passt auf meinen Betrieb?», erzählt der Gänse-Ueli. Und so wurden die Gänse nicht einfach ein neuer Betriebszweig, sondern eine grosse Leidenschaft von ihm und seiner Frau. Er fuhr immer wieder ins Ausland, um alles über die Haltung zu lernen. Auch seine Küken holt er in Deutschland über die Schweizer Gänse GmbH wo er auch beteiligt ist. Eine grössere Anzahl Küken in der Schweiz zu bekommen, sei schwierig. In Mittelhäusern werden rund 450 bis 500 Gänse gleichzeitig eingestallt. Geschlachtet werden sie nach und nach, für Fünfsternehotels und Spitzengastronomie, Private und ein paar gehen zu Coop und Migros. Der grösste Teil wird um Weihnachten geschlachtet und ist dann ein halbes Jahr alt.
Die glückliche Weidegans aus der Schweiz
Die Schweizer Gänseproduzenten sind im Verein Weidegans.ch organisiert. Die meisten Mitglieder halten kleine Herden von 20 bis 40 Tieren. Ueli Niederhauser ist einer der grössten Produzenten von Weidegänsen in der Schweiz. Einige wenige Produzenten halten auch Zuchttiere und produzieren damit Bruteier. 1549 Gänse wurden 2019 mit dem Weidegans-Gütesiegel vermarktet.
Wasser ist aufwendig
Neben grossen Stallungen und täglich Weide fordern die Vorschriften für die Weidegans-Produktion auch eine genügend grosse Wasserfläche, damit die Tiere artgerecht baden können. Bei Ueli Niederhauser stehen auf der Weide mehrere aufgeschnittene Plastikcontainer. Diese immer mit genügend sauberem Wasser zu füllen, damit die Tiere schwimmen und tauchen können, sei gerade an der Hanglage des Betriebs ein nicht zu unterschätzender Arbeitsaufwand. Während sich jedoch Ueli Niederhauser für ein maximales Wohlergehen seiner Tiere einsetzt, möchten andere Produzenten aus Kostengründen das Badevergnügen der Tiere minimieren.
Wie viel Wasser
Die Diskussion, was eine Weidegans für ihr Glück braucht und was nicht, ist in vollem Gange. In diesen Tagen wird auch das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) verschiedene Tierhaltungen besuchen und dann entscheiden, wie viel Wasser für Schweizer Gänse genug ist.
Stoppeln passen nicht zum Premiumprodukt
Auch die richtige Schlachtung will gelernt sein. «Wir stellen ein Premiumprodukt her, für Menschen, die sich bewusst ernähren, da kann es am Schlachtkörper nicht noch Stoppeln haben», erklärt Ueli Niederhauser. So fuhr er wiederum nach Deutschland, nahm seinen Metzger mit und lernte, wie Gänse nach dem Rupfen gewachst werden, um die Stoppeln zu entfernen. Schlachten lässt er seine Gänse in der Geflügelschlachterei Kopp in Heimisbach. Und er ist als Bezugsperson wenn möglich dabei, bis die Tiere tot sind.
Jederzeit in den Stall reinschauen können, ist das Ziel
Läger um Läger des Kuhstalls wurde in den vergangenen Jahren umgebaut zum Gänsestall. «Irgendein Gebäudevolumen lässt sich auf jedem Betrieb finden, das sich als Gänsestall nutzen lässt», sagt der Gänse-Ueli und führt seinen Stall vor. Die Futter- und Wassertröge sind aufgeschnittene Wasserrohre, die sich zum Misten ganz einfach an die Decke ziehen lassen. Alle zwei Wochen kommt der gesamte Mist raus, dazwischen wird nachgestreut. Der Stall ist blitzsauber, am Boden trockener Strohhäcksel. «Ich will, dass jederzeit jemand in meinen Stall schauen kann und sieht, doch, diese Tiere haben es gut», verrät er sein Konzept. Deshalb haben seine Tiere auch deutlich mehr Platz als das Gesetz verlangt. Und tagsüber sind sie immer auf der Weide. Drei Hektaren sind das im Augenblick. Mehrere Badewannen, ein Schattenplatz und viel Gras, dann ist Gans zufrieden.
Die Nährstoffbilanz stimmt nie
Probleme gibt es höchstens, weil die Gans offiziell keine Raufutterverwerterin ist: «So viel Gras, wie die fressen, da stimmt meine Nährstoffbilanz nie», so Niederhauser: «Ich muss den Kontrolleuren immer wieder erklären, wohin mein Gras verschwindet». So musste er auch dort Pionierarbeit leisten und darf nun eine fiktive Düngerbilanz erstellen. Seine Gänse sind so exotisch, dass sie beim Bundesamt für Landwirtschaft nahezu vergessen wurden. Nicht vergessen werden sie von den Konsumenten. Zwar fiel in diesem Jahr wegen Corona in der Gastronomie viel Nachfrage weg, der Gänse-Ueli hat jedoch keine Probleme seine ganzen Gänse sowie Leberparfait oder Gänsefett privat zu verkaufen. Und auch die Federn seiner glücklichen Gänse,verkauft er in der ganzen Schweiz. Auf der speziell dafür eingerichteten Trocknungsanlage werden sie getrocknet. Danach in einer Bettwarenfabrik gewaschen, wieder getrocknet und kalibriert. Auf Kundenwunsch werden Duvets und Kissen bei Kyburz Bettwaren produziert und durch Gänse-Ueli verkauft. So können seine Kunden nicht nur mit gutem Gewissen essen, sondern auch ruhig schlafen auf den Daunen glücklicher Gänse.